Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Der Ungehorsam, die Disziplinlosigkeit der Truppen 
wurden bald so bedenklich, daß schon am 20. März 
die Regierung einen Aufruf an das Heer richten 
mußte, worin sie mahnte, die Armee müsse sich das 
Gefühl der Disziplin und Solidarität (nämlich zwischen 
Soldaten und 
Offizieren) un- 
geschmälert er- 
halten, denn 
sonst könne der 
Krieg nicht ge- 
wonnen wer- 
den, auch sei 
die Neuord- 
nung im In¬ 
nern von der 
Verteidigung 
gegen den äuße- 
ren Feind ab- 
hängig. Einen 
ähnlichen Auf- 
ruf hatte Ke- 
renski schon ein 
paar Tage vor- 
her an die Ost- 
seeflotte gerich- 
tet. In Heising- 
fors undSwea- 
borg waren 
viele Offiziere 
ermordet wor- 
den.dieMatro- 
sen hatten ge- 
meutert und 
schwere Aus- 
schreitungen 
begangen. Die 
Vorgänge sind 
noch nicht ganz 
aufgeklärt,aber 
aus dem Auf- 
ruf ist ungefähr 
zu ersehen, was 
geschehen war. 
Es hieß da: 
„Ihr sollt nicht 
den Agenien ge- 
horchen, sondern 
Enern Kamera- 
den und Offizie- 
ren. Ich bin über- 
zeugt, daß Ihr 
meiner Bitte Ge- 
hör schenkt und unverzüglich die Zerstörung der russischen Ostsee- 
flotte abbrecht. Schützt Eure Schiffe und Vorräte zum Schutze für 
Rußlands Freiheit, damit unsere Flotte schlagfertig alle feind- 
lichen Angriffe abwehren kann. Ich bitte dringlichst, mit dem 
Blutvergießen aufzuhören, das Schießen aufzugeben und Weiber 
und Kinder zu beschützen. Befleckt nicht den Namen der Sozia- 
listen, nur Schurken greifen Wehrlose an. Ihr aber, Käme- 
raden, seid Helden, die zusammen mit den Bauern und Ar- 
beitern Rußlands Freiheit geschaffen haben. Bald werden die 
Offiziere aufhören, zu Euch Du zu sagen. So wünscht es die 
Interims - Regierung. Teilt Euern Kameraden mit, daß Euer 
Im Ruhequartier. Nach einer Zeichnung des Sonderzeichners der „Jlluftrirten Zeitung" 
Feite Schwormstädt. 
Chef, Admiral Njebenin, sich völlig der neuen Regierung gefügt 
und uns anerkannt hat. Daher sollt Ihr seinen Tagesbefehlen 
gehorchen. Dies teile ich im Namen der Jnterims-Regierung 
mit, noch mehr bitte ich Euch in meiner Eigenschaft als Euer 
Genosse, dem Ehre teurer ist als die Freiheit des Lebens." 
Man fühlt sich beim Lesen des hervorragend komi- 
schen Schrift- 
stückes unwill¬ 
kürlich an die 
Anzeigen im 
„Arizona Kik- 
ker" erinnert, 
wo es z. V. 
bei der Ankün- 
digung einer 
musikalischen 
Abendunter- 
Haltung heißt: 
„Es wird ge- 
beten, nach dem 
Pianisten nicht 
zu schießen, der 
Mann gibt sein 
Bestes." Der 
Erfolg des Auf- 
rufes war, daß 
am folgenden 
Tage der Ad- 
miral Njebenin 
ermordet wur- 
de. Daraus hät- 
ten nun die 
Täter ermittelt 
und kriegsge- 
richtlich zum 
Tode verurteilt 
werden müssen, 
aber die vor- 
läufige Regie- 
rung hielt es 
für besser, beide 
Augen zuzu- 
drücken und 
die Schuldigen 
nicht einmal zu 
ermitteln, ge- 
schweige zu be- 
strafen. Mit 
dem Tode hät- 
ten sie ohnehin 
nicht bestraft 
werden können, 
denn die weisen Männer, die jetzt Rußlands Geschicke 
leiteten, hoben am 25.März die Todesstrafe auf. Das 
einzige Mittel, die entfesselte Bestie zu zähmen, wurde 
kurzerhand beseitigt in einem Lande, wo alle Bande der 
Ordnung gelockert oder zerrissen waren, wo der poli- 
tische Mord an der Tagesordnung war, wo die Ee- 
fängnisse und Zuchthäuser geöffnet worden waren und 
neben dem politischen Verbrecher auch die Mörder und 
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