Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

Auch der Großfürst Nikolai Michailowitsch riet dazu, 
ebenso verschiedene andere Generäle. Nikolaus, der 
sich von aller Welt verlassen sah, entschloß sich nach 
einigem Zaudern, den Rat zu befolgen, und nachdem 
die beiden Abgeordneten von Petersburg eingetroffen 
waren und ihm über den Verrat seiner Garde und 
die Vorgänge in seiner Hauptstadt reinen Wein ein- 
geschenkt hatten, unterzeichnete er die Abdankungs- 
Urkunde. Sie lautete: 
„Wir von Gottes Gnaden Nikolaus II., Kaiser aller Reußen, 
Zar von Polen, Großfürst von Finnland usw., tun unseren 
getreuen Untertanen hierdurch folgendes kund: 
In den Tagen des großen Kampfes gegen den äußeren 
Feind, der sich seit drei Jahren bemüht, unser Vaterland zu 
unterjochen, hat Gott Rußland eine neue Prüfung geschickt. 
Innere Schwierigkeiten drohen eine verhängnisvolle Rückwir- 
kung auf die weitere Führung des hartnäckigen Krieges auszu- 
üben. Das Geschick Rußlands 
die Ehre unserer Armee, das Glück 
des Volkes und die ganze Zukunft 
unseres teueren Vaterlandes ver- 
langen, daß der Krieg um jeden 
Preis bis zum siegreichen Ende 
durchgeführt werde. Der grau- 
same Feind macht seine letzten An- 
strengungen, und der Augenblick 
ist nahe, wo unser tapferes Heer 
gemeinsam mit unseren glorreichen 
Verbündeten den Feind endgültig 
zu Boden strecken wird. In diesen 
für das Leben Rußlands entschei- 
denden Tagen hielten wir es für 
eine Gewissenspflicht, unserem 
Volke die enge Vereinigung und 
die Organisation aller nationalen 
Kräfte, um einen schnellen Sieg 
zu verwirklichen, erleichtern zu 
müssen, und haben in llbereinstim- 
mung mit der Duma des Reiches 
für gut erkannt, auf den Thron 
des russischen Staates zu ver- 
zichten und die oberste Gewalt 
niederzulegen. 
Da wir uns nicht von unserem 
geliebten Sohne trennen wollen, 
übertragen wir unsere Erbfolge 
auf unseren Bruder, den Groß- 
fürsten Michael AleXandrowitsch, 
den wir bei seiner Besteigung des 
Thrones des russischen Staates 
segnen. Wir beauftragen unseren 
Bruder, in voller und unerschütter- 
licher Übereinstimmung mit den Volksvertretern und den gesetz- 
gebenden Kammern zu regieren auf den Grundlagen, die von 
ihnen festgesetzt werden, wobei er hierauf im Namen des viel- 
geliebten Vaterlandes einen unverletzlichen Eid leistet. 
Wir fordern alle treuen Söhne des Vaterlandes auf, ihre 
heilige Vaterlandspflicht zu erfüllen, dem Zaren in: schweren 
Augenblick nationaler Prüfungen zu gehorchen und ihm mit 
den Vertretern des Volkes behilflich zu sein, zusammen mit 
den Volksvertretern den russischen Staat den Weg des Glückes 
und des Ruhmes zu führen. Gott helfe Rußland!" 
Am 16. März wurde Nikolaus nach dem Haupt- 
quartier zurückgebracht, am 20. März verhaftet und 
am 22.nach Zarskoje Selo überführt, wo er mit 
seiner ganzen Familie als Oberst Romanow für die 
nächste Zeit in Gefangenschaft gehalten und stark be- 
wacht wurde. 
So endete die Regierung eines Mannes, der bei 
weitem nicht der schlechteste und bösartigste, aber 
wohl ohne Zweifel der schwächste und charakterloseste 
der russischen Zaren gewesen war. Einen eigenen 
Willen hatte er vom ersten bis zum letzten Tage 
seiner Negierung nie gehabt, war immer nur das 
Werkzeug anderer gewesen. Im Anfang hatte ihn 
der unheilvolle Einfluß seiner Mutter in die Feind- 
schaft mit Deutschland hineingehetzt. Dann scheint 
der Einfluß seiner Gemahlin alle anderen Einflüsse 
auf seine schwache Seele überwogen zu haben. Auch 
die Zarin scheint ihn übel beraten zu haben, indem 
sie dem Frieden entgegenarbeitete — wohl aus der 
Ansicht heraus, daß ein siegloser Friede ihm unfehl- 
bar die Krone kosten würde. Man kann indessen 
nur sagen, es scheint so, denn die Nachrichten über 
das Verhalten der Zarin widersprechen einander 
manchmal geradezu, und erst später wird sich ein 
sicheres Urteil darüber gewinnen lassen. Dazwischen 
war Nikolaus II. auch manchmal von Männern be- 
raten worden, und zwar von 
den verschiedenartigsten Leu- 
ten, wie dem ausgezeichneten 
Staatsmann Graf Witte und 
dem Wundermönch Rasputin. 
Dieser geriebene Gauner hatte 
das abergläubische Gemüt des 
Zaren durch seinen spiritisti- 
schen Hokuspokus so einzuneh- 
men gewußt, daß ihn die Groß- 
fürstenpartei in der Nacht vom 
30. zum 31. Dezember 1916 
hatte ermorden lassen, denn 
der Mönch, im übrigen ein 
lasterhafter und gemeiner 
Mensch, scheint stark für den 
Friedensschluß gearbeitet zu 
haben. Möglich aber ist auch, 
daß er der Rache eines be- 
trogenen Ehemannes verfiel. 
Der unheilvollste Einfluß, dem 
Nikolaus unterlegen ist, war 
der seines Oheims Nikolai 
Nikolajewitsch, den er haßte, 
aber noch mehr fürchtete, und 
der ihn durch seinen überlegenen Willen dazu be- 
stimmte, den Krieg mit Deutschland und Osterreich- 
Ungarn zu beginnen. 
In Deutschland gab es natürlich Leute, die dem 
gestürzten Zaren und noch mehr seiner Gemahlin 
ihr Mitleid widmeten. In den übrigen Ländern gab 
es solche Leute nicht, am wenigsten in England und 
Frankreich. Auch nicht eine englische Zeitung trat für 
ihn ein. Die meisten sahen in der russischen Revo- 
lution „eins der großartigsten Ereignisse der Welt- 
geschichte" und sangen dem russischen Volk, das sich 
von einer unwürdigen Herrschaft befreit habe, die 
begeistertsten Lobeshymnen. Die Regierungen der 
bisherigen Bundesgenossen des Zaren erkannten so- 
gleich die neue Regierung an. Am 24. März erschien 
Buchanan mit den übrigen Botschaftern der Entente- 
mächte vor der vorläufigen Regierung und begrüßte 
die „neue Ära des Glückes und Fortschrittes und der 
Reichskanzler Dr. Georg Michaelis. 
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