Volltext: Der Weltbrand Band 3 (3; 1920)

ist, so waren diese Leute trotz des Verlustes ihrer 
Söhne und Brüder in eine revolutionäre Stimmung 
nicht hineinzubringen. 
Ganz anders standen die Dinge in den Städten. 
Die Arbeiter verdienten hier zwar auch viel Geld, 
jedenfalls vielmehr als jemals vorher, aber es half 
ihnen nichts, denn sie konnten sich dafür nichts kaufen. 
Die Lebensmittelknappheit wuchs von Monat zu 
Monat und nahm schon 1916 in Petersburg und 
Moskau zeitweilig die Form einer Hungersnot an. 
Als dann der Winter kam, ein ganz besonders strenger 
Winter, zeigte sich's, 
daß es auch keine Koh- 
len und kein Holz gab, 
denn das russische Eisen- 
bahnwesen versagte 
mehr und mehr. Die 
russischen Eisenbahnen 
hatten im Anfang des 
Krieges mehr geleistet, 
als man in Deutsch- 
land erwartet 
aber ihre Leistungen 
hatten sich beständig ver- 
schüchtert. Die Wagen 
Schienen und sonstiges 
Material waren abge- 
nutzt und konnten nicht 
erneuert werden. Zum 
Teil war es auch 
den großen Niederlagen 
im Westen verloren 
gangen, und bei der 
Bahnbeamtenschaft tra- 
ten, je länger der Krieg 
dauerte, um so mehr 
die häßlichen Züge her- 
vor, die überhaupt die 
russische Beamtenschaft 
kennzeichneten und im 
russischen Wesen lagen: 
Bestechlichkeit, Faulheit, 
Zerfahrenheit, Unfähig- 
keit zur Ordnung. So 
traten Verkehrsschwie- 
rigkeiten ein, die jeder 
Beschreibung spotteten. 
Bei den Feldluftschiffern: Flicken der verletzten Ballonhülle. 
In dem einen Bezirk des 
weiten Reiches herrschte Uberfluß an Nahrungsmit- 
teln, in anderen der bitterste Mangel, weil es un- 
möglich war, die Güter rechtzeitig dahin zu bringen, 
wo sie gebraucht wurden. Weder mit Lebensmitteln, 
noch mit Kohlen und Holz wurden die großen Städte 
versorgt, und so bemächtigte sich des arbeitenden 
Volkes, das hungerte und fror, eine entsetzliche Er- 
bitterung, die in der zweiten Märzwoche zum Aus- 
bruch kam. Aus den Krawallen und Hungerrevolten, 
die in Petersburg, Moskau, Kiew und anderen Groß- 
städten schon häufig vorgekommen, aber bisher immer 
mit blutiger Strenge unterdrückt worden waren, ent¬ 
wickelte sich eine Revolution, die nicht mehr unter- 
drückt werden konnte, denn die Truppen, die bisher 
das Volk auseinandergetrieben hatten, machten auf 
einmal gemeinsame Sache mit ihm und wendeten 
sich gegen ihre bisherigen Herren. Auch die Kosaken, 
sogar die Earde-Kosaken, das sogenannte kaiserliche 
Konvoi, fielen vom Zaren ab und schlössen sich den 
Aufrührern an, und das entschied den Sieg der 
Revolution in Petersburg. — Miljukow und die 
übrigen Führer der Bürgerparteien hatten das ebenso 
wenig gewollt, wie der englische Botschafter Buchanan 
und seine Leute, denen 
von vielen deutschen 
Zeitungen die Anstif- 
tung der Petersburger 
Revolution zugeschrie- 
wurde. Eine Ent- 
fesselung der Arbeiter- 
massen konnte England 
wollen, denn der 
kluge und gut unterrich- 
tete Botschafter wußte 
sehr wohl, daß die Mas- 
sen kriegsmüde waren 
und auf sofortigen Frie- 
densschluß um jeden 
Preis hindrängten. 
Buchanan, Rodziankow 
und Miljukow wollten 
eine ganz andere Art 
von Revolution. Sie 
wollten den Zaren be- 
seitigen, ihn zur Ab- 
dankung zwingen und 
einen anderen an seine 
Stelle setzen und wären 
wohl auch nicht davor 
zurückgeschreckt, wenn sie 
über seine Leiche hätten 
gehen müssen. Solche 
Dinge waren ja im 
heiligen Rußland schon 
mehrmals vorgekom- 
men. Der schwächliche 
Nikolaus war ihnen 
verdächtig geworden, 
denn er dachte an einen Friedensschluß, weil er den 
Mut zur Fortsetzung des Krieges verloren hatte oder 
zu haben schien. Wäre er beseitigt, und hätte sein 
Nachfolger den Russen die Konstitution" gegeben, 
so, meinten die Führer des liberalen Bürgertums, 
würde sich das russische Volk mit Begeisterung erheben 
und die Deutschen mit gesammelter Kraft vom Boden 
Rußlands hinwegfegen. Als aber die Revolution der 
Massen ohne ihrZutun ausbrach, erkannten Rodziankow 
und Miljukow sofort, daß sie sich an ihre Spitze stellen 
müßten oder mit ihrer ganzen Gefolgschaft unter die 
Walze geraten würden. Natürlich zogen sie es vor, 
die Führung der Revolution zu übernehmen, und 
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