Volltext: Der Weltbrand Band 2 (2; 1917)

durch schnellen Anschluß an die verbündeten Mittel- 
mächte eine Gelegenheit gehabt hätte, das vor 
38 Jahren Verlorene wiederzugewinnen, da zeigte 
es sich wieder einmal in der kläglichsten Weise, auf 
wie schwachen Füßen die Macht eines rumänischen 
Königs stand, selbst dieses Königs, der doch die un- 
geheuersten Verdienste um das Land besaß. Schon 1913, 
nach dem Zweiten Valkankriege, hatte ihn der Wille sei- 
nes Volkes gezwungen, zu handeln, wie es dem recht- 
lich denkenden Fürsten unehrenhaft, dem klugen und 
weitblickenden Politiker töricht erscheinen mußte. Jetzt 
hinderte ihn der Wille seines Volkes, sein Wort zu 
halten und seinem Lande den besten Dienst zu tun, 
und es ist wohl möglich, daß der Greis, wie Ein- 
geweihte be- 
haupten, aus 
Arger und Ve- 
schämung dar- 
über gestorben 
ist. Er wußte 
ja genau, wie 
es alle Welt 
weißbis vor 
einigen Mona- 
ten durfte man 
es freilich nicht 
offen sagen — 
daß die öffent- 
liche Meinung 
Rumäniens 
von den Par- 
teiführern und 
Volksrednern 
gemacht wird, 
und daß diese 
Ehrenmänner 
ebenso wie die 
Presse des Landes mit ganz wenigen Ausnahmen 
denen gefällig sind, die ihnen das meiste Geld 
bieten und ihren Ehrgeiz am meisten zu kitzeln ver- 
stehen. Gerade die einflußreichsten unter ihnen, 
Fillipescu und Take Jonesku, waren durch das eng- 
lische und russische Gold für die Entente gewonnen. 
Ohnehin neigten sie alle in ihren Gemütern zu 
Frankreich und Italien hin, denn das dacische Misch- 
volk bildete sich allen Ernstes ein, von den alten 
Römern abzustammen und sah in Italienern und 
Franzosen seine lateinischen Schwesternationen. Auch 
gehörte es seit langer Zeit zum guten Ton für die 
vermögende Jugend Rumäniens, in Paris zu stu- 
dieren, ihr Geld zu verjubeln und sich den äußeren 
Schliff westeuropäischer Bildung anzueignen. Wer 
nicht in Paris gewesen war. galt in Bukarest nichts. 
Französisch war die Sprache der oberen Zehntausend, 
französische Moden, französische Sitten mußte jeder 
nachahmen, der etwas auf sich hielt. Bukarest selbst 
war eine Nachäffung von Paris, und hier, wo die 
französische Liederlichkeit auf die orientalische Lieder- 
lichkeit aufgepfropft wurde, herrschte eine sittliche 
Lazcheit, die selbst Brüssels berüchtigte Sittenlosigkeit 
weit übertraf. Aber auch diese Volksaufhetzer und 
Wortführer redeten wie Salandra und Sonnino von 
der uralten lateinischen Kultur, die durch die Barbaren 
bedroht sei, und gaben außerdem vor, mit ihrem 
Brüllen gegen Österreich-Ungarn ein hohes völkisches 
Ideal verwirklichen zu wollen. Wie die Italiener 
von den unerlösten Brüdern im Trentino, in Jstrien 
und Triest faselten, so schrieen die Maulhelden von 
Bukarest, die rumänischen Volksgenossen müßten er- 
löst werden, die in Siebenbürgen unter ungarischer 
Knechtschaft seufzten. Nun waren in der Tat die 
Rumänen Ungarns nicht mit allen Zuständen ihres 
Landes zufrieden und hatten gegen mancherlei Miß- 
bräuchederVer- 
waltung seit 
Jahren ange- 
kämpft. Aber 
hundertmal 
besser war ihr 
Los als das 
der rumäni. 
schen Bauern, 
die Sklaven der 
Bojarenwaren 
und so sehr in 
Unbildung und 
Unwissenheit 
lebten, daß 85 
Prozent von 
ihnen nicht le- 
sen und schrei- 
ben konnten. 
Der allergrößte 
Teil des höchst 
fruchtbaren 
Landes, der 
Kornkammer Europas, gehörte einigen hundert Adels- 
familien. Das Landvolk bestand nur aus Knechten 
und Tagelöhnern, die gegen armseligen Lohn auf 
den Gütern lebten, oder aus Kleinpächtern, die 
einen fast unerschwinglichen Pachtzins zu entrichten 
hatten. Die bäuerlichen Besitzer, ungebildet und un- 
behilflich wie sie waren, befanden sich in den Händen 
ihrer Hypothekengläubiger. Es waren noch nicht 
viele Jahre verflossen seit dem großen Aufstande 
der gequälten und ausgesogenen Bauern Rumäniens, 
der durch das Militär blutig unterdrückt worden war, 
und bei dem 11000 der Aufständischen das Leben ver- 
loren hatten. Die ungarischen Rumänen segneten sich, 
daß sie nicht unter diesen Verhältnissen lebten, die auch 
König Carol mit all seiner staatsmännischen Weis- 
heit nicht hatte ändern können, und wollten durch 
die Bojaren ebensowenig erlöst sein, wie die italie- 
nisch sprechenden Tiroler und die Bewohner des 
Trentino von ihren italienischen Stammesbrüdern. 
Der alte König hatte das wohl gewußt. König 
Carol besaß die sehr richtige Einsicht, daß, wenn ein- 
mal Rumänen erlöst werden sollten, die in Beß- 
Charakteristische Landschaft m der Poljesje, mit einem von den Russen angelegten Knüppel- 
weg. Nach einer Zeichnung des Kriegsteilnehmers k. u. k. Leutnants Carl v. Dombroroski. 
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