Volltext: Der Weltbrand Band 2 (2; 1917)

Salandra selbst der Hauptkriegshetzer gegen Oster- 
reich-Ungari geworden ist: Sidney Sonnino, Spröß- 
ling einer baronisierten jüdischen Familie aus Tos¬ 
kana, Sohn einer englischen Mutter, also Vollblut- 
italiener in des Wortes verwegenster Bedeutung. Er 
wurde Minister des Auswärtigen und übernahm so 
das zurzeit wichtigste Amt der italienischen Diplo- 
matie. Salandra und er suchten nun aus der Be- 
drängnis der Bundesgenossen Kapital zu schlagen 
und ihm das unerlöste Italien abzudrängen. Diese 
Forderung scheint anfänglich von der Wiener Regie- 
rung abgelehnt worden zu sein, wurde aber immer 
dringender. In Verlin erkannten die leitenden Kreise, 
daß Italien auf die Abtretung österreichischen Gebietes 
bestehen und ohne sie gegen Österreich in den Krieg 
eintreten werde. Es wurde deshalb Deutschlands ge- 
schicktester Diplomat, der frühere Reichskanzler Fürst 
Bülow, bewogen, die Führung der deutschen Bot- 
schastergeschäfte in Rom zu übernehmen, und am 
4. Dezember ging er dorthin ab. Er schien dazu be- 
sonders befähigt zu fein, denn er war früher deut- 
scher Botschafter in Italien gewesen, war verheiratet 
mit einer Italienerin aus fürstlichem Geschlecht, in 
Rom sehr beliebt und als Besitzer der berühmten 
Villa Malta häufig Gast in der Hauptstadt Italiens. 
Er bewährte seinen Ruf als geschickter Vermittler auch 
jetzt, indem er die österreichisch-ungarischen Staats- 
männer nachgiebig stimmte, dadurch Verhandlungen 
überhaupt möglich machte und sie solange hinzog, daß 
Italien erst zu einer Zeit eingriff, als die beiden 
Mittelmächte die größten Schwierigkeiten des Krieges 
hinter fich hatten. 
Im Einzelnen ist über die Verhandlungen nichts 
bekannt geworden, aber Anfang Mai ward es wahr- 
scheinlich, daß sie vergeblich sein würden. Immer be- 
stimmter wurde in den englischen und französischen 
Zeitungen versichert, die Entscheidung sei nahe und 
werde für den Dreiverband ausfallen, immer bedroh- 
licher wurde das Kriegsgeschrei der meisten italieni- 
schen Blätter, immer herausfordernder ihre Sprache 
gegen Osterreich-Ungarn. Ganz offen wurde aus- 
gesprochen, am 5.Mai bei der Enthüllung des Denk- 
mals der Garibaldiner in Genua werde der Sturm aus- 
brechen. Wie 1860 von Genua aus Garibaldi im 
Mai zur Befreiungsfahrt ausgezogen wäre, so sollte 
jetzt wieder von hier aus die Befreiung des unerlöften 
Italiens ihren Anfang nehmen. Der Dichter Gabriele 
d'Annunzio, ein Meister der Phrase, Verfasser unbe¬ 
deutender Theaterstücke und vieler lüsterner Romane 
und Novellen, sollte die Weiherede in Gegenwart 
des Königs halten und Italien zum Kriege aufrufen. 
Dieser Mensch, der sein Vaterland wegen unsauberer 
Geschichten hatte verlassen müssen, der das Vermögen 
seiner „Freundin", der großen Schauspielerin Eleo- 
nora Duse, durchgebracht und zum Dank dafür der 
Welt die intimsten Vorkommnisse ihres Verkehrs mit 
ihm in einem Roman geschildert hatte, dieser Mensch 
wurde jetzt von den Kriegshetzern nach Italien zu- 
rückgerufen und bei seinem Eintreffen wie ein Trium- 
phator begrüßt. Der König und die Minister er- 
schienen nun freilich nicht in Genua, denn die Rede 
d'Annunzios war eine Kriegsfanfare, die der König 
nur hätte anhören können, wenn er bereit gewesen 
wäre, den Krieg auf der Stelle zu erklären. Italien 
war aber noch nicht vollständig gerüstet, der König 
wohl auch noch nicht vollständig für den Krieg ge- 
wonnen, und so unterblieb die Reise. Vor-der-hand 
wurden die Verhandlungen fortgesetzt, und in den sol- 
genden Tagen war die Haltung Italiens vollkommen 
undurchdringlich. Am 7.wurde das Parlament bis 
zum 12.vertagt, was dahin gedeutet werden konnte, 
daß die Regierung Zeit gewinnen wollte zu weiteren 
Verhandlungen, aber schon begann die Kriegshetze 
auf den Straßen. Nicht das Volk veranstaltete sie. 
Das war in seiner großen Mehrheit gegen den Krieg, 
die Bauern ebenso wie die Arbeiterschaft, und das 
sozialdemokratische Hauptblatt „Avanti" schrieb die 
heftigsten Artikel gegen die Politik der Regierung, 
die das Land ohne alle Not in einen Krieg hinein- 
treiben wolle. Studenten, Journalisten und sonstige 
Angehörige der sogenannten gebildeten Gesellschaft?- 
schichten hetzten am meisten. Auch Künstler und 
Professoren von Namen und Rang befanden sich in 
ihren Reihen. Als am 9. Mai der frühere Minister- 
Präsident Giolitti in Rom eintraf, um für den Frieden 
zu wirken, wurde er von einer aufgehetzten, wütenden 
Menge verhöhnt und beschimpft und konnte kaum 
in seine Wohnung gelangen. Er ließ sich dadurch 
nicht einschüchtern, denn der klügste Staatsmann, den 
Italien besaß, wußte sehr wohl, was für sein Vater- 
land jetzt auf dem Spiele stand. Er hatte einen 
Empfang beim König und eine ganze Menge von 
Zusammenkünften mit Salandra und Sonnino, und 
schon wurden die Kriegshetzer mit der tiefsten Be- 
sorgnis erfüllt, es möge ihm gelingen, Italien noch 
in zwölfter Stunde zurückzuhalten. Die Friedens- 
aussichten nahmen noch zu, als am 12. Mai der 
Abgeordnete Cirmeni durch die „Stampa" die An- 
geböte Österreich-Ungarns an Italien veröffentlichte. 
Der Kaiserstaat war demnach geneigt, den Italienern 
als Preis für ihre fernere Neutralität zu bieten: das 
gesamte Trentino, den von den Italienern bewohnten 
Teil Tirols, das Jsonzogebiet einschließlich Gradiska, 
Triest sollte eine sehr ausgedehnte Selbstverwaltung, 
einen Freihafen und eine italienische Universität er- 
halten. 
Osterreich-Ungarn wollte ferner gestatten, daß sich 
Italien in Südalbanien festsetze und war bereit, 
die bereits vollzogene BesetzungValonas anzuerkennen. 
Das alles sollte unter Garantie des Deutschen Reiches 
geschehen. Die italienischen Forderungen der Abtretung 
von Eörz und einiger Dalmatiner Inseln sollten wohl- 
wollend geprüft werden. In diesem letzten Punkte 
irrte der Abgeordnete. Im übrigen war er richtig 
unterrichtet, ja, Osterreich-Ungarns Zugeständnis ging 
noch weiter. Es verpflichtete sich, daß schon jetzt seine 
Soldaten aus den abzutretenden Gebieten in die 
Heimat zurückkehren dürften.
	        
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