Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Volke höher geachtet wird als jedes andere Ehren- 
zeichen. Wie Wilhelm I. im Jahre 1870, so befahl 
jetzt sein Enkel die Erneuerung des Eisernen Kreuzes. 
Was nun in Deutschland geschah, das ereignete sich 
in gleicher Weise in Österreich. Ja, was man hier 
erlebte, war fast noch etwas Wunderbareres, als das, 
was wir sehen durften. Wie hatten hier die Völker 
verschiedenen Stammes und Blutes miteinander ge- 
hadert! Nichts schien sie einigen zu können. Immer 
gehässiger, immer erbitterter waren ihre Kämpfe ge- 
worden. Jetzt stand mit einem Male auf dem Markt- 
platze von Prag, der so viele blutige Zusammenstöße 
der beiden böhmischen Nationalitäten gesehen hatte, 
ein einiges Volk, Tschechen und Deutsche Arm in Arm, 
und sie sangen die „Wacht am Rhein" und „Gott 
erhalte Franz den Kaiser". Wer das vierzehn Tage 
früher prophezeit hätte, der wäre für einen Narren ge- 
halten worden. — Und wie in Böhmen, so war es in 
allen Kronländern der Monarchie. In Wien, in Buda- 
pest war die Begeisterung ungeheuer. Österreich, das 
halb und halb schon totgeglaubte, von dessen bevor- 
stehender Zersetzung man überall in der Welt fast ebenso 
laut redete wie — viele Österreicher selbst, erwies sich 
auf einmal als eine sehr lebendige und gewaltige 
Macht. Denn es hatte mit einem Male wieder ein 
großes Ziel und konnte seine alte geschichtliche Auf- 
gäbe, Bollwerk Westeuropas zu sein gegen die Völker 
des Orients, wieder aufnehmen. Früher ging es gegen 
Türken und Tartaren, jetzt gegen Halbasiaten, Groß- 
russen und Serben. So war es kein Wunder, daß 
in Aller Herzen die stolzesten Erinnerungen erwachten, 
die Österreich besitzt/ und daß auf allen Straßen das 
alte Lied erklang: 
Prinz Eugen, der edle Ritter, 
Wollt dem Kaiser wiederum kriegen 
Stadt und Festung Velgerad. 
Uber siebenhunderttausend Kriegsfreiwillige stellten 
die Völker der österreichischen Monarchie — eine Zahl, 
die der deutschen relativ annähernd gleichzustellen ist, 
wenn man die absonderlichen Völkerverhältnisse der 
Monarchie in Betracht zieht. Auch hier zogen die der 
Krone am nächsten Stehenden mit ins Feld. Erzherzog 
Friedrich übernahm den Befehl des zur Dämpfung 
Serbiens ausrückenden Heeres, der junge Thronfolger 
Karl Franz Josef begab sich zur galizischen Armee. 
In der hochgehenden Flut der Begeisterung gingen 
in Österreich wie in Deutschland alle Gegensätze unter. 
Im Habsburger Reich schwieg der Hader der Stämme, 
in Deutschland der Streit der Konfessionen und Par- 
teien. Der Evangelische Bund stellte seine Schwestern- 
schaft, die katholische Kirche ihre männlichen und weib- 
liehen Pflegeorden dem Roten Kreuz zur Verfügung. 
Die Parteischlagworte verschwanden aus den Zei- 
tungen. Niemand mochte sie hören, denn niemand 
hatte für die Zänkereien und Streitereien der Par- 
teien noch ein Interesse. Sie erschienen kleinlich und 
traten ganz in den Hintergrund. Als am 4. August 
der Reichstag zusammentrat, da erlebte er seine große 
Stunde. Eine glänzende Thronrede richtete der Kaiser 
zur Eröffnung an die im Weißen Saale des König- 
lichen Schlosses Persammelten, legte in kurzen, markigen 
Worten noch einmal die Gründe dar, die ihn zum 
Kriege bestimmten und wiederholte sein Wort: „Ich 
kenne keine Parteien mehr". Dann forderte er die 
Führer der bisherigen Parteien auf, zu ihm heran- 
zutreten und ihm die Hand zu reichen zum Zeichen 
des Gelöbnisses, daß sie mit ihm gehen wollten durch 
dick und dünn, durch Not und Tod. Das geschah 
unter großer Bewegung Aller, die diesen denkwürdigen 
Moment miterleben durften, und unter nichtenden- 
wollenden Beifallsrufen verließ der Monarch den 
Saal. In der darauf folgenden Sitzung bewilligte 
der Reichstag alle Forderungen der Regierung ein- 
stimmig, ein Vorgang, der ohne Beispiel war in der 
Geschichte unserer Volksvertretung. Auch die Sozial- 
demokraten schlössen sich nicht aus. In Paris, London 
und Petersburg hatte man damit gerechnet, daß die 
deutsche Arbeiterschaft ihrer Regierung die ernstesten 
Schwierigkeiten bereiten werde, ja man hatte auf den 
Ausbruch der Revolution in Berlin und anderen Groß- 
städten gehofft. Unsere Feinde hatten dabei vergessen, 
daß das russische Zarentum den Proletariern aller 
Länder — sehr mit Recht — als der schlimmste Feind 
aller bürgerlichen Freiheit gilt. Außerdem war an- 
gesichts der furchtbaren nationalen Gefahr in den 
Führern das Gewissen und in den Massen die vater- 
ländische Begeisterung erwacht. So bewilligten denn 
auch sie sämtliche Kriegsvorlagen und den geforderten 
Kriegskredit von fünf Milliarden Mark, und damit 
sank schon eine der Haupthoffnungen, die das Aus- 
land gehegt hatte, in sich zusammen. Das deutsche 
Volk war einig, hier sah es die Welt. 
Schon am vorhergehenden Tage hatte die Über- 
führung der Truppen nach der Ost- und Westgrenze 
begonnen. In endlosen Reihen rollten die Militär- 
züge dahin, auf den großen Strecken Hunderte an 
einem Tage. An wenigen Wagen fehlten die grünen 
Zweige und humorvolle Inschriften, denn die Truppen 
waren voller Mut und Zuversicht und zogen jubelnd 
in den Krieg. Diese Stimmung kam der wehrhaften 
Germanenjugend aus dem Herzen und war nicht etwa 
künstlich hervorgerufen und angefacht durch Bier und 
Branntwein, es war vielmehr streng verboten, den 
durchfahrenden Truppen Vier und alkoholenthaltende 
Getränke als Erfrischungen zu reichen. Sonst fehlte 
es aber auf den Bahnhöfen an Verpflegung und 
Liebesgaben nirgendwo, denn die Herausziehenden 
wurden getragen von der Liebe und Dankbarkeit des 
ganzen Volkes. Sie fühlten das auch und verhielten 
sich darnach. Nirgends kam eine Roheit, eine ernste 
Ausschreitung vor. Und wie die Haltung der Truppen 
eine musterhafte war, so war die Art ihrer Beförde- 
rung nach den Grenzen eine wahrhaft bewundern?- 
werte. Alles klappte, in dem ganzen großen Orga- 
nismus versagte kein Rädchen, von keiner Seite her 
war eine Rückfrage bei den leitenden Stellen nötig. 
Das war möglich, weil im Großen Generalstabe alles 
genau vorher bestimmt und berechnet war, und weil 
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