Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

deutsche Generalstab bekannt machte, über 5000 rus¬ 
sische Offiziere und über eine halbe Million Mann 
in deutscher Gefangenschaft. 
„Im Osten ist die Lage unverändert", so klang 
es in den nächsten Tagen aus jeder Meldung der 
deutschen Heeresleitung. Kleine Gefechte wurden ge- 
meldet, so bei Kalwarija und am 27. bei Suwalki, 
wo sich die Deutschen durch einen Angriff in den 
Besitz russischer Stellungen auf eine Frontbreite von 
20 Kilometern setzten. Bialystok wurde zweimal mit 
Bomben beworfen zur Strafe dafür, daß die Russen 
offene deutsche Städte aus der Luft beschossen hatten. 
Aber gerade diese wortkargen Meldungen machten es 
dem deutschen Volke gewiß, daß Hindenburg etwas 
Besonderes plane, denn so hatte er es vor seinen 
großen Unternehmen jedesmal gehalten. Die Erwar- 
tungen wurden nicht enttäuscht, am 30. April kam eine 
Meldung, die überall die größte Verwunderung und 
Freude hervorrief. Die deutschen Truppen standen 
weit in den Ostseeprovinzen. Sie hatten am 29. in 
breiter Front die Eisenbahnlinie Dünaburg-Libau 
erreicht. Die russischen Truppen hatten nirgendwo 
ernsten Widerstand geleistet, nur bei Szawle kam es 
zu einem Gefecht, aber am 20. flüchteten die Russen, 
nachdem sie die Stadt an allen vier Ecken angezündet 
hatten, in der Richtung auf Mitau. 1000 Gefangene 
und sehr viel Munition fielen in deutsche Hände. Eine 
Offensive allergrößten Stiles war damit eingeleitet. 
Österreichs und Ungarns kämpfe im März und April. 
Hieben dem Ringen um die Dardanellen nahm 
^5-der Kampf um die Karpathen während des 
achten und neunten Kriegsmonats das 
Interesse der Welt am meisten in 
Anspruch. An beiden Stellen 
stand Großes auf dem 
Spiele und an beiden 
Stellen wurden von 
den Dreiverbands 
mächten gewal- 
tige Mittel auf- 
geboten und 
vonbeidenSei- 
ten mitderwil- 
besten Heftig¬ 
keit und der er- 
staunlichsten Zä- 
higkeit gekämpft. 
Vor allem gilt 
das von dem Ansturm 
der Russen gegen die 
Karpathen. Der russische 
Generalissimus hatte es sich, 
mancherlei Warnungen zum Trotz, 
in den Kopf gesetzt, über die Pässe 
des Gebirges in Ungarn einzu- 
brechen. Der unheilvolle Gewalt- 
mensch war körperlich schwer leidend. Es hieß, der 
General Sievers sei von ihm nach der Unglück- 
lichen Masurenschlacht geohrfeigt worden und habe 
darauf den Großfürsten durch einen Revolverschuß 
verwundet und sich selbst entleibt. Wirklich hatte der 
unglückliche General auf „tragische Weise", wie die 
russischen Zeitungen schrieben, d. h. durch Selbstmord 
geendet, und das übrige klang so echt russisch, daß es 
von vielen für Wahrheit gehalten wurde. Andere be- 
haupteten, der Großfürst habe schon seit Jahren ein 
schweres Leberleiden, das durch die Aufregungen und 
Enttäuschungen des Krieges verschlimmert worden sei. 
Welche von beiden Meinungen die richtige ist, wird sich 
erst später entscheiden lassen. Fest steht, daß der Groß- 
fürst krank war, und sein Vorgehen gegen die Kar- 
Deutsche Truppen in den Karpathen 
auf dem Vormarsch in das Laborczatal. 
parthen läßt vermuten, daß er in einem beständigen 
Fieberzustande lebte, denn die sinnlose Grausamkeit, 
mit der er Hunderttausende in den Tod 
trieb, hätte in gesunden Tagen 
selbst dieser kalte Menschen- 
verächter schwerlich an 
den Tag gelegt. Der 
Grundsatz der ' rus¬ 
sischen Heeresfüh¬ 
rung, den Feind 
ohne jede Scho- 
nungvonMen- 
schenleben durch 
die Masse zu 
erdrücken, wur- 
de hier in einer 
Weise zur An- 
wendung gebracht, 
daß sich alles mensch- 
liche Gefühl dagegen 
empören mußte. In 
zahlreichen, hintereinander 
vorstürmenden Reihen wurden 
die russischen Soldaten dem Feinde 
entgegengetrieben. Viele von ihnen 
waren junges, neu ausgehobenes 
Volk ohne jede militärische Erziehung, 
notdürftig bewaffnet, schlecht gekleidet — Bauern- 
jungen, die nur durch eine Feldbinde verrieten, daß 
sie zur glorreichen Armee des Zaren gezählt werden 
sollten. Sie hatten keine andere Aufgabe als die, den 
hinter ihnen vordringenden wirklichen Soldaten als 
Deckung zu dienen. Hin und wieder ordnete Seine 
Kaiserliche Hoheit auch an, daß eine Herde von 
Zivilpersonen, insbesondere Juden, der russischen 
Front vorausgetrieben wurde, denn der Großfürst 
setzte offenbar voraus, daß die Österreicher und 
Ungarn zu menschlich sein würden, auf diese Unglück- 
lichen Schlachtopfer zu schießen. Trotzdem waren 
die meisten russischen Angriffe erfolglos, und schlie߬ 
lich erschöpften sich die Menschen- wie die Muni- 
tionsvorräte. 
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