Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

oder Leute, die unbedingt reisen mutzten, wagten sich 
in das schwergefährdete Seegebiet. 
Aber nicht nur das Reisen nach England, sondern 
auch das Wohnen in England wurde immer un- 
gemütlicher, denn wer dort angekommen war und 
Unterkunft gefunden hatte, dem konnte es begegnen, 
daß ihn nächtlicherweile eine aus der Luft geschleu- 
derte Bombe, ehe er erwachte, ins bessere Jenseits 
beförderte. Kein Ort in England war davor sicher. 
Das bewies ein Angriff, der am 14. April abends 
von einem Zeppelin-Luftschiff auf die Tyne-Mün- 
dung unternommen wurde. Natürlich wurde der da- 
bei angerichtete Schaden von den Engländern mög- 
lichst verschwiegen, aber es wurde bald bekannt, daß 
er sehr beträchtlich gewesen 
und daß ein englischesSchlacht- 
schiff dabei beschädigt worden 
war. Der Zeppelin kehrte un- 
versehrt zurück. Wenn das 
möglich war, so lag ein An- 
griff auf London selbst ganz 
sicherlich nicht im Bereiche der 
Unmöglichkeit, und inDeutsch- 
land fragte man sich verwun- 
dert, warum nicht längst schon 
ein solcher ausgeführt wor- 
den war. Regungen der Ee- 
fühlsduselei, wie sie 1870 bei 
der Beschießung von Paris 
zu Bismarcks Zorn eine Rolle 
gespielt hatten, waren jetzt für 
die deutsche Heeresleitung ge- 
wiß nicht maßgebend und 
brauchten es um so weniger 
zu sein, als die Franzosen 
unter dem lauten Beifall der 
englischen öffentlichen Mei- 
nung fort und fort unbewehrte 
deutsche Städte und Städtchen 
mit Fliegerbomben bewarfen. 
Es mußten also wohl schwer- 
wiegende militärische Gründe einen Luftangriff auf 
die feindliche Hauptstadt noch verbieten. Vorderhand 
begnügten sich die Deutschen mit Angriffen auf andere 
Städte Englands. In der Nacht vom 15. zum 16. April 
überflogen zwei Zeppelin-Kreuzer Maldon in Essex 
und warfen dort Bomben ab, dann taten sie das gleiche 
über den Docks von Heybridge^ einer erschien über 
Lowestoft, Burnham, Southwold, und überall wurden 
Brände verursacht und großer Schaden angerichtet. 
Sämtliche Luftfahrzeuge kehrten unversehrt heim. Daß 
die Verluste, die dabei denEngländern zugefügt wurden, 
vom Reuter-Bureau und den englischen Zeitungen als 
unerheblich hingestellt wurden, versteht sich von selbst. 
Das lächerliche, eines freien und mündigen Volkes 
ganz unwürdige Vertuschungssystem wurde den deut- 
schen Lufterfolgen gegenüber geradeso angewandt wie 
bei den deutschen Unterseebootserfolgen, und diese 
nahmen mit der Zeit fcine für das Vritenreich be¬ 
ängstigende Höhe an. Es verging kein Tag, an dem 
nicht englische Dampfer torpediert wurden. Hin und 
wieder wurde einmal dem Volke etwas Kunde davon 
gegeben, denn ganz und gar zu verheimlichen war 
es nicht, aber noch immer lebte der gute Bürger 
Old Englands in dem Wahne, daß die britische Herr- 
schaft über das Meer nicht im mindesten bedroht sei. 
Da trat im ersten Drittel des Mai ein Ereignis ein, 
das auch dem Blödesten die Augen öffnen mußte. 
Das zweitgrößte Schiff der englischen Handels- 
flotte, die „Lusitania", Eigentum der Cunard-Linie, 
war am 1. Mai in Neuyork in See gegangen, um 
nach Liverpool zu fahren. Das Schiff hatte schon 
früher den Engländern gute Dienste geleistet; es hatte 
im Februar zwei Untersee- 
boote in seinem Niesenleibe 
nach England befördert, was 
der deutschen Marineleitung 
längst bekanntgeworden war. 
Sie wußte auch, daß es dies- 
mal eine ungeheure Menge 
von Munition nach England 
schaffen sollte. 5400 Kisten 
davon waren in ihm ver- 
staut. Seit Anfang des Krieges 
war es als Hilfskreuzer be- 
waffnet und konnte deshalb 
als Munitionsschlepper und 
als englisches Kriegsschiff nach 
den Regeln des Völkerrechts 
von deutschen U-Booten tor¬ 
pediert werden, ohne daß auf 
die Sicherheit seiner Besatzung 
irgendwelche Rücksicht genom- 
men werden mußte. Trotz- 
dem hatte der englische Kapi- 
tän die ungeheuerliche Ee- 
wissenlosigkeit, zahlreiche Rei- 
sende, darunter auch viele 
Amerikaner, an Bord zu 
nehmen. Der deutsche Bot- 
schafter in den Vereinigten Staaten, Graf Bernstorff, 
hatte zwar einige Tage, bevor das Schiff in See ging, 
in allen Blättern des Landes eine Warnung erlassen, 
daß jeder, der sich auf die „Lusitania" begeben würde, 
das auf eigene Gefahr tue, denn die Deutschen wür- 
den, wenn es möglich wäre, den Dampfer angreifen. 
Einige der hervorragendsten Reisenden, so der ameri- 
kanische Multimillionär Alfred Vanderbilt, waren noch 
von privater Seite besonders gewarnt worden. Aber 
die englische und die von ihr beeinflußte nordameri- 
kanische Presse hatte die deutschen Warnungen ver- 
lacht und verspottet und das Ganze für einen Bluff 
der Deutschen erklärt, die wohl große Worte machen 
könnten, aber nicht die Mittel besäßen, ihre Drohungen 
auszuführen, und nur die Amerikaner abschrecken 
wollten, nach England zu reisen. Dadurch wurden 
die Bedenken der Passagiere zerstreut. Es ist mög- 
lich, daß die Engländer im Ernste glaubten, ein Schiff 
Kapitänleutnant Otto Weddigen, der heldenmütige ver- 
eungte Kommandant von „17 9" und später „II 29". 
Hofphot. Ferd. Urbahns, Kiel. 
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