Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

verdächtig war, kam in den Kerker oder wanderte nach 
Sibirien. Sogar fünf Mitglieder der Reichsduma traf 
ein solches Los. Sie wurden unter der Beschuldigung 
republikanischer Bewegungen zum Verluste aller bürger¬ 
lichen Rechte und zur Verbannung verurteilt. 
Dieser Not erwehrten sich also die beiden Staaten. 
Einer anderen konnten sie sich nicht erwehren. In 
England konnte bis Ende Februar nur von einer 
Kohlenknappheit und -Teuerung geredet werden. In 
Frankreich und noch mehr in Rußland wurde der 
Mangel an dem notwendigen Heizmaterial schon wäh- 
rend des Winters zu einer wirklichen Not. Das hatte 
bei beiden Staaten dieselben Ursachen. Die Teile 
Frankreichs und Rußlands, die vor allen anderen 
Kohle erzeug- 
ten, waren in 
Feindeshand. 
Der größte 
Teil der fran- 
zösischen Kohle 
wurde in den 
Departements 
gegraben, die 
sich in deutscher 
Gewalt befan- 
den. Das eil- 
ropäische Ruß- 
land besaß zwei 
große Kohlen- 
becken, eins im 
Süden desRei- 
ches, eins im 
Westen, und 
das im We- 
sten war in 
die Hände der isamtatswagen. 
Deutschen ge- 
fallen. Kein Wunder, daß sich sehr bald in dem 
Niesenreiche der Kohlenmangel überaus fühlbar machte, 
ja schließlich zu einer Gefahr wurde. Bahnen waren in 
ihrem Betriebe gehindert, Fabriken mußten ihn ein- 
schränken oder ganz einstellen. Daß damit alle Er- 
Zeugnisse der Industrie teurer wurden, versteht sich 
von selbst. Aber merkwürdigerweise wurden auch die 
Lebensmittel, die doch Rußland in so ungeheuren 
Mengen erzeugt, Brot und Fleisch, immer teurer, 
ebenso Wolle und Eisen, und die Preise erreichten im 
Januar und Februar eine geradezu beängstigende 
Höhe. Chemische Erzeugnisse, Farbstoffe, die man 
bisher aus Deutschland bezogen hatte, waren zum 
Teil, wie übrigens in England und Frankreich auch, 
überhaupt nicht mehr zu bekommen. In Rußland, 
wenigstens in den Städten, herrschte schon im Dezember, 
noch fühlbarer drückend in den ersten beiden Monaten 
des neuen Jahres, eine ausgesprochene Teuerung, 
das lag freilich weniger am Mangel von Produkten 
als an der russischen Unordnung, dem Fehlen von 
Beförderungsmitteln, dem Mangel an Organisation?- 
talent. Aber es war schließlich gleichgültig, woran 
es lag. Die Not war da und konnte nicht gehoben 
werden. 
Auch in dieser Hinsicht mußten demnach die Kriegs- 
treiber und Regierungsmänner in den drei Reichen 
einsehen, daß sie sich verrechnet hatten. Aber sie ließen 
sich dadurch nicht entmutigen, denn nach ihrer Mei- 
nung sah es ja in den beiden feindlichen Ländern 
noch viel schlimmer aus. Kam der April, so be- 
gann in Deutschland und Österreich-Ungarn die große 
Hungersnot, die schon im Winter ihre düsteren Schatten 
vorausgeworfen hatte, wie englische und französische 
Zeitungen ihren Lesern täglich vorpredigten. Deutsch- 
land brachte an Getreide und Fleisch nur Dreiviertel 
seines Bedarfes hervor, war mit dem letzten Viertel 
auf die Ein- 
fuhr zur See 
angewiesen. 
Diese Einfuhr 
war ihm un- 
terbunden — 
folglich, so ver- 
kündeten die 
Träger derKul- 
turundMensch- 
lichkeitinParis 
und London, 
können dieVor- 
räte nur drei¬ 
viertel Jahr 
reichen, dann 
sind sie auf- 
gebraucht, und 
dann helfen 
den Deutschen 
und ihren Ver- 
bündeten alle 
Erfolge im 
Felde nichts. Sie müssen sich unterwerfen oder ver- 
hungern. Vor dem Kriege waren noch dazu große 
Mengen von Hafer, Roggen und Weizen von Frank- 
reich, England und Rußland aus in Deutschland auf- 
gekauft worden, was die Vermutung sehr nahe legte, 
daß die betreffenden Regierungen dahintergesteckt und 
den Hungerkrieg vorbereitet hatten. Es wäre in den 
beiden Reichen in der Tat wahrscheinlich zu sehr 
schlimmen Zuständen gekommen und eine Teuerung, 
vielleicht hier und da sogar eine Hungersnot unver- 
meidlich geworden, wenn nicht die Deutschen in der 
Fähigkeit des Organisierens allen Völkern weit über- 
legen gewesen wären. Nicht sogleich, aber immer noch 
früh genug, erkannte die deutsche Regierung die große 
Gefahr, die von dieser Seite her ihrem Volke drohte 
und nahm den Kampf aus wider die drohende Aus- 
hungerung. Anfang November 1914 wurden Höchst- 
preise festgesetzt für alle Getreidearten, um den Preis- 
treibereien der Spekulanten vorzubeugen. Alle Gegen- 
stände, für die Höchstpreise festgesetzt waren, mußte 
der Besitzer der zuständigen Behörde auf ihre Ein- 
forderung hin überlassen. Den Landwirten mußten 
244
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.