Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Feinde, wie möglich, mitzunehmen. Ohne Zweifel 
wurde dadurch die Kriegführung außerordentlich er- 
schwert. Indessen kann den Truppen der Serben 
der Ruhm der Tapferkeit nicht abgesprochen werden, 
so wenig wie denen der Belgier und Franzosen. 
Aber in noch höherem Maße gebührt er den Truppen, 
die den Widerstand eines verzweifelten Volkes über- 
wanden, obwohl sie keineswegs die zahlenmäßige Uber- 
macht besaßen und obwohl ihnen die natürliche Be- 
schaffenheit des Kampfplatzes die schwersten Hinder- 
nisse in den Weg legte. Voll gerechten Stolzes 
erließ der Oberbefehlshaber der österreichisch-unga- 
rischen Balkanstreitkräfte, Feldzeugmeister Potiorek, 
am 16. November folgenden Tagesbefehl an seine 
Truppen: 
„Nach neuntägigen heftigen Kämpfen gegen einen hart- 
näckigen, an Zahl überlegenen, in fasr unbezwinglicher Be- 
festigung sich verteidigenden Gegner, nach neuntägigen Mär- 
schen durch unwegsame Felsgebirge uud grundlose Sümpfe 
bei Regen, Schnee und Kälte haben die tapferen Truppen 
der V. und VI. Armee die Kolubara erreicht und den Feind 
zur Flucht gezwungen. Über 8000 Gefangene wurden in 
diesen Kämpfen gemacht, 42 Geschütze, 31 Maschinengewehre 
und reiches Kriegsmaterial erobert. 
Das Vaterland wird dieser Leistung seine Dankbarkeit und 
Bewunderung nicht versagen." 
Der Siegeszug des österreichisch-ungarischen Heeres 
ging zunächst noch weiter. Am 24. November über¬ 
schritt es die sumpfigen Niederungen der Kolubara und 
erstürmte den Mittelpunkt der serbischen Schlachtlinie 
bei Lazarervatsch. Am 28. zog es in Uschitze ein, 
nachdem es zuvor die feste Stellung der Serben am 
Siljak genommen hatte. Am 2. Dezember konnte 
Potiorek seinem ehrwürdigen Monarchen, der an 
diesem Tage sein sechsundsechzigjähriges Regierungs- 
jubiläum beging, die Meldung übermitteln, daß seine 
Truppen unter General Frank in die feindliche Haupt- 
stadt Belgrad eingezogen seien. Ein Sturm der 
Freude durchbrauste Österreich, und auch in Deutsch- 
land erweckte die Kunde überall den größten 
Jubel. Die Stadt der Königsmörder und Verschwörer 
war endlich in Österreichs Gewalt; die volle Sühne 
des Verbrechens von Serajewo schien nahe bevor- 
zustehen. Potiorek war mit einem Schlage der volks- 
tümlichste Mann der Monarchie, der Held des Tages. 
Aber nach einer Woche schon verblich sein Stern. 
Am 7. Dezember ging das serbische Heer, das wahr- 
scheinlich durch griechische Freiwillige und sicher durch 
viele Russen verstärkt war, wieder zum Angriff über 
und drängte am 10. Dezember den rechten Flügel 
der österreichischen Armee zurück. Am 15. Dezember 
mußte Potiorek melden, die militärische Lage habe 
es ratsam erscheinen lassen, Belgrad fürs erste wieder 
aufzugeben. Die Stadt war kampflos geräumt 
worden. 
Dieser jähe Wechsel des Kriegsglücks erregte selbst- 
verständlich bei den Feinden Osterreich-Ungarns die 
höchste Freude, im Donaureich und in Deutschland 
dagegen Bestürzung und Beunruhigung. Die zahl- 
losen Schlachtendenker der Bierbank und die Kriegs- 
weisen der Stammtische entrüsteten sich über Potiorek 
und raunten mit geheimnisvollen Mienen einander zu, 
die Kaiserliche und Königliche Armee habe die unge- 
heuersten Verluste erlitten, der Feldzug gegen Serbien 
sei so gut wie verloren. Solches Geschwätz erschreckte und 
verwirrte viele, und deshalb wurde es überall mit 
Freude begrüßt, daß die österreichische Regierung eine 
amtliche Erklärung über den Unfall und seine Ur- 
sachen erließ. Sie war datiert vom 23. Dezember 
und lautete: 
„Die nach dem siegreichen Vorgehen in Serbien erfolgte 
Zurücknahme unserer Kräfte hat verschiedene, teilweise ganz 
unbegründete Gerüchte entstehen lassen. Es soll daher hier- 
mit auf Grund jener Erhebungen, die ohne Verzug auf aller- 
höchsten Befehl durch eine hohe militärische Vertrauensperson 
an Ort und Stelle gepflogen worden sind, Aufklärung ge- 
geben werden. 
Nach den erkämpften Erfolgen hatte das Oberkommando 
der Balkan streitkräfte die Erreichung des idealen Zieles aller 
Kriegsführung, die völlige Niederwerfung des Gegners ins 
Auge gefaßt, dabei aber zu überwindenden Schwierigkeiten 
nicht genügend Rechnung getragen. 
Infolge der Ungunst der Witterung waren die 
wenigen, durch unwirtliches Terrain führenden Nachschub- 
linien in einen solchen Zustand geraten, daß es unmöglich 
wurde, der Armee die notwendige Verpflegung und Munition 
zuzuführen. Da gleichzeitig der Feind neue Kräfte gesammelt 
haue und zum Angriff überging, mußte die Offensive abge- 
Krochen werden, und es war ein Gebot der Klugheit, die 
Armee nicht unter ungünstigen Verhältnissen zum entscheiden- 
den Kampfe zu stellen. Unsere in Serbien eingedrungenen 
Streitkräfte sind, den widrigen Verhältnissen nachgebend, zu- 
rückgegangen; sie sind aber nicht geschlagen, sie sehen unge- 
brochenen Mutes neuen Kämpfen entgegen. Wer unsere 
braven Truppen nach dem beschwerlichen Rückzug gesehen 
hat, der mußte erkennen, welch hoher Wert in ihnen wohnt. 
Daß wir bei diesem Rückzüge empfindliche Verluste an Mann 
und Material hatten, war unvermeidlich. Hierbei sei festge- 
stellt, daß die über das Maß unserer Verluste verbreiteten 
Nachrichten über die Tatsachen weit hinausgehen. 
Seit einer Reihe von Tagen stehen die vom allerbesten 
Geiste beseelten Truppen in guten Unterkünften; sie werden 
mit allem Erforderlichen versehen; sie harren ihrer ferneren 
Verwendung. Bisher kam es an den Grenzen nur zu unbe- 
deutenden Plänkeleien zwischen Patrouillen. 
Seine Majestät geruhten, den bisherigen Oberkomman- 
damen auf seine aus Gesundheitsrücksichten gestellte Bitte 
vom Kommando zu entheben und an seine Stelle Seine 
Kaiserliche und Königliche Hoheit den General der Kavallerie, 
Erzherzog Eugen, zu ernennen. Die Nachricht, daß Höchst- 
derselbe das so wichtige Kommando über die Balkanstreit- 
kräfte übernimmt, wird in der Armee, in der der Herr Erz- 
herzog höchstes Vertrauen und begeisterte Verehrung genießt, 
mit dankbarem Jubel ausgenommen werden." 
Mit allem Freimut war hier zugegeben, daß sich 
die österreichisch-ungarische Führung über die Stärke 
und Widerstandskraft des serbischen Heeres getäuscht 
hatte — wie übrigens alle Welt, denn nach den 
Zeitungsberichten mußte schon Anfang Dezember das 
Serbenheer durch Mangel an Lebensmitteln und 
Krankheiten fast zugrunde gegangen sein. Aber 
von einer vernichtenden Niederlage der österreichisch- 
ungarischen Streitmacht, die gegen Serbien im Felde 
stand, konnte gar nicht die Rede sein. 
Im übrigen geschah auf diesem Kriegsschauplatz 
bis zum Ende des Jahres nichts von Bedeutung. 
Der Versuch der wackeren Czernagorzen, die öfter- 
reichisch-ungarischen Grenzfestungen Trebinje und 
Bileca anzugreifen, ist kaum der Erwähnung wert. 
Sie wurden mit leichter Mühe zurückgewiesen. 
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