Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

Ja, eine Zeitlang glaubte man, es sei in den 
Schützengräben von unbekannten Soldaten gedichtet 
worden. Es wurde von allen Zeitungen nachgedruckt, 
in Volksversammlungen voller Begeisterung vorge- 
tragen, mehrfach vertont und muß deshalb als ein 
wichtiges Dokument der Zeit betrachtet werden. 
Auch den Führern des Volkes waren die Gefühle 
nicht fremd, die jenes Lied aussprach. Der Kaiser 
ließ Lissauers Haßgesang in der Armee verbreiten 
und sprach den Wunsch aus, die Engländer möchten 
im Felde einmal mit den Bayern zusammentreffen. 
Was er damit sagen wollte, verstand in Deutschland 
jedermann. Als dann der kaiserliche Wunsch in Er- 
füllung ging, erließ der kernige Kronprinz Rupprecht 
von Bayern am 27. Oktober folgenden Armeebefehl 
an seine Truppen: 
„Soldaten der XI. Armee! 
Wir haben nun das Glück, auch die Engländer vor unserer 
Front zu haben, die Truppen jenes Volkes, dessen Neid seit 
Jahren an der Arbeit rvar, uns mit einem Ring von Feinden 
zu umgeben, um uns zu erdrosseln. Ihm haben wir diesen 
blutigen, ungeheuren Krieg vor allem zu verdanken. Darum, 
wenn es jetzt gegen diesen Feind geht, übt Vergeltung wider 
die feindliche Hinterlist, für so viele schwere Opfer, zeigt ihnen, 
daß die Deutschen nicht so leicht aus der Weltgeschichte zu 
streichen sind, zeigt ihnen das durch deutsche Hiebe von ganz 
besonderer Art. Hier ist der Gegner, der der Widerherstel- 
lung des Friedens am meisten im Wege steht. Drauf! 
Rupprecht!" 
Auch das war deutlich und verständlich fürjeden, der es 
nur einigermaßen verstand, zwischen den Zeilen zu lesen. 
In den letzten Oktobertagen befanden sich die 
deutschen Truppen auf dem flandrischen Kriegsschau- 
platze, in den Argonnen und bei Lille in einer er- 
folgreichen Angriffsbewegung. An anderen Stellen 
der ungeheueren Kampflinie beschränkten sie sich dar- 
auf, ihre Stellungen gegen feindliche Vorstöße zu 
verteidigen. Am 28. beteiligten sich wieder englische 
Kriegsschiffe, 16 an der Zahl, am Kampfe. Aber die 
Deutschen drangen trotzdem immer weiter vor, nahmen 
am 30. ein paar hundert Engländer gefangen, erstürm- 
ten am letzten Oktobertage Ramscappelle und Biae- 
schoote, Zanvoorde, Schloß Hollebeke und Wambeek. 
Bei Lille wurden am 29. mehrere befestigte Stel- 
hingen des Feindes mit 4 Geschützen erobert, 16 eng- 
lische Offiziere und 300 Mann gefangengenommen. 
Angriffe wurden abgewiesen bei Arras (26.), bei 
Verdun (28., 29. und 31.), wo der Gegenangriff dazu 
führte, daß die deutschen Truppen bis in die feind- 
liche Hauptstellung vorstießen und sie nahmen, ebenso 
bei Toul (31.). An demselben Tage erstürmten die 
Deutschen Vailly, machten 1500 Gefangene und er- 
beuteten 2 Maschinengewehre. Bei allen diesen 
Kämpfen hoben die Berichte der deutschen Obersten 
Heeresleitung die schweren Verluste hervor, die Fran- 
zosen und Engländer erlitten hatten. 
Anfang November zerstörten die Belgier die 
Schleusen des Wer-Dper-Kanals und setzten so die 
Gegend südlich von Nieuport unter Wasser. Sie taten 
damit dasselbe, was ihre Väter in den Zeiten der 
niederländtsch-spanischen Kämpfe getan hatten, und 
für den Augenblick ward ihnen das entfesselte Element 
ein wertvoller Bundesgenosse. Denn am 3. November 
mußte das deutsche Hauptquartier melden: 
„Die Überschwemmungen südlich Nieuport schließen jede 
Operation in dieser Gegend aus. Die Lcindereien sind für 
lange Zeit vernichtet. Das Wasser steht zum Teil über 
mannshoch. Unsere Truppen sind aus dem überschwemmten 
Gebiet ohne Verlust an Mann, Pferden, Geschützen und Fahr- 
zeugen herausgezogen." 
Verschiedene Militärschriftsteller haben die Vermu- 
tung ausgesprochen, die Überschwemmung sei auf 
Rat oder vielmehr auf Befehl der Engländer erfolgt, 
und das hat in der Tat viel Wahrscheinlichkeit für 
sich. Das ganze furchtbare, blutige Ringen um das 
letzte Stück belgischer Erde geschah nur im Interesse 
Englands, das hier den Zugang zu Dünkirchen und 
Calais verteidigte. Den Belgiern selbst konnte nichts 
daran liegen, die letzten 40 oder 50 Quadratkilometer 
ihres Bodens, die sich noch nicht in deutschem Besitz 
befanden, mit dem Blute Tausender zu überströmen 
und dazu noch das fruchtbare Land auf Jahre hinaus 
zu verwüsten. Übrigens stellte es sich sehr bald heraus, 
daß die Überschwemmung den kriegerischen Unter- 
nehmungen der Verbündeten ebenso hinderlich oder 
noch hinderlicher war als denen des Feindes. 
Die Berichte über die Vorgänge der nächsten Tage 
lauteten also: 
3. November: 
„Unsere Angriffe auf Dpres schreiten vorwärts. Uber 
2300 Mann, meist Engländer, wurden zu Gefangenen gemacht 
und mehrere Maschinengewehre erbeutet. In der Gegend 
westlich Roye fanden erbitterte, für beide Seiten verlustreiche 
Kämpfe statt, die aber keine Veränderung der dortigen Lage 
brachten. Wir verloren dabei in einem Dorfgefecht einige 
hundert Mann als Vermißte und zwei Geschütze. 
Von gutem Erfolg waren unsere Angriffe an der Aisne 
östlich Soissons. Unsere Truppen nahmen trotz heftigen 
Widerstandes mehrere stark befestigte Stellungen im Sturm, 
setzten sich in Besitz von Chavonnes und Soupier, machten 
über 1000 Franzosen zu Gefangenen und eroberten drei Ge- 
schütze und vier Maschinengewehre. 
Neben der Kathedrale von Soissons brachten die Fran- 
zosen eine schwere Batterie in Stellung, deren Beobachter auf 
dem Kathedraleturm erkannt wurde. Die Folgen eines solchen 
Verfahrens, in dem ein System erblickt werden muß, liegen 
auf der Hand. 
Zwischen Verdun und Toul wurden verschiedene Angriffe 
der Franzosen abgewiesen. Die Franzosen trugen teilweise 
deutsche Mäntel und Helme. In den Vogesen in der Gegend 
von Markirch wurde ein Angriff der Franzosen abgeschlagen. 
Unsere Truppen gingen hier zum Gegenangriff über." 
4. November: 
„Unsere Angriffe auf Upern nördlich Arras und östlich Sois- 
sons schreiten langsam, aber erfolgreich fort. Südlich Verdun 
und in den Vogesen wurden französische Angriffe abgewiesen." 
5. November: 
„Gestern unternahmen Belgier, unterstützt von Engländern 
und Franzosen, einen heftigen Ausfall über Nieuport zwischen 
dem Meere und dem Überschwemmungsgebiet. Sie wurden 
mühelos abgewiesen. Bei Vpern und südwestlich Lille sowie 
Berry-au-Bac in den Argonnen und in den Vogesen schreiten 
unsere Angriffe vorwärts." 
6. November: 
„Unsere Offensive nordwestlich und südwestlich Upres machte 
gute Fortschritte. Auch bei La Basse nördlich Arras und in 
den Argonnen wurde Boden gewonnen. Unter schweren Ver- 
lüften für die Franzosen eroberten unsere Truppen einen 
Stützpunkt in Bois Brule südwestlich von St. Mihiel." 
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