Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

des Mittelländischen Meeres zu konzentrieren, wobei ihm als 
Stützpunkt für die Flotte Malta zur Verfügung gestellt wird. 
Die Details beziehen sich auf die Verwendung von französi- 
schen Torpedoflottillen und Unterseebooten im Kanal und des 
englischen Mittelmeergeschwaders, das bei Ausbruch des Krieges 
dem französischen Admiral unterstellt wird. 
Inzwischen hat die Haltung der englischen Negierung wäh- 
rend der marokkanischen Krisis im Jahre 1911, in der sie sich 
als ein ebenso kritikloses wie gefügiges Werkzeug der franzö- 
fischen Politik erwiesen und durch die Lloyd Georgesche Rede 
den französischen Chauvinismus zu neuen Hoffnungen er¬ 
mutigt hat, der französischen Negierung eine Handhabe ge- 
boten, um einen weiteren Nagel in den Sarg zu treiben, in 
den die Ententepolitik die politische Entschließungsfreiheit Eng- 
lands bereits gebettet hat. 
Von besonderer Seite erhalte ich Kenntnis von einem Roten- 
Wechsel, der im Herbst des vergangenen Jahres zwischen Sir 
Edward Grey und dem Botschafter Cambon stattgefunden 
hat, und den ich mit der Bitte um streng vertrauliche Vehand- 
lung hier vorzulegen die Ehre habe. In dem Notenwechsel 
vereinbaren die englische und französische Regierung für den 
Fall eines drohenden Angriffs von feiten einer dritten Macht 
sofort in einen Meinungsaustausch darüber einzutreten, ob 
gemeinsames Handeln zur Abwehrung des Angriffs geboten sei 
und gegebenenfalls, ob und inwieweit die bestehenden militäri- 
schen Vereinbarungen zur Anwendung zu bringen sein würden. 
Die Fassung der Vereinbarungen trägt mit feiner Berech* 
nung der englischen Mentalität Rechnung. England über- 
nimmt formell keinerlei Verpflichtung zu militärischer Hilfe- 
leistung. Es behält dem Wortlaut nach die Hand frei, stets 
nur seinen Interessen entsprechend handeln zu können. Daß 
sich aber durch diese Vereinbarungen in Verbindung mit den 
getroffenen militärischen Abmachungen England de facto dem 
französischen Revanchegedanken bereits rettungslos verschrieben 
hat, bedarf kaum einer besonderen Ausführung. 
Die englische Regierung spielt ein gefährliches Spiel. Sie 
hat durch ihre Politik in der bosnischen und in der marokka- 
nischen Frage Krisen hervorgerufen, die Europa zweimal an 
den Rand eines Krieges brachten. Die Ermutigung, die sie 
direkt wie indirekt andauernd dem französischen Chauvinismus 
zuteil werden läßt, kann eines Tages zu einer Katastrophe 
führen, bei der englische wie französische Soldaten auf fran- 
zösischen Schlachtfeldern englische Einkreisungspolitik mit ihrepr 
Blute bezahlen werden. 
Die Saat, die König Eduard gesät hat, geht auf. 
Brief Sir Edward Greys an den französischen 
Botschafter Paul Cambon: 
Foreign Office, den 22. November 1912. 
Mein lieber Gesandter! Von Zeit zu Zeit in den letzten 
Jahren haben die französischen und britischen Marine- und 
Militärfachleute miteinander beraten. Es hat sich dabei immer 
von selbst verstanden, daß eine solche Beratung nicht die Frei- 
heit einer jeden Negierung einschränke, in irgend welcher Zu- 
kunft zu entscheiden, ob der anderen mitbewaffneten Macht 
beizustehen sei oder nicht. Wir sind überein gekommen, daß 
diese Beratung zwischen den Fachleuten weder jetzt, noch in 
der Zukunft als eine Verpflichtung für die Regierungen an- 
gesehen werden soll, in gewissen Fällen die sich noch nicht 
ereignet haben, und die sich niemals ereignen mögen, han- 
delnd einzugreifen. Die Anordnung z. B. der britischen und 
französischen Flotte bezüglich des gegenwärtigen Augenblicks 
ist nicht begründet auf eine Verpflichtung zum Zusammen- 
wirken im Kriege. 
Sie haben indessen darauf hingewiesen, daß, wenn eine 
der beiden Regierungen gewichtigen Grund hätle, einen nicht 
herausgeforderten Angriff oon einer dritten Macht zu er- 
warten, es wesentlich sein würde, zu wissen, ob sie bei einem 
solchen Ereignis auf die bewaffnete Hilfe der anderen rechnen 
könne. Ich stimme damit überein, daß, wenn eine der beiden 
Regierungen gewichtigen Grund hätte, einen nicht heraus- 
geforderten Angriff von einer dritten Macht oder sonst etwas 
den allgemeinen Frieden Bedrohendes zu erwarten, sie sofort 
mit der anderen erörtern sollte, ob beide Regierungen zusam- 
men handeln sollen, um dem Angriff zuvorzukommen und 
den Frieden zu bewahren, und wenn, welche Maßnahmen sie 
zu gemeinsamen Vorgehen vorbereiten sollen. Wenn diese 
Maßnahmen zum Eingreifen führen sollten, wären die Pläne 
der Generalstäbe zunächst in Betracht zu ziehen und die Regie¬ 
rungen würden dann entscheiden, welche Folge ihnen gegeben 
werden soll. 
Brief des französischen Botschafters M. Paul 
Cambon an Sir Edward Grey. 
London, den 23. November 1912. 
Durch Ihren Brief vom gestrigen 22. November haben Sie 
mich daran erinnert, daß in den letzten Jahren die Militär- 
und Marinebevollmächtigten Frankreichs und Großbritanniens 
sich von Zeit zu Zeit beraten haben, und daß dies stets so 
verstanden wurde, daß diese Beratungen nicht die Freiheit 
jeder Regierung beschränkten, in der Zukunft zu entscheiden, 
ob eine der anderen bewaffnete Hilfe leisten will, und daß 
ferner nach Ubereinkunft weder jetzt noch künftig diese Be- 
ratungen als eine Verpflichtung angesehen werden sollten, 
die unsere Regierungen in gewissen Fällen zum Eingreifen 
verbände, daß ich indessen Sie darauf aufmerksam mache, 
wenn die eine oder andere Regierung gewichtige Gründe habe, 
einen nicht herausgeforderten Angriff von dritter Macht zu 
erwarten, es wesentlich sein würde, zu wissen, ob sie auf die 
bewaffnete Hilfe der anderen zählen könne. Ihr Brief ant- 
wortet auf diese Bemerkung, und ich bin ermächtigt, Ihnen 
zu erklären, daß, wenn eine unserer beiden Regierungen ge- 
wichtigen Grund hätte, entweder einen Angriff einer dritten 
Macht, oder irgendein den allgemeinen Frieden bedrohendes 
Ereignis zu erwarten, diese Regierung sofort mit der anderen 
beraten würde, ob die beiden Regierungen zusammen handeln 
sollen, um dem Angriff zuvorzukommen, oder den Frieden 
zu bewahren. In diesem Falle würden die beiden Regie- 
rungen über die gemeinsamen Maßnahmen beraten, welche 
sie zu ergreifen gedenken. Wenn diese Maßnahmen zu einem 
gemeinsamen Vorgehen führen sollten, würden die beiden 
Regierungen sofort die Pläne ihrer Generalstäbe in Betracht 
ziehen und dann darüber entscheiden, welche Folge diesen 
Plänen gegeben werden soll. 
Mai 1914. 
Über die politischen Ereignisse des Besuchs des Königs von 
England in Paris erfahre ich, daß zwischen Sir Edward Grey 
und Herrn Doumergue eine Reihe politischer Fragen erörtert 
worden ist. Außerdem ist französischerseits die Anregung erfolgt, 
die bestehenden besonderen militärpolitischen Abmachungen 
zwischen Frankreich und England durch analoge Abmachungen 
zwischen England und Rußland zu ergänzen. Sir Edward 
Grey hat den Gedanken sympatisch aufgenommen, sich aber 
außerstande erklärt, ohne Befragen des englischen Kabinetts 
irgendeine Bindung zu übernehmen. Der Empfang der eng- 
tischen Gäste durch die französische Regierung sowie die Pariser 
Bevölkerung soll den Minister in hohem Grade beeindruckt 
haben. Es ist zu befürchten, daß der englische Staatsmann, 
der zum ersten Male in amtlicher Eigenschaft im Ausland 
geweilt und, wie behauptet wird, überhaupt zum ersten Male 
den englischen Boden verlassen hat, französischen Einflüssen 
in Zukunft noch in höherem Grade unterliegen wird, als das 
bisher schon der Fall war. 
.... Juni 1914. 
Die Nachricht, daß französischerseits anläßlich des Besuchs 
des Königs von England in Paris militärische Abmachungen 
zwischen England und Rußland angeregt worden sind, wird 
mir bestätigt. Uber die Vorgeschichte erfahre ich zuverlässig, 
daß die Anregung auf Herrn Jswolski zurückgeht. Der Ge- 
danke des Botschafters war es gewesen, die erwartete Fest- 
stimmung der Tage von Paris zu einer Umwandlung der 
Tripleentente in ein Bündnis nach Analogie des Dreibundes 
auszunutzen. Wenn man sich schließlich in Paris und Peters- 
bürg mit weniger begnügt hat, so scheint dafür die Erwägung 
maßgebend gewesen zu sein, daß in England ein großer Teil 
der öffentlichen Meinung dem Abschluß förmlicher Bündnis- 
vertrüge mit anderen Mächten durchaus ablehnend gegenüber- 
steht. Angesichts dieser Tatsache hat man sich trotz der zahl- 
reichen Beweise für den gänzlichen Mangel an Widerstands- 
kraft der englischen Politik gegen Einflüsse der Entente — ich 
darf an die Gefolgschaft erinnern, die noch jüngst Rußland in 
der Frage der deutschen Militärmission in der Türkei von 
England erfahren hat — offenbar gescheut, gleich mit der Tür 
ins Haus zu fallen. Es ist vielmehr die Taktik langsam schritt- 
weisen Vorgehens beschlossen worden. Sir Edward Grey hat
	        
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