Falle eines Krieges nicht nur auf einen deutschen, son-
dern ebenso sehr auf einen französischen Einbruch ge-
faßt sein müsse und rät der Regierung in Brüssel,
alle Maßnahmen dagegen zu ergreisen. Baron Greindl
war ohne Zweifel ein ehrlicher Mann und ein Vater-
landsfreund,
aber er hatte
offenbar keine
Ahnung von
derNeigung sei¬
nes Königs für
England und
ebensowenig
eine Kenntnis
davon, daß die
Brüsseler Regie-
rung ihre Stel-
lung in einem
zukünftigen
Kriege bereits
festgelegt hatte.
Diese Ent-
hüllungen der
„Norddeutschen
Allgemeinen
Zeitung" riefen
überall das
größte Erstau-
nen hervor. Wie
sie auf die neutralen Länder wirkte, das läßt sich z. B. aus
einem Artikel der „Neuen Züricher Nachrichten" erken-
nen, der hier im Auszuge wiedergegeben werden soll:
„Belgien seit 1906 Geheim-Verbündeter England-
Frankreichs, das ist die dokumentarische Ent-
hüllung, die der Draht heute übermittelt,
indem zugleich amtlich die darauf bezüg-
lichen Aktenstücke mitgeteilt werden.
Seit der Veröffentlichung des
Depeschemvechsels zwischen Zar und
dem Deutschen Kaiser, sowie zwi-
schen Kaiser und König Georg
von England anfangs August
ist keine diplomatische Enthül-
lung von der gleichen durchschla-
genden Wucht mehr erfolgt.
Es ist nun durch Original-
dokumente für alle Zeiten
festgelegt, daß eine förmliche
Verschwörung gegen Deutsch-
land von feiten Frankreich-
Englands — Nußland natür¬
lich auch dabei — schon seit
1906, d. h. nach der Algeciras-
konferenz und zur Zeit der Ein-
kreisungspolitik Eduards VII.
bestand und daß Belgien sich
bereits damals zum Verbün¬
deten dieser Verschwörung ge-
macht hatte. Daß sein König
und seine Regierung damit den
denkbar schwersten Neutralität^
bruch nicht nur gegen Deutsch-
land, sondern auch gegenüber
Osterreich begingen, mußte bei-
den von vornherein klar sein
und nicht weniger, daß sie nicht bloß diesen beiden Staaten,
sondern auch dem belgischen Volke gegenüber ein schwer zu
qualifizierendes Spiel der Täuschung trieben, da sie trotz¬
Das Rathaus in Lille, von deutschen Granaten getroffen.
dem nach außen den Schein der Neutralität aufrecht zu er-
halten suchten.
Wer Zeuge davon sein mußte, wie französische und englische
Staatsmänner zu Beginn des Krieges ganze Entrüstungssalven
über den Völkerrechts- und Vertragsbruch Deutschlands- an
Belgien losließen, wie sie das sittliche Gewissen der ganzen
zivilisierten Welt dagegen in die Schranken riefen, ihre eigenen
Völker damit auf-
peitschten und sich
zu Rittern und
Rettern der Rechte
kleiner Staaten
aufwarfen, und
nun die nicht um-
zustoßenden Be-
weise vor sich sieht,
daß sie diesen
Entrüstungssturm
und Gewissens-
appell im vollen
Bewußtsein dessen
verübten, daß ja
gerade sie oder
ihre Vorgänger an
Belgien begangen
hatten, wessen sie
Deutschland be-
schuldigten und
was zu Belgiens
Verhängnis wurde
— den erfaßt Ekel
ob solcher Staats-
kunst.
Die deutsche Po-
litikstehtnun selbst
für den bisherigen
Zweifler auch in
der belgischen
Sache ohne Makel
da, intakt und
groß, da Deutschland trotz allem Belgien seit dem Einmarsch
noch zweimal die Hand zum Frieden bot.
Daß Belgien allen Grund gehabt hätte, diese Hand anzu-
nehmen, weiß man erst jetzt so recht. Es wies sie zurück und
hat damit seine Geschicke endgültig besiegelt."
Selbstverständlich versuchte die belgische
Regierung sich gegen diese Anschul-
digungen zu rechtfertigen. Sie
erklärte, der im Brüsseler
Kriegsarchive aufgefundene
Plan eines englischen Ein-
greifen? in Belgien gegen
Deutschland sei eine Pri¬
vatabmachung zwischen
dem englischen Militär-
attache in Brüssel, Oberst
Barnardiston, und dem
Chef des belgischen Gene-
ralstabes, General Du-
carme. Das Telegramm
des Barons Greindl be-
ziehe sich auf den Plan
zur Verteidigung von Lu-
zcemburg, der die Billigung
des Kriegsministeriums
nicht gefunden habe. Die
„Norddeutsche Allgemeine
Zeitung" solle das Ergeb-
nis ihrer Entdeckungen in
den belgischen Eeheimakten vollständig veröffentlichen,
dann werde man sehen, mit welcher Ehrlichkeit,
Rasttag in Sillery in Frankreich.
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