Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

längst gefallen war, und hunderttausend Deutsche 
fanden davor ihr Grab. Die Russen belagerten Wien 
und standen beständig einige Meilen von Berlin, und 
es war nur verwunderlich, daß sie noch nicht hin- 
gelangt waren. Der deutsche Kaiser war unzählige 
Male verwundet, wohl jeder seiner Söhne ein- und 
mehrmals getötet oder in Gefangenschaft geraten, 
besonders der Kronprinz bewies eine erstaunliche 
Fertigkeit darin, immer wieder zu sterben und immer 
wieder aufzuerstehen. Das Elsaß und der größte Teil 
Lothringens war natürlich in französischen Händen, 
denn die Deutschen flohen überall, und das war das 
Beste für sie, was sie tun konnten, denn sie wurden 
sonst brigadeweise vernichtet. Hielten sie aber irgend- 
wo Stand und trugen einen kleinen Erfolg davon — 
pah. das nützte ihnen gar nichts, denn der Krieg war 
ja von vornherein entschieden. In England war ein 
entsetzlicher Explosivstoff erfunden, das Turpin. Eine 
damit gefüllte Granate ertötete alles Leben im Um- 
kreis eines Kilometers. Man hatte ihn dem Prä- 
sidenten Poincare vorgelegt, aber dieser alte Menschen- 
freund hatte ihn für gar zu schrecklich erklärt. Er 
sollte erst angewendet werden, wenn man sich der 
germanischen Barbaren auf keine andere Weise mehr 
erwehren könne. 
Uber diese und andere Ausbrüche englisch-gallischen 
Blödsinns ist man ja versucht, mit Bismarck zu sagen: 
„Dor lach' ick över". Aber die Sache hatte doch ihre 
sehr bedenkliche Seite. Es wurde dadurch den neu- 
tralen Staaten eine falsche Meinung von den Macht- 
Mitteln der Feinde Deutschlands und von der Stärke 
der beiden verbündeten Kaiserreiche beigebracht, und 
die Deutschen, die draußen lebten, wurden in die 
größten Sorgen und Kümmernisse gestürzt. Unzäh- 
lige Briefe von Auslandsdeutschen, die später in 
die Heimat kamen, sind rührende und ergreifende 
Zeugnisse für den furchtbaren Druck, unter dem diese 
Leute lebten. Sie hörten immer nur von deutschen 
Niederlagen und von schrecklichen Dingen, die in 
Deutschland oder gegen Deutschland geschahen, sie 
konnten sich aus dem Lügengestrüpp nicht heraus- 
finden und hielten ihr Vaterland für verloren. 
Vielleicht noch schlimmer und bedrückender wiikte 
es auf ihr Gemüt, daß sie es auch sür entehrt halten 
mußten, denn die feindliche Hetzpresse legte es vor 
allem darauf an, den guten Namen der Deutschen 
in den Kot zu ziehen, den deutschen Truppen und 
ihren Führern die abscheulichsten Gemeinheiten anzu- 
dichten. In Belgien war der Franktireurkrieg ent- 
fesselt, wofür, wie jetzt erwiesen ist, die belgische 
Regierung selbst die Verantwortung trägt. Nun ist 
es Kriegsrecht, daß die Bauern, die ohne Abzeichen 
und ohne einem Kommando zu unterstehen aus dem 
Hinterhalte schießen, den Mördern gleich geachtet und 
mit dem Tode bestraft werden. Das mußte hier in 
vielen hundert Fällen geschehen und mußte auch an 
Frauen vollstreckt werden, denn die belgischen Weiber 
waren zum Teil zu Megären geworden und ließen 
sich größere Schändlichkeiten zuschulden kommen 
als die Männer. Ebenso ist es Kriegsrecht, daß Ort- 
schasten niedergebrannt werden, deren Bewohner sich 
am Kampfe beteiligen. Das ist sehr hart, aber not- 
wendig zur Sicherung der Soldaten gegen ruchlose 
Uberfälle, und eine Truppe, die sich in steter Todes- 
gefahr befindet, hat ein Recht darauf, sich mit allen 
Mitteln wenigstens gegen den Meuchelmord zusichern. 
Darum mußten zahlreiche belgische Dörfer in Brand 
gesteckt, auch an russischen Grenzorten, so an dem 
Städtchen Kalisch, mußte ein derartiges Strafgericht 
vollstreckt werden. Bilder solcher halb- oder ganz 
zerstörter Ortschaften füllten nun alle englischen 
illustrierten Zeitungen. Dazu wurden die haarsträu- 
bendsten Schauergeschichten erzählt von den Gräuel- 
taten, die von den deutschen Barbaren an der wehr- 
losen Bevölkerung verübt worden seien. Noch lauter 
wurden die Anklagen, als ein Teil der Stadt Löwen 
wegen des blutigen Widerstandes ihrer Bürger zer- 
stört werden mußte, und am wüstesten wurde der 
Alarm, als die Deutschen die uralte prachtvolle Käthe- 
drale von Reims zu beschießen wagten. Die Fran- 
zosen hatten auf ihre Zinne einen Beobachtungsposten 
aufgestellt und benutzten das Gotteshaus als Deckung 
für ihre Artillerie. Die Deutschen gingen demgegen- 
über von dem richtigen Grundsatz aus, daß ihrer 
Soldaten Blut und Leben höher stände, als alte 
Kunstwerke von Stein und nahmen die Franzosen 
trotz ihrer Deckung unter Feuer, wobei natürlich der 
Vau beschädigt werden mußte. Sofort erhob sich aus 
das Zeichen der englischen und französischen Presse 
ein Entrüstungssturm von allen Seiten, ein Wut- 
geheul in der ganzen Welt. Überall in den krieg- 
führenden und in den neutralen Landen wurden 
Versammlungen abgehalten und flammende Proteste 
dagegen erhoben, daß die Deutschen den Krieg in 
barbarischer Weise führten und sogar gegen Kunst- 
werke ersten Ranges ihre Geschütze richteten. Natür- 
lich verschwiegen die Zeitungen, die diesen Sturm er- 
regten, wohlweislich, daß die Franzosen den wunder- 
vollen Bau zum Kriegsmittel gemacht hatten. Eben- 
so verschwiegen sie, daß seine Beschädigungen durch 
die deutschen Granaten leicht wieder herzustellen 
waren und den künstlerischen Eindruck des Bauwerkes 
nicht einmal gestört hatten. Das kam nachher an 
den Tag, und mancher, der im Ubereifer mit pro- 
testiert hatte, mag sich, als er das erfuhr, selbst lächer- 
lich vorgekommen sein. Bei vielen war der Protest 
überhaupt nichts weiter als eine große Heuchelei, 
denn sie hatten den Dom, um derentwillen sie 
sich ins Zeug legten, niemals gesehen. Er be- 
deutete für ihr geistiges Leben nicht das mindeste. 
Ganz besondere Entrüstung erregte es in Deutschland, 
daß sich diesen unsinnigen Protesten auch Männer 
anschlössen, die uns unendlich viel zu danken hatten. 
So vor allen Dingen der Genfer Maler Hodler und 
der belgische Dichter Maurice Maeterlinck. Beide waren 
in Deutschland zu ihrem Ruhm und ihrem Vermögen 
gekommen, jetzt statteten sie aus eigenartige Weise 
ihren Dank dafür ab. 
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