Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

es vor allem auf die überseeischen Besitzungen der 
Grande Nation abgesehen. In England wurde dem 
Volke der Jnvasionsgedanke eingeprägt. Jeden Morgen 
las der Brite schaudernd in seiner Zeitung, daß Wilhelm 
der Eroberer mit seinem Schlachthaufen übers Meer 
fahren und ihm schweres Geld abnehmen werde. In 
Rußland wurde verbreitet, es sei allein Deutschlands 
Werk, daß das Zarenreich auf dem Balkan nicht vor- 
wärts komme, und daß man die freie Fahrt durch die 
Dardanellen noch immer nicht habe. Wo Haß und Ab- 
neigung gegen Deutschland vorhanden waren, wurden 
sie gestärkt, wo sie fehlten, wie in Rußland, wurden 
sie künstlich gepflegt und großgezogen. 
Neben den eigenen Völkern belog man die fremden. 
In China, in Japan, in der Türkei beeinflußte man 
die Presse, soweit sie vorhanden war, oder benutzte 
andere Mittel, um Lügen unter die Massen zu streuen 
und die Negierungen gegen die Deutschen einzunehmen. 
Besonders war es auf Nordamerika abgesehen. Die 
Deutschen sind die geschworenen Feinde der Monroedok- 
trin, sie stecken hinter Mexiko, sie wollen in Südamerika 
ein Kolonialreich erwerben — so klang es unaufhörlich 
den Iankees in die Ohren, und bei einem sehr großen 
Teil des amerikanischen Volkes fand das Glauben. 
Viele bedeutende Blätter der Union druckten mit 
Behagen die britischen Lügen und Verdächtigungen 
ab. Einige große Zeitungen Nordamerikas wurden 
mit der Zeit so deutschfeindlich wie die englischen 
Hauptblätter selbst. 
Deutschland tat dem allen gegenüber so gut wie 
nichts. Das hing mit einer sehr achtungswerten Seite 
unseres Nationalcharakters zusammen und war den- 
noch höchst verkehrt. Der Deutsche trägt in sich die 
Überzeugung, daß die Wahrheit sich mit der Zeit 
ganz von selbst in der Welt durchsetzen und die Lüge 
ganz von selbst vergehen werde. Das ist auch wirk- 
lich so, aber leider tritt die Klarstellung der Wahr- 
heit für den, dem ihre Verdunklung schadet, meist zu 
spät ein und nützt ihm nichts mehr. Wer von der 
Lüge bedroht wird, der tut schon besser, sich auf der 
Stelle kräftig dagegen zu wehren, als auf den end- 
lichen Sieg der Wahrheit zu hoffen. Diese Abwehr 
der ausländischen Lügen wurde von der deutschen 
Regierung und Diplomatie gründlich versäumt. Es 
kam dazu noch eine gewisse Unfähigkeit, die Wir- 
kungen der Presse auf die Menschen, besonders auf 
die Massen, richtig abzuschätzen. Weil man in Berlin 
auf das Geschrei der Zeitungen keinen Wert legte 
und das eigene Urteil nie davon beeinflussen ließ, so 
meinte man, auch andere Leute dächten so oder wenig- 
stens ähnlich, und maß den ^fortgesetzten Lügen der 
deutschfeindlichen Presse keine große Bedeutung bei. 
Hin und wieder wurde eine der falschen Nachrichten 
von den deutschen Vertretern im Auslande berichtigt, 
aber im ganzen hüllte man sich in ein vornehmes, 
selbstsicheres Schweigen. Von einer konsequenten Gegen- 
arbeit gegen das englisch-französisch-russische Lügen- 
system war gar nicht die Rede, auch Geldmittel wurden 
dafür nicht zur Verfügung gestellt. 
So war die halbe Welt gegen uns voreingenom- 
men, ehe der Krieg begann, und als dann die ersten 
deutschen Heeressäulen die belgische Grenze überschritten 
hatten, da war es leicht, die öffentliche Meinung der 
neutralen Staaten noch mehr gegen Deutschland ein- 
zunehmen. Nun sieht es ja die Welt, hieß es in den 
Londoner Zeitungen, wer schuld an diesem schreck- 
lichen Kriege ist. Österreich-Ungarn stürzt sich auf ein 
kleines, machtloses Land, Deutschland hält seinen Ver- 
bündeten nicht ab, sondern erklärt dem Friedenszaren 
den Krieg und ebenso den Franzosen, die kein anderes 
Ziel kannten, als in Ruhe zu leben. Jetzt verletzt es 
auch noch die Neutralität Belgiens, die es feierlich 
anerkannt hat. Das alles kommt von dem „Militaris- 
mus" her. Weil Deutschland ein Militärstaat ist, so 
ist es eine stete Bedrohung aller seiner Nachbarn, ja 
aller Staaten der Welt, besonders der schwächeren. 
Kann Old England, das stets Recht und Gerechtigkeit 
aus Erden beschützt und die Kleinen und Schwachen 
beschirmt hat, anders handeln, als dem bösartigen 
Friedensstörer den Krieg erklären? 
So log die englische Regierung, und die englische 
Presse war das Sprachrohr ihrer Lügen. Acht Wochen 
später fanden die Deutschen in Brüssel unwider- 
legliche Beweise dafür, daß Belgien mit England und 
Frankreich schon längst ein Abkommen getroffen hatte, 
im Falle eines Krieges mit Deutschland den beiden 
Mächten Hilfe zu leisten und Stützpunkt zu sein. Von 
da an mußten diese Lügen verstummen, denn gegen 
schriftliche Dokumente konnten sie nicht mehr aus- 
kommen, und darum schwiegen die Lügner an der 
Themse, wenn sie sich natürlich auch nicht zu einem 
Widerruf bequemten. Aber die beiden ersten Monate 
des Krieges hindurch wiederholte England mit eiserner 
Stirn immer wieder, Deutschland habe den großen 
Völkerkamps entfesselt, und in der Auslandpresse, die 
uns übel wollte, wurde ihr Geschrei für bare Münze 
genommen. 
Dann kamen Lügen anderer Art. Einige davon 
glaubten die Ehrenmänner in London selber, z. B. 
daß in Berlin die Revolution ausgebrochen sei, daß 
sich Österreichs Nationalitäten im Aufruhr befänden, 
daß Deutschland von der zweiten Woche an unter 
Hungersnot zu leiden habe. Wenn sie das nicht 
wirklich für wahr gehalten hätten, so wäre es ihnen 
wahrscheinlich gar nicht eingefallen, den Krieg jetzt 
heraufzubeschwören. Sie hatten vor dem Kriege aus 
bestimmten Anzeichen geschlossen, daß es so kommen 
würde, deshalb nahmen sie nun an, daß es auch wirklich 
so gekommen wäre, und ließen sich nur sehr langsam 
davon überzeugen, daß die beiden Monarchien in sich 
einig und von Hungersnot und Teuerung sehr weit 
entfernt waren. Andere Lügen wurden geradezu aus 
den Fingern gesogen, um den eigenen Völkern Sand 
in die Augen zu streuen und ihre Zuversicht zu 
heben. Dazu gehörten die erlogenen Siegesnach- 
richten, die in den ersten Wochen des Krieges den 
eisernen Bestand der Dreiverbandspresse bildeten. 
Lüttich wehrte sich heldenmütig, nachdem es schon 
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