Volltext: Der Weltbrand Band 1 (1; 1915)

für die Ehre der Nation und die Sühne des verletzten Rechtes 
weitergehen. Keine unserer Armeen ist in ihrem Bestände er- 
schüttert. Wenn einige von ihnen sehr bemerkenswerte Verluste 
erlitten haben, so sind die Lücken sofort von den Depots aus 
wieder ausgefüllt worden. Der Aufruf der Rekruten sichert neue 
Quellen an Menschen und Energien. Widerstand und Kampf, 
das soll die Parole der verbündeten englischen, russischen, 
belgischen und französischen Heere sein. Widerstand und 
Kampf, während die Engländer uns zur See helfen und die 
Verbindungen unserer Feinde mit der Welt abschneiden. 
Widerstand und Kampf, während die russischen Armeen weiter 
vorrücken, um den entscheidenden Stoß in das Herz des 
Deutschen Reiches zu führen. Es ist die Aufgabe der repu¬ 
blikanischen Regierung, diesen hartnäckigen Widerstand zu 
leiten. Überall werden zum Schutze der Unabhängigkeit Frank- 
reichs Länder sich erheben, um diesem furchtbaren Kampfe 
seine ganze Kraft und seine Wirksamkeit zu verleihen. Es ist 
unumgänglich notwendig, daß die Regierung freie Hand zum 
Handeln behält. Auf Wunsch der Militärbehörden verlegt 
die Regierung daher für den Augenblick ihren Aufenthalt 
nach einem Punkte Frankreichs, wo sie in ununterbrochener 
Verbindung mit der Gesamtheit des Landes bleiben kann. 
Sie fordert die Mitglieder des Parlamentes auf, sich nicht 
fern von ihr zu halten, um gegenüber dem Feinde, zusammen 
mit der Regierung und ihren Kollegen, einen Sammelpunkt 
der nationalen Einheit zu bilden. Die Regierung verläßt 
Paris erst, nachdem sie die Verteidigung der Stadt und des 
befestigten Lagers durch alle in ihrer Macht stehenden Mittel 
sichergestellt hat. Sie weiß, daß sie es nicht nötig hat, der 
bewunderungswürdigen Pariser Bevölkerung Ruhe, Entschluß- 
kraft und Kaltblütigkeit zu empfehlen, die Bevölkerung von 
Paris zeigt jeden Tag, daß sie den größten Pflichten gewachsen 
ist. Franzosen! Zeigen wir uns dieser tragischen Umstände 
würdig! Wir werden den endlichen Sieg erringen. Wir werden 
ihn erringen durch den unermüdlichen Willen zum Widerstand 
und zur Beharrlichkeit. Eine Nation, die nicht untergehen 
will, die, um zu leben weder vor Leiden noch vor Opfern 
zurückschreckt, ist sicher, zu siegen". 
Noch viel wunderlicher berührt uns eine andere 
Proklamation der französischen Negierung, in der 
es hieß: 
„Die Regierung weiß, daß sie auf das Land zählen kann. 
Seine Söhne vergießen ihr Blut für Vaterland und Freiheit 
an der Seite der heldenmütigen Armeen Englands und Bel- 
giens. Sie halten ohne Zittern den furchtbarsten Sturm von 
Eisen und Feuer aus, der je ein Volk überschütttet hat. Alle 
blieben aufrecht. Ruhm den Lebenden und Ruhm den Toten! 
Die Menschen fallen, aber die Nation bleibt bestehen. Der 
endgültige Sieg ist gesichert. — — Franzosen, die Pflicht 
ist tragisch, aber einfach (!): Den Eindringling zurück¬ 
zuwerfen und unseren Boden von seiner Gegenwart und die 
Freiheit von seinen Fesseln zu befreien usw." 
Vergleicht man damit die Erlasse des deutschen 
Kaisers an sein Volk und die kurzen, sachlichen 
Meldungen des deutschen Hauptquartiers, so erkennt 
man klar den Unterschied germanischer und keltischer 
Denkungsart. 
Die Helden mußten übrigens die Stunde ihrer 
Abfahrt nach BordeauX geheimhalten, denn sie hatten 
die nicht unbegründete Angst, daß der hauptstädtische 
Pöbel sie insultieren, vielleicht gar lynchen werde. 
Die Stimmung in dem leicht erregbaren Volke war 
sehr dazu angetan, Erinnerungen an die Flucht des 
Vürgerkönigs und der Kaiserin Eugenie in den Ge- 
mütern der fliehenden Machthaber zu erwecken. 
Ihre Abreise wurde natürlich das Signal zu einer 
wahren Flucht der Pariser Bevölkerung. Uber acht- 
hunderttausend Menschen verließen in den nächsten 
Tagen die Stadt. Diese Auswanderung wurde von 
den Behörden in jeder Weise begünstigt und gefördert, 
denn sie dachten mit Schrecken an die Verproviantie¬ 
rung der Millionenstadt im Falle einer Belagerung, 
und die schien unabwendbar in den nächsten Tagen 
beginnen zu müssen. Die deutschen Heere rückten immer 
näher heran, nichts schien sie aufhalten, nichts ihnen 
widerstehen zu können. 
Am 4. September konnte das deutsche Hauptquartier 
folgende wundersame Mär nach Hause berichten: 
„Reims ist ohne Kampf besetzt worden. Die Siegesbeute 
der Armeen wird nur langsam bekannt, die Truppen können 
sich bei ihrem schnellen Vormarsch wenig darum kümmern. 
Noch stehen Geschütze und Fahrzeuge im freien Felde verlassen 
da, die Etappentruppen müssen sie nach und nach sammeln. 
Bis jetzt hat nur die Armee des Generalobersten von Vülow 
genaue Angaben gemeldet. Vis Ende August hat sie 6 Fahnen, 
233 schwere Geschütze, 116 Feldgeschütze, 79 Maschinengewehre, 
166 Fahrzeuge erbeutet und 12934 Gefangene gemacht." 
Also Reims, eine starke Festung, hatten die Fran- 
zosen ohne Kampf geräumt und waren so kopflos 
geflohen, daß sie ihre Bagage und ihren Artillerie- 
park einfach hatten stehen lassen. Nur durch eine Panik, 
die in ihrem Heere ausgebrochen war, läßt sich das 
erklären. Es war dem deutschen Volke wahrlich nicht 
zu verdenken, wenn es bei solchen Nachrichten zu 
hoffen begann, seine Truppen würden in einigen Tagen 
Paris einschließen und dann mit Hilfe der furchtbaren 
42-cm-Kanonen das „Herz der Welt" sehr rasch in 
ihren Besitz bringen. Ja, es war nicht einmal ver- 
wunderlich, daß viele Zeitungen triumphierend weis- 
sagten, der ganze Krieg mit Frankreich werde im 
wesentlichen gegen Ende September zu Ende sein. 
Die Schlag auf Schlag aufeinanderfolgenden Siege, 
die fortwährende Flucht der Franzosen zeitigten solche 
Ideen mit Notwendigkeit. Man hörte, daß die Fran- 
zosen sich in dem bergigen Gelände Lothringens und 
des Oberelsaß tapfer wehrten und daß sie von Zeit 
zu Zeit von Belfort aus das deutsche Gebiet unsicher 
machten. Wie hart aber und wie erbittert dort die 
Kämpfe waren, wie oft unsere Truppen zurückgehen 
und dem Feinde Teile des Landes vorübergehend 
überlassen und dann wieder erobern mußten, das 
wurde erst viel später in weiteren Kreisen des 
Volkes bekannt. Man begann schon den Feind zu 
unterschätzen und glaubte, bald mit ihm fertig zu sein. 
Darin wurde die öffentliche Meinung lebhaft be- 
stärkt, als am 7. September die Nachricht einlief, daß 
die starke Festung Maubeuge kapituliert habe und daß 
vierhundert Geschütze und vierzigtausend Gefangene, 
darunter vier Generäle, in die Hände der Sieger ge- 
fallen seien. So ziemlich ein Armeekorps war also 
kriegsgefangen, und eins der stärksten Hindernisse des 
Vormarsches auf Paris war aus dem Wege geräumt. 
Allerdings hatte die Eroberung Maubeuges auch den 
Deutschen viel Blut gekostet, auch fürstliches Blut. 
Vor Maubeuge war der Prinz Ernst von Sachsen- 
Meiningen schwer verwundet worden. Er übergab 
noch auf dem Schlachtfelde liegend einem Pfleger des 
Roten Kreuzes, der Dienst in der Gefechtslinie hatte, 
einen Zettel, auf den er den Wunsch gekritzelt hatte, 
nicht in der Fürstengruft, sondern mit seinen tapferen 
Soldaten zusammen begraben zu werden. Ein ein- 
faches Kreuz solle man aus das Grab stecken, das 
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