Volltext: Der Sammler 12. Jahrg. 1916 (1916)

12 Jahrs 
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Mitteilungen des Uereine» Erhaltung de« Stadtmnseum« nnd ;nr Erhaltung 
de« bauliche« Charakter* der Stadt Schärding. 
Inhalt: Lumpereien aus der guten alten Zeit. Von Karl ©ruber, Wien. 
Lumpereien aus der guten allen Zeit. 
Von Karl Gruber, Wien. 
Wir sollten alle wissen, daß es nie eine 
gute alte Zeit gegeben hat. Wenn wir alt wer 
den und den lauschenden Enkelkindern erzählen, 
wie ganz anders die Zeiten ehedem waren, wenn 
wir ihnen mit jenem leise spottenden Ton, den 
die hilflose Ueberlegenheit gerne annimmt, Bil 
der längstverronnener Lebenstage aufzeigen, so 
sind diese rosenfarbenen Gemälde doch nur licht 
frohe Schildereien der — eigenen Jugend. 
Als wir jung waren und die herrlichen 
Begriffe „Soll" und „Haben", „Schuldbrief" 
und „Zinsen", „Prozente" und „Versteigerungs 
Edikte", „Wochenbett" und „Testament" inhalts 
leere Schälle waren, die unbegreiflicherweise der 
lieben Mutter rotgeweinte Augen und dem 
strengen Vater noch strengere Stirnrunzeln ver 
ursachten, da lebten wir in der „guten alten 
Zeit". 
Unsere Väter hatten damals schon eine 
spottende Redensart, denn ihre gute alte Zeit 
war vorbei als die unsere kam. Und als unsere 
Großväter sich den Kopf mit beiden Händen 
hielten und trostlos ins Weite sahen, da wars 
wonnesam und herrlich für unsere Eltern. 
Deshalb gibt es immer eine gute Zeit; sie 
ist nicht alt, es ist das funkelnagelneueste, es ist 
die Zeit der Kinderwelt, die Zeit, in welcher die 
Zwergnase und Rotkäppchen, der Däumling, 
Schneewittchen und König Drosselbart ihr Wesen 
treiben und die Großmutter im schwarzen Körb 
chen immernoch eine goldene Pomeranze für den 
„Sitzenbleiber" übrig hat. 
Noch nie hat es eine bessere Zeit gegeben 
als jetzt — abgesehen natürlich von den kriege 
rischen Ereignissen und ihren Folgewirkungen, 
Komme mir keiner mit dem märchenhaften 
Silberzwanziger, mit welchem man anno Tom 
bak eine Landpartie machen konnte. 
* * 
* 
Sterben müssen wir auch heute, Widrig 
keiten, Elend, Sorge und Kummer, blutiges Leid 
gibt es genug, übergenug, aber die Bäume 
wuchsen auch ehedem nicht in den Himmel und 
der Frohnvogt hatte eine harte Faust — vor 
nehmlich wenn er besoffen war. 
An Lumpen fehlt es heute nicht — wer 
wollte es leugnen? Viele gibt es, große und 
kleine. Die ersteren läßt das Sprichwort laufen, 
die letzteren hängen. 
Aber auch in der hochgelobten guten alten 
Zeit hat es zweifelhafte Ehrenmänner genug ge 
geben, und wir wollen im Nachfolgenden den 
Schätzern abgelebter Tage einiges von ihnen 
und ihren Lumpereien erzählen, damit sie das 
jetzige Leben etwas erträglicher finden sollen. 
Nützt es nicht, so schadet es auch nicht, immer 
hin sollen die Notizen Verwertung finden, welche 
mir bei der Lesung von Fußnoten aus der 
Lamprechtschen Chronik zuwuchsen. 
Es sind keine gewaltigen Verbrechen, keine 
volk- und landvernichtenden Satanstaten, die 
ich im Geschichtenbuche unserer Stadt gefunden 
habe, es sind nur kleine, schmierige, dreckige 
Lumpereien, aber sie zeigen uns vielleicht schäfer 
und genauer das Leben früherer Zeiten, als die 
Schilderungen hochpolitischer Vorgänge es ver 
mögen. 
Doch vorher möchte ich noch über die hold 
selige gute alte Zeit ein Wort verlieren. 
Der Probst von Reichersberg Jakob Chri 
stian schreibt um das Jahr 1648 in einem Brief 
an den Lehensverwalter in Unterösterreich: 
„Freund! Die vielen Durchmärsche der Sol 
daten ruinieren das Land so abscheulich und 
machen es so menschenleer, daß man weit und 
breit herum keine Glocke mehr läuten hört. Die 
Hungersnot ist so groß, daß die Leute die stin 
kenden und madigten Schafköpfe, Gedärme und 
Eingeweide, welche die Soldaten wegwarfen, 
sammeln und kochen. Dem Abdecker kaufen sie 
das Pfund Roßfleisch um 5 Pfennige, das Rind 
fleisch um 2 kr, ab. (Diese Preise entsprechen 
unseren jetzigen Valutaverhältnissen; für den 
gleichen Geldwert bekommen wir aber heute 
noch gesundes Rind-, Kalb-, Schweine- und 
Ochsenfleisch.) Von gestunkenen Aesern, Kleien, 
Baumrinden müssen sich die armen Leute er 
nähren. Kein Wunder, daß nicht allein die 
Viehseuche, sondern auch , die Pest unter den 
Leuten grassiert. In Scharding frißt sie alle 
Tage 7—8 Personen."
	        
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