Volltext: Der Sammler 7. Jahrg. 1911 (1911)

Urgescbicbtlicbes aus dem Bezirke Schärding. 
(Fortsetzung und Schluß.) 
Das Alter des Menschen reicht weit hinter 
unsere geologische Gegenwart zurück, eS erfüllt den 
größten Teil der letzten vergangenen geologischen 
Periode, des Diluviums. 
Im Diluvium wechselten Eiszeiten, in welchen 
die Gletscher der Alpen bis in die norddeutsche 
Tiefebene reichten und das grönländische Jnlands- 
eis über Skandinavien, der Ost- und Nordsee ganz 
knapp an die Engzungen der Alpengletscher heran 
kam und in der norddeutschen Tiefebene nur eine 
schmale eisfreie und damit auck bewohnbare Rinne 
ließ, mit wärmeren Perioden, den sogenannten 
Zwischeneiszeiten, die ähnliches Klima wie heute 
hatten, ab und zu noch etwas wärmer waren. 
Am Ende der Eiszeit zogen sich die Glet 
scher allmählich zurück und ihnen folgte spärlicher 
Pflanzenwuchs, ähnlich wie in den sibirischen 
Tundren (Flechten und Moose). Wurde das 
Klima wärmer, so entwickelten sich an Stelle der 
Tundren Steppen und stieg die Temperatur wie 
der, so wurden die Steppen vom Walde abgelöst. 
So wie die Pflanzen dem Klima angepaßt waren, 
waren es auch die Tiere. 
Da haben wir in den kälteren Perioden 
unter anderen das Renntier, den Leming, verschie 
dene arktische Vögel, in der Sleppenperiode das 
Steppenpferd, das Mamuk, die Saigaantilope, in 
der warmen Zeit das Merksche Nashorn, den 
Altelefanten und die Säbelkatze. 
Die Temperatur der Zwischeneiszeiten ver 
ringerte sich und allmählich trat wieder über ganz 
Europa eine beinahe vollständige Vergletscherung 
ein; ihr folgte abermals eine Zwischeneiszeit. 
Wir zählen eine viermalige Wiederholung dieser 
Erscheinungen. Sie erstrecken sich zusammen nach 
Schätzungen des Berliner Geologen Penk über 
einen Zeitraum von —1 Millionen Jahre. 
Aus einem großen Teile dieser Zeit haben 
wir den Menschen sicher belegt. Nach dem 
hauptsächlich verwendeten Material, das er für 
Werkzeuge und Waffen benützte, dem Steine wird 
diese Periode als „Steinzeit" und zwar als „ältere 
Steinzeit" bezeichnet. In ihr formte sich der 
Mensch seine Werkzeuge und Waffen hauptsächlich 
aus Feuerstein durch Abschlagen und Abdrücken. 
Auf diese Weise erhielt er einfache Faustkeile, 
Handspitzen, Schaber, Stichel, Bohrer, Glätter u. 
a. m. Auch Holz- und Knochenmaterial verwen 
dete er zur Schaffung von feinen Nadeln, Pfeil 
spitzen, Keulenkneifen und in den fortgeschrittenen 
Perioden wurde auch das Renntiergeweih ver 
arbeitet. 
Ackerbau und Viehzucht haben wir noch nicht. 
Er war ein herumstreifender Jäger, der seinen 
Jagdtieren nachzog. Deshalb besaß er keine 
dauernden Wohnungen, sondern errichtete als 
Wetterschutz einfache Hütten oder suchte natürliche 
Höhlen auf. Ihre Wände schmückte er häufig 
mit Zeichnungen, deren Vorwürfe unmittelbar aus 
dem Jagdleben genommen sind. 
Sie stellen Bisonherden, kämpfende Renn 
tiere und andere Jagdbilder dar. Die Kunst "der 
Töpferei war noch unbekannt Allein das Be 
streben, plastische Kunstgegenstände zu schaffen, 
war auch ihnen eigen. Wir kennen schöngeschnitzte 
Pferdeköpfe, Renntierfiguren aus Knochen oder 
Geweihen. Aus weichem Steine wurden sitzende 
Frauensiguren gefunden, die man, infolge der 
bedeutenderen Betonung der Brüste als Frucht 
barkeitssymbole anspricht. 
Die Tolenbestattung kennen wir auch schon 
aus dieser Zeit. Die älteste wurde vor Jahren 
in Moustier in der Dordogne (Frankreich) auf 
gegraben. Das Gesicht des Bestatteten lag auf 
einem aus kleinen Steinen hergestellten Mosaik 
boden, der genau den Vorspringungen und Ver 
tiefungen des Gesichtes angepaßt war. Aus diesem 
Negativ haben wir auch eine ungefähre Vorstel 
lung von der äußerlichen Beschaffenheit des Ge 
sichtes. In neuerer Zeit wurden wieder an ver 
schiedenen Stellen Bestattungen der älteren Stein 
zeit zu Tage gefördert. 
In körperlicher Beziehung unterschieden sich 
diese Menschen wesentlich von uns; ihr Körper 
war untersetzt und plump, die Gliedmaßen sehr 
kräftig. Der Gang war aufrecht. Das Gesicht 
machte einen affenähnlichen Eindruck. Die Stirne 
war stark fliehend, die Augen von stark hervor 
tretenden Ueberaugenwülsten geschützt, die Nase 
sah wie eine Schnauze aus und die stark hervor 
tretenden Jochbeine bewirkten einen äußerst derben 
Gestchtsausdruck. Der äußerste Vorsprung des 
Unterkiefers, der Kinnhöcker, fehlte und das Innere 
des Unterkieferknochens war anders beschaffen als 
bei uns, sodaß man aus dem Fehlen gewisser 
Zungenmuskeln annehmen darf, daß das Sprach- 
vermögen nur sehr schwach entwickelt war. Diese 
Raffe bezeichnet man nach den Hauptfundorten, 
dem Neandertal bei Düsseldorf und Spy in 
Belgien, die Neandertal-Spy-Gruppe. 
In der Mitte der älteren Steinzeit ver 
schwindet diese Menschenrasse und macht der fast 
gleichen von Cro-Magnon (genannt nach dem ersten 
gleichnamigen Fundorte in Monaco) Platz. 
Den Uebergang zu der mittleren Zeitstufe, 
zu der Periode der „jüngeren Steinzeit" oder zu 
der der polierten Steinwerkzeuge vermitteln uns 
die Kulturinventare des Moores von Maglemos 
und die dänischen Muschelhaufen. 
In der jüngeren Steinzeit, die in unseren 
Gegenden etwa bis 2500 vor Christi währte, fin 
den sich in bedeutend geringerer Zahl geschlagene 
Steinartefakte, hauptsächlich kleine Pfeilspitzen; der 
größte Teil der Steinwerkzeuge ist poliert. Aus 
dieser Zeit, und zwar aus dem mittleren Abschnitt 
derselben, haben wir in der Nähe von Schärding 
bereits einen Vertreter. Es ist dies das untere 
Fragment einer hübsch polierten Serpentinaxt, mit
	        
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