Volltext: Der Sammler 7. Jahrg. 1911 (1911)

Im Burggraben läuft keine Tramway, im Eich- 
büchl ist keine Untergrundstation und am Haupt 
platz stehen keine adeligen Paläste und himmel- 
stllrmenden Türme. Die ganze Stadt zählt kaum 
soviel Einwohner als ein Dutzend Zinsburgen 
einer Millonengemeinde. 
Damals nahm ich Blei für Silber nnd 
hielt Messig für Gold, schwer war das eine und 
glänzend das andere. Aber als auch für mich 
der Tag kam, der die Erfüllung meiner Jugend 
träume brachte, als ich in den lichterfüllten 
Straßen herumlief und im heißen Boden der 
Großstadt endlich Wurzel faßte, wurde ich inne, 
daß auch meine Heimatstadt trotz des ehemals 
so tief empfundenen Mangels großstädtischer Er 
rungenschaften Werte birgt, die so manchen glei 
senden Blimblim der Metropole tausendmal auf 
wiegen. 
Mit den Jahren wuchs das Verständnis 
für die heimlichen unauffälligen Schönheiten un 
seres Ortes. Auf meinen Reisen stellte ich Ver 
gleiche an, sah und horchte herum und gar oft 
kam eine heiße, beinahe hoffärtige Freude über 
mich, wenn ich sah, daß größere, reichere und 
angesehene Siedlungen die Fahne senken mußten 
vor der kleinen mauerumgürteten Stadt an der 
Grenze des Reich's. — 
Es ist vom Uebel, mit selbstgefälliger Sicher 
heit zu glauben, es gäbe daheim keine Schatten, 
die liebe Heimatsonne leucht einigemale schöner 
und vergoldete alle Dinge mit rosigem Glanz. 
Aber ein noch größeres Uebel, ein Frevel am 
eigenen Herd ist es, wenn man mit dem sehn 
süchtigen Schauen in die Ferne das Gute in der 
nächsten Nähe übersieht. Wir Deutsch-Oester- 
reicher sind fast alle Nörglernaturen. Das 
Sprichwort: „Es ist nicht weit her" beweist nur 
zu deutlich, daß wir eigenen Wert, eigene Kraft 
und eigenes Wesen nicht zu schätzen verstehen und 
von anderen, klügeren und auf ihre Vorteile 
mehr bedachten Volksstämmen überflügelt werden. 
Früher konnten wir uns diesen teuren Luxus er 
lauben. Die Natur hat unseren Volksstamm, die 
Menschen unserer engeren Heimat mit reichen 
Gaben an Herz und Verstand ausgestattet. Ur- 
gesund und wurzelstark sind sie auch heute noch, 
aber der Kampf um den Sonnenplatz nimmt 
immer schärfere Formen an, wehe dem Saum 
seligen und Leichtgläubigen, dem Spötter, der 
sich in nutzlosen Nörgeleien gefällt und sein 
eigenes Nest verlästert und beschmutzt. Aber 
auch wehe dem Gleichgültigen, dem in den Tag 
hinein Lebenden, sie alle werden an die Wand 
gedrückt vom rücksichtslosen Stürmen der Reklame 
epoche. 
Ihr meine jungen zukünftigen Männer und 
auch Ihr meine Altersgenossen werdet am Ende 
jetzt fragen, was diese kurze Zeitbetrachtung mit 
der Erhaltung, Ausgestaltung und Wiederherstel 
lung des Schärdinger Stadtbildes zu tun hat. 
So stehe ich nun vor der Aufgabe, Euch 
darzutun, daß es Pflicht eines jeden von uns 
Jungen ist, in die Fußstapfen derer zu treten, die 
den Weg schritten der zum schönen Ziel unserer 
Stadtverherrlichung führt; an dem Bau weiter 
zu arbeiten, zu welchem Schärdings beste Bürger 
den Grundstein legten und Stein auf Stein schich 
teten. Ob es zur Dachgleiche kommt, ob ein 
mal der krönende Schlußstein eingefügt werden 
kann in diesen stolzen Bau, das wird die Zeit 
lehren, die Zeit, welche Euch zur Leitung und 
Mitarbeit berusti Möge sie wieder ganze Männer 
sinden. Viel wartet noch unser und unserer 
Nachkommen. 
Alle Siedlungen der neueren Zeit tragen 
den gleichen uniformen Charakter. Der reine 
Zweckmäßigkeitsstandpunkt hat sich bis zur Ver 
nichtung jeglichen besonderen Merkmals durch 
gesetzt. 
Breite öde, gerade Straßen, die kein Ziel 
haben und in denen das suchende Auge hilf- 
und haltlos auf und ab irrt, schneiden mit 
geometrischer Unerbittlichkeit zum Verwechseln 
ähnliche Verkehrszüge. Verlogene Fassaden aus 
dem Schablonen-Model gepreßt, täuschen den 
naiven Beschauer edles Material vor; Türmchen 
und Erker von Reißbrettkünstlern erdacht, sind 
eine lächerliche Abschlagszahlung für den Verlust 
früherer Baufreudigkeit. 
Der um das Wohl der Volksgesundheit 
besorgte Hygieniker ist befriedigt, wenn er weiß, 
daß die Kanalisation und das Wasser den 
modernen Bedürfnissen entsprechen, hinter die 
Talmipracht der schreienden Hauswände sieht er 
nicht, er kann auch dem Wohnungswucher 
spekulierender Bauherren nicht steuern und so 
kommt es. daß die vielgepriesenen, luft- und 
lichtreichen Straßenzüge von Burgen eingesäumt 
sind, die wahre Kerkerverließe zu Wohnungen 
haben. 
Schachbrett um Schachbrett entsteht. Selbst 
der Einheimische einer solchen „modernen" Stadt 
wird an seinem Orientierungssinne irre, wenn 
er an einem Schneidepunkt von Straßenzügen 
steht die einander gleichen wie ein Ei dem 
andern. 
Mit allen guten und abgeschmackten 
Mitteln will man nun in jüngster Zeit dieser 
trostlosen Zinskasernenwirtschaft ein Ende be 
reiten. Gartenkolonien werden angelegt, das 
„Einfamilienwohnhaus" ist zum lockenden Aus 
hängeschild für spekulative Grundherren und 
zum Sorgenquell großer Stadtvertretungen 
geworden. 
Glücklich diejenige Stadt, glücklich das 
Gemeindewesen, welches noch einen alten 
Siedelungskern aus früherer Zeit besitzt. Eifer 
süchtig wird er behütet, die Demolierhaue 
wird mit ängstlicher Behutsamkeit angelegt, um 
das jetzt wieder wertvoll Gewordene nicht un 
nötig zu verletzen.
	        
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