Volltext: Mitteilungen des Oberösterreichischen Landesarchivs Nr. 23 (Nr. 23 / 2013)

50 Gernot Heiss außergewöhnlich war, dennoch in die allgemeinen Bedingungen für Kindheit und Jugend in den 1940er und 1950er Jahren einzuordnen und einige Folgen der Erziehung am Einzelfall und in dieser Generation allgemein abzuschät- zen. Den Schmerz der Trennung und Zurückweisung erfährt jedes Kind, frei- lich in einem unterschiedlichen Ausmaß. Verstärkt wird er vor allem durch den Mangel an Zeit, an Geduld und an zärtlicher Zuneigung der Bezugsper- sonen, deren Hilfe auch zur Bewältigung des Schmerzes gefordert ist. In den 1940er Jahren, d. h. während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjah- ren, war der Anteil der allein erziehenden Mütter besonders hoch: es waren unverheiratete Mütter, Frauen, deren Männer als Soldaten im Krieg, in Kriegsgefangenschaft oder gefallen waren. Alleine für die Erziehung zustän- dig zu sein, bedeutete für diese Frauen eine kaum zu bewältigende Be- lastung, nachdem auch die allgemeine Situation durch Kriegszerstörungen, extrem schlechte Versorgung mit Nahrung, Einschränkung der Freizügigkeit, Verlust der Ersparnisse etc. besonders schwierig war. Der Alltag war schwer zu meistern. Diese Frauen hatten kaum Zeit, sich mit ihrem Kind bzw. ihren Kindern ruhig zu beschäftigen und sie zu beaufsichtigen; die physische und psychische Überforderung führte wohl in vielen Fällen zu Ungeduld, zum Verlust der Selbstkontrolle und zu Aggressionen etc. Geschrei, Beschimp- fungen, „Züchtigungen“ – körperliche und psychische – waren häufig die Folgen, in einer Zeit, in der körperliche Strafen und Demütigungen noch nicht verpönt bzw. verboten waren, sondern als probate Erziehungsmittel angesehen wurden.4 Die Mutter des Zeichners Othmar Zecher, der seit 1965 mit Zechyr sig- nierte,5 war die ledige Mutter von fünf Kindern: 1931 hatte sie eine Tochter geboren, 1938 kamen Othmar und seine Zwillingsschwester Helga zur Welt und zwei weitere Söhne 1941 und 1945. Die Mutter verschwieg den Kindern den Namen der Väter. Jener von Othmar und Helga war ein häufig beschäf- Othmar Zechyr, Zeichnungen 1966 – 1996. Hg. v. Peter Baum u. a. (Wien/München 2001) 10-23 4 Peter Malina, Kindsein im Nationalsozialismus. Für eine tiefgehende Wahrnehmung der eigenen Geschichte. In: Geraubte Kindheit: Kinder und Jugendliche im Nationalsozialismus. Hg. v. d. Bundesjugendvertretung, red. v. Klaus Kienesberger (Wien 2010) 57-86; Malina be- tont, dass im Nationalsozialismus die Erziehung im Sinne der „schwarzen Pädagogik“ domi- nierte; die Erziehungsmethoden, die seit dem Buch von Katharina Rutschky von 1977 unter diesem Sammelbegriff zusammengefasst werden und die mit dem Ziel der Ein- und Unterord- nung auch mit Gewalt und Einschüchterung agieren, um den widerständigen Eigenwillen zu brechen, prägen freilich auch die Zeit nach dem Nationalsozialismus, wohl bis in die 1960er Jahre. 5 Im Text wird Zechyr verwendet, wenn es sich um Informationen aus seinen späteren Er- zählungen oder um ihn als Künstler handelt, und meistens nur der Vorname Othmar, wenn es um Informationen aus Quellen der 1940er und 1950er Jahre geht. Der Name des Vaters und die Vornamen der Mutter und der Halbgeschwister sind mir aus den Akten bekannt, werden im Beitrag jedoch nicht genannt.
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