292 Florian Schwanninger
vor allem durch die Erstellung eines umfangreichen Archives, das NutzerIn-
nen für Recherchen zur Verfügung steht.
Das Schicksal der über Jahrhunderte in Oberösterreich lebenden so ge-
nannten „Zigeuner“ – hauptsächlich handelte es sich dabei um Sinti – deren
„plötzliches Verschwinden“ in den Jahren 1940/41 nach 1945 zu den großen
„Geheimnissen“ in zahlreichen oberösterreichischen Orten gehörte (und
gehört), wurde mit den beginnenden 2000er Jahren vor allem aufgrund des
Engagements von Einzelpersonen und lokalen Vereinen aufgearbeitet. Ein
wichtiger Beitrag zur Beschäftigung mit der Geschichte der Sinti und ihrer
nahezu gänzlichen Vernichtung während der NS-Zeit kam von ihnen selbst.
Vor allem über den Verein Ketani, einem Kulturverein für und von Sinti und
Roma in Oberösterreich, wurden Bemühungen zur Aufarbeitung der Ge-
schichte dieser Minderheit unterstützt.452
Während der Zeit des Nationalsozialismus waren über 90% der Sinti und
Roma aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit vernichtet worden, insgesamt
waren es ca. 600.000 Opfer. Nach 1945 hatten es die Überlebenden schwer,
als NS-Opfer anerkannt zu werden und eine Entschädigung zu erhalten. Au-
ßerdem war es für viele schwierig, sich in die Nachkriegsgesellschaft ein-
zugliedern, Armut und auch Analphabetentum waren häufig.453 Aus den
eigenen Reihen gab es infolgedessen über die mündliche Überlieferung hin-
aus kaum Versuche einer Aufarbeitung der Geschichte ihrer Verfolgung, von
Seiten der österreichischen Gesellschaft und genauso der Geschichtswissen-
schaft war jahrzehntelang so gut wie kein Interesse vorhanden.454
Einen wichtigen Impuls für die Beschäftigung mit der Geschichte der
Sinti in Oberösterreich gab die Veröffentlichung von Ludwig Lahers Roman
„Herzfleischentartung“ im Jahr 2001.455
Dieser Roman schildert aufgrund historischer Tatsachen die Einrichtung
eines „Arbeitserziehungslagers“ während der NS-Zeit in einer oberösterrei-
chischen Landgemeinde, das Leben und Sterben im Lager und den Umgang
der Bevölkerung mit diesem Ort des Terrors in ihrer unmittelbaren Nähe.
Nach der Schließung des Lagers, die historisch höchst ungewöhnlich erfolgt
war, wurde das Gelände als „Zigeuneranhaltelager“ genutzt, wo über 300
452 Informationen zum Verein findet man unter: http://www.sinti-roma.at/ (aufgerufen am
17.7.2012)
453 Vgl. http://www.sinti-roma.at/projekte.htm (aufgerufen am 17.7.2012)
454 Ein erster wichtiger Schritt auf dem Weg der Aufarbeitung war die Dissertation von Erika
Thurner, Die Zigeuner als Opfer nationalsozialistischer Verfolgung in Österreich (Diss. Univ.
Salzburg 1982)
455 Ludwig Laher, Herzfleischentartung (Innsbruck 2001). Die historischen Fakten, die Laher
als Basis seines Romans verwendete, stellte er in einem Aufsatz in den Oö. Heimatblättern
dar: Das Arbeitserziehungs- und Zigeuneranhaltelager Weyer-St. Pantaleon des Reichsgaues
Oberdonau (1940-1941). In: Oberösterreichische Heimatblätter 1/2, 55. Jg. (2001) 53-65