Volltext: England als Seeräuberstaat

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10. Abschnitt: Die Stellung Deutschlands. 
den Rückgang des eigenen Handels ausgewogen — eine Folge der Lähmung 
der gesamten Weltwirtschaft, wie sie durch einen Weltkrieg in noch höherem 
Grade geschaffen wird, als man vorausgesetzt hatte. 
Dagegen ist unbestreitbar, daß die Beibehaltung des Seebeuterechts heut 
zutage für das Deutsche Reich erheblich wertvoller ist als um das Jahr 1900, 
während für England seine Abschaffung von Jahr zu Jahr erwünschter wird. 
Bleibt das Seebeuterecht bestehen, so läßt sich der Seeverkehr der Fleisch- 
und Getreideschiffe, die den größten Teil des englischen Verbrauchs an Nah 
rungsmitteln dorthin schaffen, durch eine starke Kreuzerflotte unangenehm be 
drohen. Von der britischen Kriegsflotte würde dadurch ein erheblicher Teil 
festgelegt werden. Im Dezember 1914 mußte England 43 Kriegsschiffe, dar 
unter mehrere Dreadnoughts, in den südamerikanischen Gewässern zusammen 
ziehen, um die fünf deutschen Kreuzer zu vernichten, die dort und im Stillen 
Ozean seit Monaten ihr Wesen getrieben und an der chilenischen Küste einem 
gleich starken englischen Geschwader den Garaus gemacht hatten. Kann feind 
liches Privateigentum nicht mehr beschlagnahmt werden, so ist ein solcher 
Vorstoß in Gewässer, die britischen Kolonien nicht benachbart sind, unnötig 
und England würde weder große Flottenstärken dorthin zu entsenden, noch 
um seine Nahrungsmittelzufuhr zu zittern brauchen. 
Die Dinge liegen heute daher bereits so, daß für Deutschland, so gern 
es zu jeder Reform auf dem Gebiete des Völkerrechts die Hand bietet, die 
Gründe zur Beseitigung des Seebeuterechts nicht mehr in der 
Stärke mitsprechen wie noch um das Jahr 1900. Es ist sich wohl bewußt, 
daß es dadurch selbst arg geschädigt werden kann. Aber es weiß auch, daß 
in Zukunft England darumer noch schwerer leiden muß. Ein Verzicht auf 
das Seebeuterecht liegt daher in Deutschlands Interesse nur noch dann, wenn 
England gezwungen ist, alle übrigen Fortschritte des Seekriegsrechts anzu 
nehmen, um die sich Deutschland und andere Staaten bisher entgegen dem 
Widersprüche Albions vergeblich bemüht haben. 
In programmmäßiger Schärfe sind die Grundsätze, die das Deutsche 
Reich in seinem Verhältnis zum Seekriegsrecht leiten, von dem 
deutschen Delegierten auf der zweiten Haager Friedenskonferenz, Freiherrn 
Marschall von Bieberstein, in einer am Schluffe der Verhandlung abgegebenen 
Erklärung vom 9. Oktober 1907 niedergelegt, nachdem die Beratung über 
die Legung von Seeminen beendet war: 
„Ein Kriegführender, der Minen legt, nimmt eine sehr schwere Verant 
wortung gegen die Neutralen und die friedliche Schiffahrt auf sich. Hier 
über sind wir alle einverstanden. Niemand wird zu diesem Mittel greifen 
ohne absolut dringende militärische Gründe. Aber die militärischen Hand 
lungen dürfen nicht allein durch die Bestimmungen des internationalen Rechts 
geleitet werden. Es gibt auch noch andere Faktoren: das Gewissen, die 
Vernunft und das Gefühl für die durch die Grundsätze der Humanität auf
	        
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