Volltext: Kleiner Kriegs-Kalender für das Jahr 1916 (1916)

Das Kreuz der Mutter. 
Gine Grinnerung an die Schlacht bei Sedan* Don Otto 61 st er. 
(Nachdruck verboten.) 
Wir saßen nach einem Diner auf der Veranda des Land¬ 
hauses bei einer guten Zigarre beisammen und mein Onkel, 
der alte General a. D. erzählte aus seinem vielbewegten Sol¬ 
datenleben. Er war bereits 1864 und 1866 als junger Offizier 
mit ins Feld gerückt und Halle den Krieg 1870—71 ebenfalls 
mitgemacht. Besonders der Feldzug gegen Frankreich bot ihm 
fast unerschöpflichen Stoff, da er auf vielen Schauplätzen jenes 
Krieges mitgefochten hatte. 
„Das war eine große Zeit," sprach er, und seine Augen 
leuchteten in fast jugendlichem Feuer. „Die Begeisterung flammte 
durch ganz Deutschland und loderte in allen deutschen Armeen 
hell empor. Wir haben da Großes und Schönes erlebt, das 
seinen Abglanz noch auf unsere alten Tage wirft." 
„Aber auch viel Trauriges habt ihr gesehen," unterbrach 
ihn die Generalin, die mit einer kleinen Kandarbeit beschäftigt 
neben ihrem Gatten saß. „Erinnere dich an das Kreuz der 
Mutter . . .!" 
„Da hast du recht, Charlotte," entgegnete der General. 
„Kol' mir das kleine Kreuz, und dann will ich euch jungen 
Leuten die Geschichte dazu erzählen." 
Die alte Dame erhob sich und kam bald darauf mit einem 
kleinen goldenen Kreuz zurück, das an einem zerrissenen Kettchen 
hing. Der General nahm das Kreuz und betrachtete es mit 
ernstem Blick. Dann begann er zu erzählen: 
„Dieses Kreuz erinnert mich an das traurige Ende eines 
jungen französischen Reiteroffiziers. Es war vor Sedan. Wir 
hatten die Ortschaften Floing und Zlly nach heftigen Kämpfen 
gestürmt und dann ging es zu dem entscheidenden Angriff auf 
den Schlüsselpunkt der französischen Stellung, einem lang sich 
hinstreckenden Köhenrücken, der von den Franzosen hartnäckig 
verteidigt wurde. Endlich gelang es uns doch, die Anhöhe zu 
nehmen — unsere Batterien hatten uns gut vorgearbeitet — 
langsam zogen sich die französischen Linien bis in die Vorstädte 
von Sedan zurück, verfolgt von dem Feuer unserer Geschütze. 
Mein Bataillon hatte an diesem letzten, entscheidenden 
Angriff blutigen Anteil genommen. Jetzt lagen wir neben einem 
kleinen Gehölz und beschossen eine uns gegenüber haltende 
französische Batterie.
	        
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