durch einen deutsch-englischen Krieg in das eigene Fleisch schneiden,
ohne etwas zu gewinnen. Andererseits gehörte hierzu das übliche
Argument: wenn wir Deutsche uns an die Stelle zu setzen ver¬
suchten, so wisse doch jeder Deutsche, daß das Deutsche Reich
und Volk nie daran denken würde, einen großen Krieg zu ent¬
zünden, nur weil es etwa beabsichtigt, reicher zu werden oder
die friedliche Konkurrenz eines anderen Volkes im Welthandel
totzumachen. Wie konnte man so etwas also denr Vetter zu¬
trauen? Daß, abgesehen von vereinzelten Zeitungsstimmen, man
in England den gleichen Gedanken mit Entrüstung von sich wies,
war selbstverständlich. Auch in den ausführlichsten Beteuerungen
und scheinbar nüchternsten Darlegungen hat es auf englischer
Seite nicht an der emphatischen Beteuerung gefehlt, daß das
britische Reich ein Reich des Friedens, daß Großbritannien an
Kolonialbesitz vollkommen gesättigt sei und nichts mehr brauche.
Ein europäischer Krieg würde von Großbritannien als das denkbar
größte Anglück betrachtet, für Europa, für den britischen Lande!
und für die ganze Welt. Was Großbritannien bedürfe und
worauf es bestehen müsse, das sei die Notwendigkeit einer Kriegs¬
flotte, welche in jedem Augenblicke und gegen jeden möglichen
Gegner die überseeische Schiffahrt nach und von den großbritan¬
nischen Inseln schützen und ihren Fortgang gewährleisten könne.
Nur Bedrohung des Vorranges seiner Seemacht und auch von
deren Betätigungsmöglichkeit bildeten vitale Fragen für das
britische Reich, ebenso natürlich direkte Bedrohung der Grund¬
lagen des britischen Weltreiches. Als eine Bedrohung der letzteren
Kategorie ist bekanntlich viele Jahre lang der ursprüngliche deutsche
Bauplan der Bagdadbahn ausgegeben worden. Vor wenigen
Jahren fand man noch in französischen Zeitschriften die nach
Großbritannien gerichtete Warnung, eines Tages werde man die
deutschen „Dreadnoughts", auf Koweit gestützt, im Persischen
Meerbusen schwimmen sehen.
Das war nur eine der vielen politischen und wirtschafts¬
politischen Fragen, angesichts derer viele Deutsche sich mit un¬
gläubigem Staunen fragten, ob die zur Schau getragene gro߬
britannische Entrüstung und Besorgnis und die daran geknüpften
Notschreie nach einer europäischen Koalition gegen Deutschland
und nach einer Einschränkung des deutschen Flottenbaues, nach
einer Ausdehnung des britischen, wirklich echt und aufrichtig ge-
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