Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1,1917)

Kaiser und Zar 
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beschäftigt und führe in Petersburg eine drohende Sprache. Das Kabinett stand 
also unter dem Einfluß dieser Mitteilung, als es zur Sitzung zusammentrat, kam 
aber noch nicht zu entscheidenden Entschließungen. „Das war die Emser Depesche 
in entgegengesetztem Sinn," äußerte sich Jaures nach dem Zeugnisse Preffemanes. 
Bemerkenswert erscheint, daß sich dies auf Vorgänge bezieht, die vor der Falsch¬ 
meldung des „Berliner Lokal-Anzeigers" vom 30. Juli liegen. Zweifellos ist 
die Entscheidung über Krieg und Frieden am 29. Juli innerlich gereist, aber erst 
am 31. Juli in den Vollzug gewachsen. 
Kaiser und Zar 
(39) Kaiser Wilhelm an den Zaren (Weißbuch, Anlage 20). 
29. Juli 1914. 
Mit der größten Beunruhigung höre ich von dem Eindruck, den Österreich. 
.Angarns Vorgehen gegen Serbien in Deinem Reiche hervorruft. Die skrupellose 
Agitation, die seit Jahren in Serbien getrieben worden ist, hat zu dem empörenden 
Verbrechen geführt, dessen Opfer Erzherzog Franz Ferdinand geworden ist. Der 
Geist, der die Serben ihren eigenen König und seine Gemahlin morden ließ, herrscht 
heute noch in jenem Lande. Zweifellos wirst Du mit mir darin übereinstimmen, 
daß wir beide. Du und ich, sowohl als alle Souveräne ein gemeinsames Interesse 
daran haben, darauf zu bestehen, daß alle diejenigen, die für den scheußlichen 
Mord moralisch verantwortlich sind, ihre Strafe erleiden. 
Andererseits übersehe ich keineswegs, wie schwierig es für Dich und Deine 
Regierung ist, den Strömungen der öffentlichen Meinung entgegenzutreten. 
Eingedenk der herzlichen Freundschaft, die uns beide seit langer Zeit 
mit festem Band verbindet, setze ich daher meinen ganzen Einfluß ein, um 
Österreich-Angarn dazu zu bestimmen, eine offene und befriedigende 
Verständigung mit Rußland anzustreben. Ich hoffe zuversichtlich, daß 
Du mich in meinen Bemühungen, alle Schwierigkeiten, die noch entstehen können, 
zu beseitigen, unterstützen wirst. Dein sehr aufrichtiger und ergebener Freund 
und Vetter 
gez. Wilhelm. 
(40) Der Zar an Kaiser Wilhelm (Weißbuch, Anlage 21). 
Peterhof, 29. Juli 1914. 
Ich bin erfreut, daß Du zurück in Deutschland bist. In diesem so ernsten 
Augenblick bitte ich Dich inständig, mir zu helfen. Ein schmählicher 
Krieg ist an ein schwaches Land erklärt worden, die Entrüstung hierüber, die ich 
völlig teile, ist in Rußland ungeheuer. Ich sehe voraus, daß ich sehr bald 
dem Druck, der auf mich ausgeübt wird, nicht mehr werde wider- 
stehen können und gezwungen sein werde, Maßregeln zu ergreifen, die zum 
Kriege führen werden. Am einem Anglück, wie es ein europäischer Krieg sein 
würde, vorzubeugen, bitte ich Dich im Namen unserer alten Freundschaft, alles 
Dir Mögliche zu tun, um Deinen Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu weit 
zu gehen. , 
gez. Nikolaus.
	        
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