Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1,1917)

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Anhang zur Vorgeschichte des Krieges 
muß man zum großen Teil die Verantwortung für die augenblicklichen Ereignisse 
aufbürden. Sie werden sich ohne Zweifel heimlich zu Aufhetzern machen, um 
ihr Land zu einer Intervention in dem Balkankonflikt zu treiben.) 
Ein unglücklicher Zufall hat gewollt, daß das große diplomatische Spiel, 
das am 30. Juli in den letzten Entscheidungen gipfelte, mit einem verwirrenden 
Mißverständnis belastet worden ist. 
Eine Berliner Zeitung hatte für den Fall, daß die deutsche Mobilmachung 
beschlossen werde, ein Extrablatt hergestellt und bereitgelegt. Dieses gelangte 
durch ein Versehen der Expedition in den ftühen Nachmittagsstunden des 30. Juli 
auf die Straße. Die russische Botschaft gab die Nachricht alsbald nach Peters¬ 
burg weiter, doch griff die deutsche Neichsregierung sofort ein, um die Sache 
richtigzustellen. Der Reichskanzler hat den Zwischenfall in einer Rede dargestellt, 
die er am 9. November 1916 im Reichstag gehalten hat, um gewisse Angriffe des 
britischen Ministers des Auswärtigen Lord Edward Grey zurückzuweisen. Die 
in Frage kommende Stelle lautet: 
„Die Lerren erinnern sich vielleicht, daß am Donnerstag den 30. Juli 1914 in 
den frühen Nachmittagsstunden der „Berliner Lokal-Anzeiger" in Form eines 
Extrablattes die Falschmeldung herausgab, daß Seine Majestät der Kaiser 
die Mobilmachung befohlen habe. Die Lerren wissen auch, daß auf der Stelle 
der Verkauf dieses Extrablattes polizeilich verhindert und die vorhandenen Exem¬ 
plare beschlagnahmt worden sind. Ich ließ alsbald den russischen Botschafter 
und alle übrigen Botschafter telephonisch davon unterrichten, daß die von dem 
„Berliner Lokal-Anzeiger" gegebene Nachricht falsch sei, und wurde alsbald von 
der Redaktion des „Berliner Lokal-Anzeigers" unterrichtet, daß ein Versehen 
vorlag. 
Ich kann weiter feststellen, daß der russische Botschafter zwar sofort nach 
Ausgabe des Extrablattes eine chiffrierte Meldung nach Petersburg telegraphiert 
hatte, die nach dem russischen Orangebuch lautete: „Ich erfahre, daß die Mobil¬ 
machungsorder für das Landheer und die deutsche Flotte soeben verkündigt worden 
ist," daß aber diesem Telegramm nach der telephonischen Aufklärung durch den 
Staatssekretär von Iagow ein zweites in offener Sprache folgte, das lautete: 
„Ich bitte, mein letztes Telegramm als nichtig zu betrachten. Aufllärung folgt." 
Wenige Minuten darauf sandte der russische Botschafter in chiffrierter Sprache 
ein drittes Telegramm, das nach dem russischen Orangebuch besagte, der Minister 
des Auswärtigen habe ihm soeben in diesem Augenblick telephoniert, daß die 
Nachricht von der Mobilmachung des Leeres und der Flotte falsch ist und daß 
die betreffenden Extrablätter beschlagnahmt worden seien." 
Dies ist die Darstellung des Reichskanzlers. 
Auch sonst hat es an Mißverständnissen und einer gewissen Äberstürzung des 
diplomatischen Verkehrs nicht gefehlt. Die Sitzung, welche das französische Mini¬ 
sterium in der Nacht vom 29. auf den 30. Juli gehalten hat, war ebenfalls von 
Verwirrung erfüllt. Der „Populaire du Centre“ veröffentlichte darüber am 
2. August einen Artikel, in dem der Abgeordnete Pressemane Äußerungen des 
am Tage zuvor meuchlings erschossenen Sozialistenführers Jean Jaurès wieder¬ 
gibt. Es heißt darin, daß die russische Botschaft in Paris der ftanzösischen 
Regierung mitgeteilt habe, Deutschland wäre mit kriegerischen Maßnahmen
	        
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