Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1,1917)

Die Berufung LindenburgS 
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welche den Rückzug hinter die Weichsel aufhoben, schon ergangen. Die oberste 
Leeresleitung hatte die Versammlung der Truppen rechts der Weichsel 
angeordnet. Damit war dem neuen Oberbefehlshaber seine Aufgabe zu» 
gewiesen. Er war gehalten, sie angriffsweise zu lösen. 
Am Nachmittag des 23. August — es war ein Sonntag — langte 
General v. Lindenburg mit seinem Stabschef im Schlosse zu Marienburg 
an. Schon auf der Fahrt war Klarheit über die strategische Lage geschaffen, 
waren bereits die ersten Anordnungen zur Wiederaufnahme der Offensive 
getroffen worden. 
Die Lage bot Schwierigkeiten genug. Zwar war die Armee Nennen- 
kämpf der abziehenden Ostarmee nicht gefolgt und lagerte mit der Front 
nach Westen zwischen Tilsit und Angerbuxg, indem sie Vortruppen gegen 
Königsberg vorschob und ihre Kavallerie auf Rastenburg und Bartenstein 
vortrieb, aber die Marschsäulen der Armee Samsonow erreichten bereits 
Mlawa und Neidenburg, überfluteten die Gegend zwischen Soldau und 
Willenberg und drohten die deutsche Ostarmee in der Flanke zu packen, 
wenn diese gegen Nordosten vorbrach, um Königsberg zu entsetzen und die 
l. Armee aufs neue anzufallen. So stand die Ostarmee zwar auf den inneren 
Linien zwischen den beiden russischen Einfallsheeren, war aber einem Flanken- 
angriff von beiden ausgesetzt, und keiner von beiden an Streiterzahl gewachsen, 
selbst dann nicht, wenn alle Verstärkungen eingetroffen waren, die aus 
Belgien heranrollten. In dieser kritischen Lage fand General v. Linden- 
bürg den Entschluß zur Schlacht. 
Diese Schlacht durfte indes nicht auf Verteidigung angelegt sein, da 
glückliche Abwehr feindlicher Offensive nichts gefruchtet und den Russen nur 
Zeit gelassen hätte, ihre zweite Armee zur Einkreisung heranzuholen. Die 
Entscheidung mußte angriffsweise gesucht werden und mit der völligen Nieder- 
ringung des Gegners enden. Gelang es, Samsonow als den näherstehenden 
Feind zu schlagen und zu werfen, ehe Rennenkampf sich erneut in Bewegung 
setzte und auf der Linie Insterburg—Allenstein heranrückte, so war die 
dringendste Gefahr beseitigt. Doch mußte dieser Schlag so zermalmend aus 
die 2. Armee niederfallen, daß ihre Kampfkraft für längere Zeit gebrochen 
wurde. Ein einfaches Zurückwerfen über die Grenze genügt nicht, denn es 
schuf nicht hinreichende Bewegungsfreiheit, um in einer zweiten Schlacht 
mit verwandter Front auch die Armee Rennenkampf anzugreifen. Wurde 
Samsonow bei Ortelsburg geworfen, wie Napoleon Blücher bei Ligny 
geworfen hat, und lebte in ihm dann Blücherscher Geist, so lief die deutsche 
Armee Gefahr, durch Rennenkampf bei Angerburg im Entscheidungskampf 
gefesselt zu werden, bis Samsonow sich wieder erholt hatte und ihr in Rücken 
und Flanke fiel, um Lindenburg ein Waterloo zu bereifen. 
Wohl ist der Vorteil groß, der einem Feldherrn aus der Beherrschung 
der inneren Linien zwischen feindlichen Leeren erwächst, aber er kann sich
	        
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