Volltext: Hermann Stegemanns Geschichte des Krieges. Erster Band. (1,1917)

182 Der Feldzug im Westen bis zum 15. September 1914 
Leeres südöstlich von Paris. Nachdem die 1. Armee und die Armeen 
Bülow und Lausen die Fühlung mit dem Feind am 2. September verloren 
hatten, war im Großen Lauptquartier trotz der Fliegererkundungen vielleicht 
Angewißheit über die Lage und die Absichten der Franzosen entstanden, aber 
niemand konnte im Zweifel sein, daß der Stoß aller beweglichen Kräfte gegen 
den Schwerpunkt des Gegners zu richten war. Dieser Schwerpunkt wurde 
nicht in der französischen Lauptstadt, sondern in dem sorglich zusammen¬ 
gehaltenen Feldheer gesucht, das trotz der erlittenen Niederlagen seine Land¬ 
lungsfreiheit auf den rückwärtigen Linien bewahrt hatte. Solange der An¬ 
griffsstoß unter günstigen strategischen Bedingungen geführt werden konnte, 
mußte er geführt werden, und günstige strategische Bedingungen lagen vor, 
solange die 1. Armee noch durch Amfassung wirkte. Wie aber, wenn sie das 
nicht mehr tat, wenn der Festungsgürtel von Paris sich öffnete, daraus eine 
neue, in ihrer unbekannten Zusammensetzung doppelt zählende Armee ins 
Feld trat und in die strategische Flanke des deutschen Leeres einbrach? 
Auf diese Fragen sollten schon die nächsten Stunden Antwort geben. 
Die Vorkämpfe im Marnebogen 
Südlich der Marne dehnt sich eine bewegte Lochfläche, um die der Fluß 
einen großen Bogen schlägt. Es ist eine fruchtbare Gegend, die den Zauber 
der sanften französischen Flußlandschaft atmet. Der Kriegführung erscheint 
sie als ein reichgegliedertes, wechselvolles, von kleinen Wafferläufen durch¬ 
zogenes, mit Gehölzen und Sümpfen bedecktes Gelände. Zwei Nebenflüsse 
der Marne, der Grand Morin und der Petit Morin, schneiden tief in das 
Lügelland und streben in geschlängeltem Lauf nach Westen. Dörfer, Löse 
und Mühlen liegen zerstreut in den Talmulden und auf den Längen, über 
die die Kriegsgeschichte schon oft hinweggeschritten ist. Lier schlug vor 
hundert Jahren Napoleon mit seinem zusammengeschmolzenen Leere die 
letzten glänzenden Bewegungsschlachten gegen die konzentrisch anrückenden 
Alliierten. Champaubert, Vauchamps, Montmirail, Chateau Thierry und 
Vertus zeugen von dem Winter- und Frühlingsfeldzug des Jahres 1814, da 
der alternde Schlachtenkaiser noch einmal die Armeekorps wie Bataillone vor¬ 
wärts und rückwärts schwenkte und das strategische Netz des gegnerischen Vor¬ 
marsches zweimal zerriß. 
Das Korn lag geschnitten und zum Teil noch ungedroschen und un¬ 
geschichtet auf den Feldern, als die Spitzenkorps der Armee Kluck am 8. Sep¬ 
tember 1914 von La Ferte-sous-Jouarre und Changis über den Grand Morin 
vorstießen. Die 1. Armee geriet dadurch in die Lücke, die zwischen der Armee 
French und der 5. französischen Armee klaffte und nur durch Kavallerie aus¬ 
gefüllt war. Es lag also nahe, anzunehmen, daß man den Gegner noch halb-
	        
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