Volltext: Branntweinwirtschaft und Volksernährung [Heft 30]

Hauptausfuhrgut abwarf. Dem allgemeinen Bewußtsein war die 
Vorstellung, daß durch Branntweinerzeugung Nahrungsmittel ihrer 
eigentlichen Bestimmung entzogen würden, in einer Zeit verloren 
gegangen, wo die neuzeitliche Verkehrswirtschaft scheinbar mühelos und 
unbegrenzt alle Lebensbedürfnisse zu befriedigen vermochte. Vergessen 
war, daß es der mittelalterlichen Weltanschauung als Sünde galt, 
„ein Essen in einen Trunk zu verwandeln'"), vergessen waren die 
Maßnahmen älterer städtischer und staatlicher Wohlfahrtspolitik, die 
das Brennereigewerbe den Bedürfnissen der Ernährungswirtschast 
untergeordnet hatte. 
Erst in der Kriegszeit unter dem Druck, den die Absperrung 
von der ausländischen Zufuhr der deutschen Volksernährung auferlegte, 
begann man die Branntweinerzeugung wieder vom Stand 
punkte der Ernährungswirtschaft aus zu betrachten. Stärker 
als je wurden Kartoffeln und Getreide zur eigentlichen Grundlage 
der Volksernährung. Ihre möglichst restlose Bereitstellung für diesen 
Zweck war geboten. 
Gleich nach Kriegsausbruch und solange man noch mit einem 
kurzen Kriege rechnete, glaubte man freilich sich eines Eingriffs in 
die Branntweinwirtschaft enthalten zu sollen, weil man andernfalls 
nachteilige Folgen für die Produktivität der davon betroffenen land 
wirtschaftlichen Betriebe fürchtete. Man war zudem der Ansicht, 
daß die in den Brennereien verarbeitete Kartoffelmenge 
nur einen geringen Bruchteil der Ernte ausmache und die zu 
gleichem Zwecke verwandte Gctreidemenge von untergeordneter Bedeu 
tung sei ^). Diese Anschauung, daß mit der Branntweimvirtschaft ein 
wesentlicher Verbrauch menschlicher Nahrungsmittel nicht verbunden sei, 
ist auch heute noch ziemlich weit verbreitet^). Sie ist gewöhnlich darauf 
zurückzuführen, daß der Verbrauch der Brennereien an Kartoffeln und 
Getreide mit den statistischen Ernteerträgen dieser Früchte verglichen 
wird. So ergibt sich z. B., daß in dem Jahrfünft 1909 bis 1913 
durchschnittlich 45,78 Millionen Tonnen Kartoffeln und 14,65 Mil- 
') Vgl. Laves, Die Entwicklung der Brennerei und Branntwein- 
besteuerung in Deutschland. Schmollers Jahrbuch Bv. ll (1887) S-480. 
') Amtliche Erklärung in der .Norddeutschen Allgemeinen Zeitung', 
mitgeteilt in der „Zeitschrift für Spiritus-Industrie", Nr. 34 vom 
SO. August 1914. 
') Vgl. Ludwig Wassermann, Die deutsche Branntweinsteuer-Gesetz 
gebung im Kriege (Annalen des Deutschen Reichs bO. Jahrgang >917 S. 348s. 
.Bei den Kartoffeln", >o beißt es kort, .waren es im Durchlchnitt der letzten 
fünf Jahre 5>/s v. H-, beim Getreide im Jahre 1913 sogar nur 2'/« v. H. 
der gesamten Ernte".
	        
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