Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Moses Lederer 
Rb. Adolf Traub 
Jakob Sime lis 
Morie Neumann 
israel. Lehrerseminar in Wien, den Dr. Alexander 
Kristianpoller wissenschaftlich verarbeitete und der 
ein wertvoller Weiser des Ghettolebens unserer böh¬ 
mischen Landjuden, namentlich jener in B. und Um¬ 
gebung, ist. Der genannte Schriftsteller teilt hier in 
Kürze den Inhalt der gefundenen Briefe des ehema¬ 
ligen Krb. Menachem Mendl P o 1 1 a k aus B. mit, 
welche die Zeit vom J. 1815—1866 umspannen. Es 
ist eine stattliche Anzahl von Briefen — 695 Stücke; 
diese sind zum größten Teile in hebräischer Sprache, 
später auch deutsch mit hebr. Schriftzeichen, verfaßt. 
Dr. AI. Kristianpoller ist der Ansicht, daß wenn die¬ 
sen Briefen auch keine epochalen Neuigkeiten zu¬ 
grunde liegen, sie dessen ungeachtet wichtig und in¬ 
teressant sind, weil sie unser historisches Wissen aus¬ 
gezeichnet ergänzen und uns mit der Entwicklungs¬ 
geschichte der südböhmischen jüd. Landgemeinden 
um B., Strakonitz, Pisek und Klattau bekannt ma¬ 
chen. Nicht allein in diesen genannten Städten, aber 
auch in einer Unzahl kleinerer umliegenden Ortschaf¬ 
ten waren damals J. G. und die Institution des Kreis- 
rabbinates war daher eine ungemein wichtige. Das 
gesamte jüd. Familien- und Gemeindeleben spiegelt 
sich in dieser, uns erhalten gebliebenen Briefsamm¬ 
lung wieder. Hier finden sich Privat- und Gemeinde¬ 
briefe, Herrschaftserlässe, Statutenentwürfe und de¬ 
ren Nachträge, Lebensbiographien verdienter Männer. 
Wir erkennen aus ihnen die Hochachtung, derer sich 
der geistige Führer in der Gemeinde erfreut. Die Ge¬ 
meindemitglieder sind noch streng fromm, die Sab¬ 
batruhe ist eine noch vollständige und nur in einigen, 
wenigen Fällen, mußte der Krb. einschreiten. Später 
lockerte sich die Disziplin, bald dieser, bald jener 
Jude achtete nicht mehr der Befehle und Drohungen, 
was den würdigen Krb. sehr kränkte, denn bis dahin 
galt sein Wort ohne Widerspruch. Was findet sich 
nicht alles in dieser Brief Sammlung! Der längst ver- 
klungene „Schulklepper", der „Magid", der „Orach44, 
der „Melamed44, die pilgernden „Meschorerim44, der 
hausierende Buchhändler, kurz alles, was die kleine 
J. G. belebte und auch das, wovon sie lebte! Umfang¬ 
reich ist das Kapitel über das Verhältnis der Ge¬ 
meinde zum Schochet und Fleischhauer. Hier sind die 
Erlässe, Wünsche, Androhungen besonders lesenswert. 
Einen ganz besonders wichtigen Abschnitt der in¬ 
teressanten Briefsammlung bilden die religiös-wirt¬ 
schaftlichen Fragen und Entscheidungen; deren gibt 
es hier eine Menge! Desgleichen finden sich häufig 
Beschwerden und Entscheidungen in gemeindepoliti¬ 
scher Hinsicht, wie Steuervorschreibung, Schulgeld 
usw. Unter den zahlreichen Bittschriften und Samm¬ 
lungen befindet sich auch eine Subskriptionsliste des 
Jakob T e w e 1 e s aus Prag vom J. 1844 zu Gunsten 
des israel. Hospitalbaues in Karlsbad, wo der Ma¬ 
gistrat der Badestadt den Juden einen ständigen Auf¬ 
enthalt unter Berufung auf ein Privilegium des Kö¬ 
nig Vladislav II. gestattete. Dieser Sammlung schenkte 
Menachem Mendl Polak ganz besondere Aufmerksam¬ 
keit. Im J. 1830 errichtete er im Popperschen Stif- 
tungshause in B. eine Talmud-Tora-Schule, für de¬ 
ren Erhaltung er auch die Nachbargemeinden zuziehen 
mußte. Die Aufsicht über diese Schule hatten drei 
geachtete Gemeindemitglieder. Im J. 1837 waren an 
dieser Schule 15 Schüler, hievon 11 aus dem Prachi- 
rier Kreis und vier Ortsfremde. Jeder Schüler mußte 
sich einer Aufnahmsprüfung unterziehen. Für seine 
Schule sammelte Rb. Polak bei jedem sich bietenden 
Anlasse; zu Anfang liefen die Spenden recht zahl¬ 
reich ein, so daß Rb. Polak den mittellosen Schülern 
auch die Verköstigung verschaffen konnte. Später 
wurden die Spenden immer spärlicher und noch spä¬ 
ter entstanden Streitigkeiten in der Gemeinde wegen 
dieser Schule und der Rb. war zur öffentlichen Rech¬ 
nungslegung gezwungen. Im J. 1841 war der Einlauf 
der Schulspenden bereits so gering, daß Polak mit 
der Sperrung der Schule androhen mußte. 
Die Fleischbank („slachta'4) war in L. unmittelbar 
hinter der Synagoge, so daß der Schochet von einem 
Wirkungsort zum andern nicht gar zu weit hatte. Die 
Institution der Kreisrabbinate in Böhmen entstand in 
der zweiten Hälfte des 18. Jhts. und wurde erst im 
J. 1820 durch ein kaiserliches Dekret zum Gesetz er¬ 
hoben. Im Prachiner Kreise war der erste dieser 
Würde der Rb. Isak Spitz, welcher eine beträcht¬ 
liche Sammlung talmudischer Studien hinterließ. Er 
war der Schwiegersohn des berühmten Prager Gelehr¬ 
ten Rb. Eleasar F 1 e k e 1 e s. (Mitteilung des Herrn 
Prof. Friedrich Knöpf imacher in Prag.) Diesem 
folgte unmittelbar im Amte Rb. Menachem Mendl 
Polak, welcher sein Amt bereits „im Auftrage der 
Regierung44 führte und strenge darüber wachte, daß 
die zahlreichen kaiserl. Erlässe jener Zeit, welche die 
Reorganisation des jüd. Gemeindewesens zum Anlasse 
hatten, auch peinlichst genau durchgeführt werden. 
Zahlreich sind auch die Gutachten, die in jüd. Glau¬ 
bens- und Verwaltungsangelegenheiten Polak der Re¬ 
gierung erstattete. Auch in den erledigten Rabbiner-, 
Lehrer- und Schochetstellen im Bereiche seines Amtes 
entschied Rb. Polak. Im J. 1841 wieß er den Rb. A. 
Moses Bloch, einen Schüler des Lejb Glogau, trotz 
dessen großer Protektion mit der Motivierung zurück, 
daß der Bewerber nicht fromm genug ist. Durch 
einen kaiserl. Erlaß war der KRb. — und nur dieser 
allein — berechtigt, Trauungen vorzunehmen. Es fin¬ 
den sich daher im Nachlasse Polaks zahlreiche Bitt¬ 
schriften seiner Landkollegen um Verleihung einer 
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