Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

dienst in der Eichwalderstraße eingerichtet, der 
später vom Gemeindevorstand als ein Hausgottes¬ 
dienst anerkannt wurde. Aus der ehemaligen Ge¬ 
meinde Seltsch bei Saaz, aus Prag und aus Dünaburg 
in Rußland stammen die Torarollen und die Opfer¬ 
freudigkeit der wachsenden religiösen Vereinigung 
gestattete die Betstätte geziemend aus. 
Während des Krieges wuchs die Anzahl der Be¬ 
sucher dieser Gottesdienste und als ein Teil der 
Flüchtlinge sich in Teplitz ansässig machte, ergaben 
sich räumliche Schwierigkeiten, so daß unter der 
Führung von Heinrich Ungerleider, M. H. Unger und 
Chajim Kalb u. a. ein neuer religiöser Verein „Bene 
Emunah44 ins Leben gerufen wurd!e, welcher die Auf¬ 
gabe auf sich nahm, eine zweite würdige Andachts¬ 
stätte zu finden. Im Vorstande dieses Vereines wirkt 
seit seinem Bestände besonders Rechtsanwalt Dr. 
Bruno Ungerleider, der Sohn Heinrich Ungerleiders 
in selbstloser Weise. 
Den Bemühungen der genannten gelang es unter 
Opfern den verfallenen „alten Tempel4' in der Bade¬ 
gasse von der Kultusgemeinde zu übernehmen, zu 
renovieren und aus der Ruine eine sehenswerte An¬ 
dachtstätte zu schaffen, welche beim Freitag-Abend- 
Gottesdienste am 28. August 1925 feierlich eingeweiht 
wurde. Der Kultuspräsident Dr. Cantor sprach im 
Namen der Gemeinde, Unger als Obmann des Ver¬ 
eines Bene Emunah, der Gemeinderabbiner Dr. Weihs 
hielt die Weiherede und Chajim Kalb sang die Li¬ 
turgie. So ist, wie wir bereits früher erwähnt haben, 
der alte Tempel, dieser Zeuge jüdischen Lebens ver¬ 
gangener Jahrhunderte, wieder zu einer Stätte des 
Gebetes geworden43). 
Auch das Privatbethaus im Hause Pesach Wein¬ 
gartens in der Eichwalderstraße hat viele treue 
Freunde sich zu wahren und sie zu mehren gewußt. 
Die Anzahl der strenggläubigen Juden in Teplitz, 
welche im Rahmen der Großgemeinde nunmehr ihr 
religiöses Eigenleben führen, ist inzwischen bedeutend 
gewachsen und, wird heute auf etwa 700 geschätzt. 
Sie bilden einen bedeutsamen und regsamen Teil 
unseres jüdischen Lebens und haben in jüngster Zeit 
eine Talmudtora eingerichtet. Als Lehrer wirkt an 
derselben eifrig H. Maulkorb (bis 1932). 
Das rituelle Frauenbad war von ihnen schon im 
Jahre 1923 neu hergestellt unter Anwesenheit des 
Prager Oberrabbiners Dr. H. Brody als Gast und des 
Ortsrabbiners. Die strenggläubigen Vereine dürfen 
dank ihrer zielbewußten und! opferwilligen Arbeit, 
wenn die wenig religiöse Gesinnung weiter Kreise der 
jüdischen Jugend nicht auch die ostjüdische Jugend 
erfaßt, auf eine günstige Weiterentwicklung in unserer 
Stadt hoffen. 
* 
In den jüdischen Gemeinden Österreichs machte 
sich in diesen Jahren ein lebhaftes Streben nach dem 
Ausbau der Gemeindeverfassungen und der Stärkung 
des jüdischen Gemeindesinnes geltend. Ein Gemeinde¬ 
bund sollte als Organ aller jüdischen Gemeinden 
Österreichs mit einem „Obersten Judenrat44 in Wien 
als Beirat im Ministerium für Kultus und Unterricht 
gebildet werden, und Verbandsgruppen einen Beirat 
für jüdische Angelegenheiten am Sitze der Landes¬ 
regierung stellen. 
Am 27. April 1908 waren Dr. Carl Kraus vom 
Verein freisinniger Juden in Teplitz und Nathan Bloch 
zur Tagung dieses österreichischen isr. Bundes als 
Vertreter der Kultusgemeinde entsendet worden mit 
der ausdrücklichen Weisung zu einer strikten anti¬ 
zionistischen Stellungnahme. 
Die Gemüter waren beunruhigt: Der Landtagsabge- 
crdnete Prof. Eduard, Reichel hatte im Hausbesitzer¬ 
verein eine Aufsehen erregende Rede gehalten, die 
Kultusvertretung sich gegen die Angriffe Reichels 
durch eine Protestresolution verwahrt; im Schöße der 
Gemeinde scheinen ebenfalls unliebsame Vorgänge 
sich abgespielt zu haben, denn Kompetenzfragen zwi¬ 
schen Rat und Vertretung führten zu einer Statuten¬ 
änderung bezüglich der Geschäftsordnung; eine neun- 
gliedrige Kommission beriet über die Pflichten des 
Rabbinates, eine Disziplinarordnung wurde geschaf¬ 
fen, die Regelung der Ansprachen bei Beerdigungen 
seitens Nichtbeamteter wurde beraten. Dir. Perutz 
legte die Stelle des Direktors am Hospital nieder. Die 
Koscherfleischerversorgung, ein stets wenig artiges 
Sorgenkind der Gemeindeverwaltung, führte zu schar¬ 
fen Mahnschreiben an die jüdischen Fleischhauer, der 
Antrag Ernst Becherts, die Kultusgemeinde statt 
israelitisch „jüdisch44 zu benennen, die Ablehnung der 
beabsichtigten Ausstellung der palästinischen Bezalel- 
Schule und die Resultatlosigkeit des von Dr. Gustav 
Weiß in Dux angeregten und ins Leben gerufenen 
Tempelbauvereines in Dux — es ist bis heute noch 
kein Tempel errichtet — und schließlich die an¬ 
dauernde Beunruhigung durch die junge nationale 
Bewegung gaben in diesen Jahren immer wieder An¬ 
laß zu heftigen Debatten und schufen eine Atmo¬ 
sphäre der Erregtheit. Das einzige Erfreuliche dieser 
Jahre war die anläßlich des 60 jährigen Regierungs¬ 
jubiläums des Kaisers begründete Studentenstiftung 
mit einem Kapital von 5000 K und der 1912 erfolgte 
Beitritt der Gemeinde zum Zentralverein für jüdische 
Wanderfürsorge mit einer Subvention von 1200 K. 
Inzwischen war das erste Jahrzehnt des neuen 
Jahrhunderts beendet. 
Lehrer Simon, der schon im Jahre 1906 krankheits¬ 
halber vom Lehrer Adolf Kahn zeitweise an der 
jüdischen Volksschule vertreten worden war und im 
Feber 1911 sein 25 jähriges Lehrerjubiläum feiern 
durfte, trat nunmehr nach 46 jähriger Dienstzeit in 
den wohlverdienten Ruhestand, der ihm bis zu seinem 
am 10. Oktober 1920 erfolgten Tode vergönnt war. 
Jakob Frankfurter wird als Lehrer angestellt und hat 
das Lehramt bis zu seinem 1920 erfolgten Ausscheiden 
inne. Rabbiner Dr. Kurrein übernimmt weiterhin den 
Unterricht an den Teplitzer Mittelschulen, Ober¬ 
kantor Davidson am Gymnasium in Dux. Wilhelm 
Heller wurde 1913 als Gemeindesekretär angestellt. 
Nach der Resignation Ludwig Adlers werden Gustav 
Taussig, Siegfried Brunner und Ferdinand Löwy 
Tempelvorsteher und im Jahre 1914 übernimmt 
Ferdinand Löwy das Amt des ersten Tempelvorste¬ 
hers, welches er viele Jahre führt. Nach dem 1914 
für den abtretenden Siegfried! Brunner eine kurze 
Zeit Isidor Kohn als zweiter Tempelvorsteher fungiert 
hatte, übernimmt Gustav Pick dieses Ehrenamt bis zu 
seinem 1920 erfolgten Tode. 
Das Jahr des Kriegsausbruches 1914 bringt eine 
eingreifende Veränderung infolge des Rücktrittes des 
energischen und umsichtigen Vorstehers Dr. E. Stein, 
der als Beirat dem Kultusvorstande verbleibt. 
Der Weltkrieg fordert auch von unserer Gemeinde 
Opfer. Ein Antrag des Dr. Kraus, sie durch eine 
Votivtafel im Tempel zu ehren, wird in richtiger 
Erwägung, daß dieser Akt der Pietät verfrüht wäre, 
auf einen späteren Zeitpunkt zurückgestellt. 
Am 15. Februar 1914 wird das Amt des Gemeinde¬ 
vorstehers Dr. Ernst Cantor übertragen. Die Wahl 
Dr. Cantors zum Gemeindepräsidenten in dieser 
schweren Zeit war für die Gemeinde von weittragen¬ 
der Bedeutung. 
605 
Teplitz 20
	        
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