dienst in der Eichwalderstraße eingerichtet, der
später vom Gemeindevorstand als ein Hausgottes¬
dienst anerkannt wurde. Aus der ehemaligen Ge¬
meinde Seltsch bei Saaz, aus Prag und aus Dünaburg
in Rußland stammen die Torarollen und die Opfer¬
freudigkeit der wachsenden religiösen Vereinigung
gestattete die Betstätte geziemend aus.
Während des Krieges wuchs die Anzahl der Be¬
sucher dieser Gottesdienste und als ein Teil der
Flüchtlinge sich in Teplitz ansässig machte, ergaben
sich räumliche Schwierigkeiten, so daß unter der
Führung von Heinrich Ungerleider, M. H. Unger und
Chajim Kalb u. a. ein neuer religiöser Verein „Bene
Emunah44 ins Leben gerufen wurd!e, welcher die Auf¬
gabe auf sich nahm, eine zweite würdige Andachts¬
stätte zu finden. Im Vorstande dieses Vereines wirkt
seit seinem Bestände besonders Rechtsanwalt Dr.
Bruno Ungerleider, der Sohn Heinrich Ungerleiders
in selbstloser Weise.
Den Bemühungen der genannten gelang es unter
Opfern den verfallenen „alten Tempel4' in der Bade¬
gasse von der Kultusgemeinde zu übernehmen, zu
renovieren und aus der Ruine eine sehenswerte An¬
dachtstätte zu schaffen, welche beim Freitag-Abend-
Gottesdienste am 28. August 1925 feierlich eingeweiht
wurde. Der Kultuspräsident Dr. Cantor sprach im
Namen der Gemeinde, Unger als Obmann des Ver¬
eines Bene Emunah, der Gemeinderabbiner Dr. Weihs
hielt die Weiherede und Chajim Kalb sang die Li¬
turgie. So ist, wie wir bereits früher erwähnt haben,
der alte Tempel, dieser Zeuge jüdischen Lebens ver¬
gangener Jahrhunderte, wieder zu einer Stätte des
Gebetes geworden43).
Auch das Privatbethaus im Hause Pesach Wein¬
gartens in der Eichwalderstraße hat viele treue
Freunde sich zu wahren und sie zu mehren gewußt.
Die Anzahl der strenggläubigen Juden in Teplitz,
welche im Rahmen der Großgemeinde nunmehr ihr
religiöses Eigenleben führen, ist inzwischen bedeutend
gewachsen und, wird heute auf etwa 700 geschätzt.
Sie bilden einen bedeutsamen und regsamen Teil
unseres jüdischen Lebens und haben in jüngster Zeit
eine Talmudtora eingerichtet. Als Lehrer wirkt an
derselben eifrig H. Maulkorb (bis 1932).
Das rituelle Frauenbad war von ihnen schon im
Jahre 1923 neu hergestellt unter Anwesenheit des
Prager Oberrabbiners Dr. H. Brody als Gast und des
Ortsrabbiners. Die strenggläubigen Vereine dürfen
dank ihrer zielbewußten und! opferwilligen Arbeit,
wenn die wenig religiöse Gesinnung weiter Kreise der
jüdischen Jugend nicht auch die ostjüdische Jugend
erfaßt, auf eine günstige Weiterentwicklung in unserer
Stadt hoffen.
*
In den jüdischen Gemeinden Österreichs machte
sich in diesen Jahren ein lebhaftes Streben nach dem
Ausbau der Gemeindeverfassungen und der Stärkung
des jüdischen Gemeindesinnes geltend. Ein Gemeinde¬
bund sollte als Organ aller jüdischen Gemeinden
Österreichs mit einem „Obersten Judenrat44 in Wien
als Beirat im Ministerium für Kultus und Unterricht
gebildet werden, und Verbandsgruppen einen Beirat
für jüdische Angelegenheiten am Sitze der Landes¬
regierung stellen.
Am 27. April 1908 waren Dr. Carl Kraus vom
Verein freisinniger Juden in Teplitz und Nathan Bloch
zur Tagung dieses österreichischen isr. Bundes als
Vertreter der Kultusgemeinde entsendet worden mit
der ausdrücklichen Weisung zu einer strikten anti¬
zionistischen Stellungnahme.
Die Gemüter waren beunruhigt: Der Landtagsabge-
crdnete Prof. Eduard, Reichel hatte im Hausbesitzer¬
verein eine Aufsehen erregende Rede gehalten, die
Kultusvertretung sich gegen die Angriffe Reichels
durch eine Protestresolution verwahrt; im Schöße der
Gemeinde scheinen ebenfalls unliebsame Vorgänge
sich abgespielt zu haben, denn Kompetenzfragen zwi¬
schen Rat und Vertretung führten zu einer Statuten¬
änderung bezüglich der Geschäftsordnung; eine neun-
gliedrige Kommission beriet über die Pflichten des
Rabbinates, eine Disziplinarordnung wurde geschaf¬
fen, die Regelung der Ansprachen bei Beerdigungen
seitens Nichtbeamteter wurde beraten. Dir. Perutz
legte die Stelle des Direktors am Hospital nieder. Die
Koscherfleischerversorgung, ein stets wenig artiges
Sorgenkind der Gemeindeverwaltung, führte zu schar¬
fen Mahnschreiben an die jüdischen Fleischhauer, der
Antrag Ernst Becherts, die Kultusgemeinde statt
israelitisch „jüdisch44 zu benennen, die Ablehnung der
beabsichtigten Ausstellung der palästinischen Bezalel-
Schule und die Resultatlosigkeit des von Dr. Gustav
Weiß in Dux angeregten und ins Leben gerufenen
Tempelbauvereines in Dux — es ist bis heute noch
kein Tempel errichtet — und schließlich die an¬
dauernde Beunruhigung durch die junge nationale
Bewegung gaben in diesen Jahren immer wieder An¬
laß zu heftigen Debatten und schufen eine Atmo¬
sphäre der Erregtheit. Das einzige Erfreuliche dieser
Jahre war die anläßlich des 60 jährigen Regierungs¬
jubiläums des Kaisers begründete Studentenstiftung
mit einem Kapital von 5000 K und der 1912 erfolgte
Beitritt der Gemeinde zum Zentralverein für jüdische
Wanderfürsorge mit einer Subvention von 1200 K.
Inzwischen war das erste Jahrzehnt des neuen
Jahrhunderts beendet.
Lehrer Simon, der schon im Jahre 1906 krankheits¬
halber vom Lehrer Adolf Kahn zeitweise an der
jüdischen Volksschule vertreten worden war und im
Feber 1911 sein 25 jähriges Lehrerjubiläum feiern
durfte, trat nunmehr nach 46 jähriger Dienstzeit in
den wohlverdienten Ruhestand, der ihm bis zu seinem
am 10. Oktober 1920 erfolgten Tode vergönnt war.
Jakob Frankfurter wird als Lehrer angestellt und hat
das Lehramt bis zu seinem 1920 erfolgten Ausscheiden
inne. Rabbiner Dr. Kurrein übernimmt weiterhin den
Unterricht an den Teplitzer Mittelschulen, Ober¬
kantor Davidson am Gymnasium in Dux. Wilhelm
Heller wurde 1913 als Gemeindesekretär angestellt.
Nach der Resignation Ludwig Adlers werden Gustav
Taussig, Siegfried Brunner und Ferdinand Löwy
Tempelvorsteher und im Jahre 1914 übernimmt
Ferdinand Löwy das Amt des ersten Tempelvorste¬
hers, welches er viele Jahre führt. Nach dem 1914
für den abtretenden Siegfried! Brunner eine kurze
Zeit Isidor Kohn als zweiter Tempelvorsteher fungiert
hatte, übernimmt Gustav Pick dieses Ehrenamt bis zu
seinem 1920 erfolgten Tode.
Das Jahr des Kriegsausbruches 1914 bringt eine
eingreifende Veränderung infolge des Rücktrittes des
energischen und umsichtigen Vorstehers Dr. E. Stein,
der als Beirat dem Kultusvorstande verbleibt.
Der Weltkrieg fordert auch von unserer Gemeinde
Opfer. Ein Antrag des Dr. Kraus, sie durch eine
Votivtafel im Tempel zu ehren, wird in richtiger
Erwägung, daß dieser Akt der Pietät verfrüht wäre,
auf einen späteren Zeitpunkt zurückgestellt.
Am 15. Februar 1914 wird das Amt des Gemeinde¬
vorstehers Dr. Ernst Cantor übertragen. Die Wahl
Dr. Cantors zum Gemeindepräsidenten in dieser
schweren Zeit war für die Gemeinde von weittragen¬
der Bedeutung.
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