Im J. 1908 gedachte ein Gönner unserer Gemeinde
in hochherziger Weise. Die Erben des Nathan Stein
in Rochester (U. S. A.), geb. in S., sandten seinem
Vermächtnis gemäß der Gemeinde 1000 Dollar, die
als Stiftung für Herschmann und Bella Stein ver¬
wendet wurden. Ein edles Werk, das seinen Schöpfer
unsterblich gemacht hat.
Das Leben geht seinen normalen Lauf. S. zählt
bereits 1900 Einwohner; die Zahl der christl. Bevöl¬
kerung vermehrt sich und auch eine cech. Schule
wird errichtet. Die Zahl der Juden geht weiter zu¬
rück, dafür aber wächst und entwickelt sich die Stadt
Turn, so daß sie immer mehr und mehr zur Verbin¬
dungsstadt zwischen S. und Teplitz wird,. Auch die
Juden in Turn gewinnen für S. immer größere Be¬
deutung und zählen bereits 850 Seelen. An dem Auf¬
schwung der Industrie haben die Juden einen mehr
als quotenmäßigen Anteil. Unter vielen anderen wä¬
ren als Industrielle und gleichzeitige Gönner der
K. G. hervorzuheben: Die Familien M. B 1 o c h Söhne
in S. als Begründer der Posamentenindustrie in S.;
Josef D u b in Karbitz, Lederfabrik, von dessen Sohn
Alfred D u b erweitert; Bernhard Bloch, Eichwald,
Porzellanfabrik; Fabrikant Kopetzky, Turn; Edu¬
ard P r o p p e r, Fabrikant und gewes. Stadtrat in
Turn; Fabrikant Rindskopf in Graupen und Ma¬
riaschein; Fabrikant Herrn. Krauskopf, Karbitz;
Hirsch Getreuer, Fabrikant Julius Winter und
die Fa. Getreuer.
Unzählige Fabriken erstanden auf dem Gebiet der
K. G., deren Inhaber jedoch in Teplitz wohnen. Auf
dem Gebiete der Heilkunde wirkten und wirken
Männer, die sowohl zufolge ihrer allgemeinen Wert¬
schätzung, wie auch als treue Förderer unserer Ge¬
meinde genannt zu werden verdienen; es sind dies
Dr. Hugo Küchler in Modlan und Dr. Isidor
F r e i s i n g e r s. A., ferner Dr. Ernst Lieben in
Turn. Durch ihre achtunggebietenden Leistungen auf
den obgenannten Gebieten, wie auch auf politischem
Gebiete, von dem wir noch sprechen werden, war
bei allem durchsickernden Antisemitismus eine At¬
mosphäre und ein Kontakt zwischen den Juden
und den anderen Konfessionen geschaffen worden,
der beim Ausbruch des Weltkrieges (1914) alle,
ohne Glaubensunterschiedi, als eine Familie in Freud
und Leid verbunden fand. Die Not in S. aber war
für die Gemeinde und ihre Mitglieder eine drei¬
fache. Es war das hungernde Industriegebiet, die
Söhne an der Front und im K. G.-Sprengel allein
mußten 10.000 jüd. Kriegsflüchtlinge untergebracht
und versorgt werden. Zum Lobe der hiesigen jüd.
und christl. Bevölkerung wie auch als Verdienst der
Behörde sei erwähnt, daß alle ihr möglichstes zur
Erfüllung dieser großen Aufgabe beigetragen haben.
Es wäre zuviel, hier die einzelnen Namen aufzuzäh¬
len, denn ein jeder tat, was er konnte, um die Not
zu lindern. Auch unsere Gemeinde hat die Namen
der Opfer des Weltkrieges auf einer marmornen Ta¬
fel verewigt. Es sind dies: Richard Abeles, Josef
Bloch, Max Brand, Leopold F e d e r e r; Ru¬
dolf Gunst, Karl Hahn, Hermann Heinitz,
Emil K o h n, Heinrich Kraus, Oskar L a u f e r,
Richard L a u f e r, Fritz L e k n e r, Theodor L ö w y,
Richard Neumann, David Pick, Max Schlad-
n i c h, Maxmilian Steiner und Leo Wolf. Tra¬
gisch war der Verlust unseres hochgeachteten Vor¬
standsmitgliedes Gotti. Bloch, dessen einziger Sohn
Josef als Ob.-Lt. am letzten Tage des Weltkrie¬
ges gefallen ist.
Während des Krieges verlor die K. G. auch ihren
Rabbiner Max K o h n plötzlich am Tage seiner sil¬
bernen Hochzeit im 49. Lebensjahre. Im J. 1917
übernimmt días Rabbinat Josef S a g li e r, ver¬
läßt jedoch schon 1921 diesen Posten. Als allseits
beliebter und umsichtiger K. V. und gleichzeitiger
Obmann der Ch. K. bekleidet seit 1893 noch immer
Karl W e i n f e 1 d diese Ehrenstellen und! A.
Bloch die des II. Vorst, und Kassiers.
Am 5. Februar 1922 erfolgt nach einer Probepre¬
digt die einstimmige Aufnahme des Verfassers dieser
Monographie als Rabbiner der hiesigen K. G. Er
trat diesen Posten nach vorhergegangenen Studien
und! erlangter Rabb. Autorisation an der öffentlichen
Rabbinatschule in Preßburg an, welche Stelle er nach
Erteilung des Definitivums noch heute bekleidet. Im
selben Jahre wird der Tempel in S. wieder renoviert
und am 25. Augnst 1922 feierlich eingeweiht.
Im J. 1922 gab es noch Religionsunterricht in
Turn, Soborten, Karbitz, Mariaschein, Graupen, Os-
sek, Kosten, Klostergrab und Eichwald.
Der jüd. Nachwuchs vom Lande hörte jedoch all¬
mählich auf, so daß heute (1933) nur noch in S. und
an den cech. und deutschen Volks- und Bürgerschulen
in Turn Religion erteilt wird, mit dem Unterschiede,
daß es während meiner ersten Amtsjahre in Turn
18 Kinder und der Rest in der Provinz zu betreuen
waren, während es heute in Turn rund 120 jüd.
Kinder sind, der Provinzunterricht aber ganz aufge¬
hört hat.
Unsere K. G. beschloß in diesem Jahre des greisen,
verdienstvollen Präsidenten unserer Republik T. G.
M a s a r y k allsabbatlich im Gebete zu gedenken,
dem Staate und seinen Führern Dank zollend.
Auf politischem Gebiete nehmen die Juden eben¬
falls regen Anteil und beeinflußten in beträchtlichem
Maße die Arbeiten in der Gemeindestube der Stadt
Turn, Karbitz, Soborten, Eichwald usw.
Mehr als einmal konnte der antisemitischen Welle
ein Damm gesetzt werden durch die sinnvolle, offene
und aufrichtige Politik geachteter jüd. Männer, de¬
ren Leben und. Wirken sich den Respekt aller ab¬
rang. In S. selbst war es vor allem der erst kürzlich
zu Grabe getragene K. V. Karl Weinfeld s. A.,
der als Approvisionierungskommissär im Weltkrieg
die allgemeine Not seinem Orte durch besondere Für¬
sorge ersparte und wie ein kluger Ratgeber — ohne
die Vorsteherschaft der polit. Gemeinde anzunehmen
— in allen Belangen mit Rat und Tat beistand. Die
Herren Bloch, Julius Taussig s. A. und noch viele
andere hatten führenden Anteil an der Leitung der
Geschicke der polit. Gemeinde. Jul. Taussig s. A.
und der derz. K. V. Fabrikant Adolf Bloch grün¬
deten im J. 1875 die freiw. Feuerwehr, welche von
dessen Sohn Bernhard Bloch eifrig gefördert wird.
■— In Turn waren bereits zu Beginn des 20. Jhts.
Fabrikant Eduard Propper im Stadtrat, Fabrikant
K o p e c k y, Dr. Heinrich Steiner, Advokat, und
Dr. Is. Freisinger bis zu seiner Ernennung zum
Stadtarzt; derzeit wirken als alte Vorkämpfer ihrer
Partei Dr. Lieben und Siegfried Abeles (seit
54 Jahren der Partei angehörend) als Stadträte in
Turn und nehmen eine besonders geachtete Stellung
ein. Seit 1929 ist auch die jüd. nation. Partei durch
Leo Fischer als Stadtverordneten erfolgreich ver¬
treten. Derselbe gehört auch der Repräsentanz der
Landesjudenschaft Böhmens an. Bereits in der frü¬
heren Wahlperiode fehlte der jüd. Partei bloß eine
einzige Stimme für ein Mandat. Auch in allen an¬
deren Vereinen und Institutionen haben Juden füh¬
renden Anteil. Rudolf P a c h n e r als Vizepräs, im
Handelsgremium, Teplitz, Gustav Glaser als Ob¬
mann des Verschönerungsvereines in Turn; Hugo
Schlack, Obmann des Gebirgsvereines, und viele
andere. Es ist daher begreiflich, wenn Juden und
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