Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Im J. 1908 gedachte ein Gönner unserer Gemeinde 
in hochherziger Weise. Die Erben des Nathan Stein 
in Rochester (U. S. A.), geb. in S., sandten seinem 
Vermächtnis gemäß der Gemeinde 1000 Dollar, die 
als Stiftung für Herschmann und Bella Stein ver¬ 
wendet wurden. Ein edles Werk, das seinen Schöpfer 
unsterblich gemacht hat. 
Das Leben geht seinen normalen Lauf. S. zählt 
bereits 1900 Einwohner; die Zahl der christl. Bevöl¬ 
kerung vermehrt sich und auch eine cech. Schule 
wird errichtet. Die Zahl der Juden geht weiter zu¬ 
rück, dafür aber wächst und entwickelt sich die Stadt 
Turn, so daß sie immer mehr und mehr zur Verbin¬ 
dungsstadt zwischen S. und Teplitz wird,. Auch die 
Juden in Turn gewinnen für S. immer größere Be¬ 
deutung und zählen bereits 850 Seelen. An dem Auf¬ 
schwung der Industrie haben die Juden einen mehr 
als quotenmäßigen Anteil. Unter vielen anderen wä¬ 
ren als Industrielle und gleichzeitige Gönner der 
K. G. hervorzuheben: Die Familien M. B 1 o c h Söhne 
in S. als Begründer der Posamentenindustrie in S.; 
Josef D u b in Karbitz, Lederfabrik, von dessen Sohn 
Alfred D u b erweitert; Bernhard Bloch, Eichwald, 
Porzellanfabrik; Fabrikant Kopetzky, Turn; Edu¬ 
ard P r o p p e r, Fabrikant und gewes. Stadtrat in 
Turn; Fabrikant Rindskopf in Graupen und Ma¬ 
riaschein; Fabrikant Herrn. Krauskopf, Karbitz; 
Hirsch Getreuer, Fabrikant Julius Winter und 
die Fa. Getreuer. 
Unzählige Fabriken erstanden auf dem Gebiet der 
K. G., deren Inhaber jedoch in Teplitz wohnen. Auf 
dem Gebiete der Heilkunde wirkten und wirken 
Männer, die sowohl zufolge ihrer allgemeinen Wert¬ 
schätzung, wie auch als treue Förderer unserer Ge¬ 
meinde genannt zu werden verdienen; es sind dies 
Dr. Hugo Küchler in Modlan und Dr. Isidor 
F r e i s i n g e r s. A., ferner Dr. Ernst Lieben in 
Turn. Durch ihre achtunggebietenden Leistungen auf 
den obgenannten Gebieten, wie auch auf politischem 
Gebiete, von dem wir noch sprechen werden, war 
bei allem durchsickernden Antisemitismus eine At¬ 
mosphäre und ein Kontakt zwischen den Juden 
und den anderen Konfessionen geschaffen worden, 
der beim Ausbruch des Weltkrieges (1914) alle, 
ohne Glaubensunterschiedi, als eine Familie in Freud 
und Leid verbunden fand. Die Not in S. aber war 
für die Gemeinde und ihre Mitglieder eine drei¬ 
fache. Es war das hungernde Industriegebiet, die 
Söhne an der Front und im K. G.-Sprengel allein 
mußten 10.000 jüd. Kriegsflüchtlinge untergebracht 
und versorgt werden. Zum Lobe der hiesigen jüd. 
und christl. Bevölkerung wie auch als Verdienst der 
Behörde sei erwähnt, daß alle ihr möglichstes zur 
Erfüllung dieser großen Aufgabe beigetragen haben. 
Es wäre zuviel, hier die einzelnen Namen aufzuzäh¬ 
len, denn ein jeder tat, was er konnte, um die Not 
zu lindern. Auch unsere Gemeinde hat die Namen 
der Opfer des Weltkrieges auf einer marmornen Ta¬ 
fel verewigt. Es sind dies: Richard Abeles, Josef 
Bloch, Max Brand, Leopold F e d e r e r; Ru¬ 
dolf Gunst, Karl Hahn, Hermann Heinitz, 
Emil K o h n, Heinrich Kraus, Oskar L a u f e r, 
Richard L a u f e r, Fritz L e k n e r, Theodor L ö w y, 
Richard Neumann, David Pick, Max Schlad- 
n i c h, Maxmilian Steiner und Leo Wolf. Tra¬ 
gisch war der Verlust unseres hochgeachteten Vor¬ 
standsmitgliedes Gotti. Bloch, dessen einziger Sohn 
Josef als Ob.-Lt. am letzten Tage des Weltkrie¬ 
ges gefallen ist. 
Während des Krieges verlor die K. G. auch ihren 
Rabbiner Max K o h n plötzlich am Tage seiner sil¬ 
bernen Hochzeit im 49. Lebensjahre. Im J. 1917 
übernimmt días Rabbinat Josef S a g li e r, ver¬ 
läßt jedoch schon 1921 diesen Posten. Als allseits 
beliebter und umsichtiger K. V. und gleichzeitiger 
Obmann der Ch. K. bekleidet seit 1893 noch immer 
Karl W e i n f e 1 d diese Ehrenstellen und! A. 
Bloch die des II. Vorst, und Kassiers. 
Am 5. Februar 1922 erfolgt nach einer Probepre¬ 
digt die einstimmige Aufnahme des Verfassers dieser 
Monographie als Rabbiner der hiesigen K. G. Er 
trat diesen Posten nach vorhergegangenen Studien 
und! erlangter Rabb. Autorisation an der öffentlichen 
Rabbinatschule in Preßburg an, welche Stelle er nach 
Erteilung des Definitivums noch heute bekleidet. Im 
selben Jahre wird der Tempel in S. wieder renoviert 
und am 25. Augnst 1922 feierlich eingeweiht. 
Im J. 1922 gab es noch Religionsunterricht in 
Turn, Soborten, Karbitz, Mariaschein, Graupen, Os- 
sek, Kosten, Klostergrab und Eichwald. 
Der jüd. Nachwuchs vom Lande hörte jedoch all¬ 
mählich auf, so daß heute (1933) nur noch in S. und 
an den cech. und deutschen Volks- und Bürgerschulen 
in Turn Religion erteilt wird, mit dem Unterschiede, 
daß es während meiner ersten Amtsjahre in Turn 
18 Kinder und der Rest in der Provinz zu betreuen 
waren, während es heute in Turn rund 120 jüd. 
Kinder sind, der Provinzunterricht aber ganz aufge¬ 
hört hat. 
Unsere K. G. beschloß in diesem Jahre des greisen, 
verdienstvollen Präsidenten unserer Republik T. G. 
M a s a r y k allsabbatlich im Gebete zu gedenken, 
dem Staate und seinen Führern Dank zollend. 
Auf politischem Gebiete nehmen die Juden eben¬ 
falls regen Anteil und beeinflußten in beträchtlichem 
Maße die Arbeiten in der Gemeindestube der Stadt 
Turn, Karbitz, Soborten, Eichwald usw. 
Mehr als einmal konnte der antisemitischen Welle 
ein Damm gesetzt werden durch die sinnvolle, offene 
und aufrichtige Politik geachteter jüd. Männer, de¬ 
ren Leben und. Wirken sich den Respekt aller ab¬ 
rang. In S. selbst war es vor allem der erst kürzlich 
zu Grabe getragene K. V. Karl Weinfeld s. A., 
der als Approvisionierungskommissär im Weltkrieg 
die allgemeine Not seinem Orte durch besondere Für¬ 
sorge ersparte und wie ein kluger Ratgeber — ohne 
die Vorsteherschaft der polit. Gemeinde anzunehmen 
— in allen Belangen mit Rat und Tat beistand. Die 
Herren Bloch, Julius Taussig s. A. und noch viele 
andere hatten führenden Anteil an der Leitung der 
Geschicke der polit. Gemeinde. Jul. Taussig s. A. 
und der derz. K. V. Fabrikant Adolf Bloch grün¬ 
deten im J. 1875 die freiw. Feuerwehr, welche von 
dessen Sohn Bernhard Bloch eifrig gefördert wird. 
■— In Turn waren bereits zu Beginn des 20. Jhts. 
Fabrikant Eduard Propper im Stadtrat, Fabrikant 
K o p e c k y, Dr. Heinrich Steiner, Advokat, und 
Dr. Is. Freisinger bis zu seiner Ernennung zum 
Stadtarzt; derzeit wirken als alte Vorkämpfer ihrer 
Partei Dr. Lieben und Siegfried Abeles (seit 
54 Jahren der Partei angehörend) als Stadträte in 
Turn und nehmen eine besonders geachtete Stellung 
ein. Seit 1929 ist auch die jüd. nation. Partei durch 
Leo Fischer als Stadtverordneten erfolgreich ver¬ 
treten. Derselbe gehört auch der Repräsentanz der 
Landesjudenschaft Böhmens an. Bereits in der frü¬ 
heren Wahlperiode fehlte der jüd. Partei bloß eine 
einzige Stimme für ein Mandat. Auch in allen an¬ 
deren Vereinen und Institutionen haben Juden füh¬ 
renden Anteil. Rudolf P a c h n e r als Vizepräs, im 
Handelsgremium, Teplitz, Gustav Glaser als Ob¬ 
mann des Verschönerungsvereines in Turn; Hugo 
Schlack, Obmann des Gebirgsvereines, und viele 
andere. Es ist daher begreiflich, wenn Juden und 
Soborten 6 
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