Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Geschichte der Juden in Rosenberg. 
Bearbeitet von 
Prof. Dr. Berthold König, Brünn. 
Rosenberg l 
W ie ein kleines Kind sich furchtsam an die Rock¬ 
falten der hochaufragenden, beschützenden Mutter 
hängt, so drängte sich eine kleine Zahl von kleinen 
Judenhäusern an den Abhang des Rosenberger-Schlloß- 
berges dicht heran, Schutz suchend und findend bei 
den mächtigen Herren den Rosenbergern. So verschüch¬ 
tert und mit jedem Fleck Boden zufrieden müssen die 
sich dort ansiedelnden Juden gewesen sein, daß sie 
sogar ihren Tempel verdreht gebaut haben. Man 
braucht nicht einmal einen Kompaß zur Hand neh¬ 
men, wenn man bloß bei Sonnenaufgang oder -unter- 
Friedhof (Alter Teil) 
gang oder in einer sternhellen Nacht beim Tempel¬ 
hause steht und sich orientiert, sieht man mit Erstau¬ 
nen, daß die sonst nach Osten oder Südosten weisende 
„Misrach"-Mauer des Tempels nach Nordosten gerich¬ 
tet ist, also etwa nach Petersburg statt nach Jerusalem 
schaut. Hiefür finde ich keine andere Erklärung als 
die überaus zwingende Enge des zur Verfügung ste¬ 
henden Raumes. Stünde der Tempel nicht mehr auf 
seiner ursprünglichen Baufläche, so hätte man sicher¬ 
lich eine richtige Orientierung vorgenommen, gerade 
der Umstand der schlechten Orientierung spricht für 
das hohe Alter des Standplatzes. 
Im Innern des Tempels zeugt der schöne, ganz aus 
Holz geschnitzte Altar zufolge seines reinen Barock¬ 
stils für die Bauzeit etwa um 1680—1700, doch scheint 
ein sonderbares Lilienmotiv in den Barockgittern, das 
fast kreuzartig aussieht, auf eine Nachbildung eines 
früher vorhandenen gotischen Steinaltar mit Lilien¬ 
schmuck hinzudeuten. Sicherlich bestand vor diesem 
jetzigen Tempel schon ein ganz anderer, der durch 
Feuer oder andere Gewalt zerstört wurde. 
Es ist klar, daß die großen Scharen deutscher Juden, 
die während der Kreuzzüge aus Deutschland flüchten 
mußten und bei den slawischen Völkern und Fürsten 
eine neue Heimat fanden, besonders die seitwärts von 
den großen Heeresstraßen liegenden Schlösser des 
Böhmerwaldes als richtige Zufluchtsorte erkannten 
und sich bestrebten, hier Ansiedlungsrechte zu erwer¬ 
ben. Hier konnten sie bessere Zeiten abwarten, ihre 
Enkel konnten dann von hier aus in ruhigen Jahren 
des Friedens ein Weiterwandern nach Österreich und 
Salzburg versuchen. So war R. und andere J. G. des 
Böhmerwaldes die Mutterstädte, von denen aus Zweig¬ 
stellen in Hohenfurt, Friedberg, Kaplitz, ja sogar in 
Linz aus gesandt wurden. 
Dafür gibt es einen untrüglichen Zeugen: Den Ro¬ 
senberger alten Judenfriedhof. Es isit ein schmales, an 
der Südostseite der alten Stadtmauer hartanliegendes 
Gräberfeld, das karg bemessen war und auf den ersten 
Blick als kleiner Friedhof einer kleinen J. G. erschei¬ 
nen könnte. Durch die fast hochstufenartigen Terrain¬ 
unterschiede erkennt man aber, daß mehrmals Boden¬ 
aufschüttungen stattfanden, um Platz für weitere Be¬ 
erdigungen zu erlangen, wenn der Friedhof voll war, 
und sonst keinen Platz für Gräber geboten hätte. Bei 
meinem Nachfragen erhielt ich die Auskunft, daß man 
seit alter Zeit erzählt, daß auf dem Friedhof dreimal 
Erde aufgeschüttet wurde und manche Teile des Fried¬ 
hofes in drei Horizontlagen, manche nur in zwei Ho¬ 
rizonten Gräber-Änderungen haben. Die vorhandenen 
Steine sind nur bei den neueren kaum 100 Jahre 
Denkmälern gut erhalten, doch glaube ich an den 
men der Steine zu erkennen, daß sie höchstens 250 
Jahre alt sind. Es dürfte daher vor etwa 250 Jahren 
ein großer Generalakt in R. vor sich gegangen sein, 
der Tempel und Friedhof zerstörte, so daß dann hier¬ 
auf eine Umgestaltung, eine Neuerung in diesen beiden 
Orten des jüd. Lebens und Todes erfolgte. Es wird in 
R. von Herrn Sternschein, der in der Ortsge¬ 
schichte sehr gut bewandert ist, erzählt, daß auch spa¬ 
nische Marannen dort gelebt hätten und begraben 
liegen. Auch eine diesbezügliche schöne große Sand¬ 
stein Mazeba zeigte er mir, doch konnten wir zusam¬ 
men die Inschrift nicht entziffern, nur möchte ich 
diesen Stein nicht für älter als höchstens 250 J 
halten, so daß er das als Mazeba eines Marannen nicht, 
vielleicht aber eines späteren Nachkommens einer 
spanisch-jüdischen Familie gelten kann. Der R. Juden¬ 
friedhof birgt aber auch viele Juden naher und ferner 
Wohnstätten, wie Dr. Kurrein in Linz, in seiner 
Salamon Goldstein Eduard Goldstein 
Schrift: „Rosenberg", Prag 1930, nachweist. 
Aus der R. Judenschule sind viele große jüd. Män¬ 
ner aller Gesellschafts- und Berufsklassen hervorge¬ 
gangen, es war dereinst in diesem herrlichen Städtchen 
der schönen Natur entsprechend ein schönes, standlos 
und frohes Judengeschlecht, die Ahnherren der ober- 
österr, und Salzburger Juden.
	        
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