Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

böhmeng. Der Name rührt wahrscheinlich davon her, 
daß die Handelsstraße, deren Schirmherr schon im 
14. Jht. Kaiser Karl IV. war, isich „gabelte46. Es wäre 
also begreiflich, wenn sich Juden an einem so wich¬ 
tigen Knotenpunkte des Handels angesiedelt hätten. 
In D.-Gabel finden sich keinerlei auf Juden sich be¬ 
ziehende Akten und Schriften. Was an Aufzeichnungen 
überhaupt bei der Erstürmung der Stadt durch die 
Hussiten im August 1420 verschont blieb, vernichtete 
der große Brand im Mai 1788. Doch aus indirekten 
Quellen erfahren wir, daß gegen Ende des 16. Jht. ein¬ 
zelne Juden dort ihren Wohnsitz aufschlugen. Ein im 
J. 1599 in Reichenberg hingerichtetes Weib sagte 
unter der Tortur aus, sie habe einen Teil der entwen¬ 
deten Sachen „nachmaln zur Gabeil unter den Juden 
verkaufft" 3T). Und im SchÖppenbuch von Henners¬ 
dorf am Rollberg, östliche Ortshälfte, finden sich 
nachstehende zwei Notizen: Im Frühjahr 1600 wurden 
Martin Wilde 15 Schock erlegt, wovon neben anderen 
Gläubigern auch der „Jude zur Gabell" bezahlt wurde. 
Ferner: Am 27. Dezember 1610 empfängt der Jude 
Salomon zur Gabel von Jacob Prokop 7 B. 15 G. als 
Schuld des Jacob Ohlmanii. 
Nebst diesen dürftigen Nachrichten käme eventi, 
noch eine nicht zu unterschätzende Quelle in Be¬ 
tracht, das Bruchstück eines Grabsteines. Er ist an 
der Vorderseite eines Hauses an der Straße „Herms- 
dorfer Pforte66 eingemauert. Er soll angeblich etwa 
seit 100 Jahren dort eingebaut sein. 
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(„. . . ruht eine Frau . . . und edel, die Tochter des . . , 
Vornehmen, Frau des ... Segal) (= Leviten, Landau) 
. . . (Die Seele vereint) im Bunde der Lebenden ... im 
J. 352") 38). Der Grabstein stand also seinerzeit an dei 
Ruhestätte einer Ehefrau, denn er ist ihrem Andenken 
gewidmet. Das Wort |¥p ist nach der Aussprache im 
Alltagsleben, daher ohne \ also mit einem Recht¬ 
schreibfehler geschrieben. Die drei Buchstaben in der 
letzten Zeile geben höchstwahrscheinlich die Jahres¬ 
zahl an. Auffallend ist es, daß sie nach der Eulologie 
angegeben wird, was allerdings auch, wenn auch sel¬ 
ten, vorzukommen pflegt. Das Datum 1592 würde ja 
stimmen, da um diese Zeit, wie oben ausgeführt, Juden 
sich in Gabel aufhielten. 
Es ist ein altes Wahrwort: „Steine sprechen". In 
der Tat sind Grabsteine oft wichtige und mitunter aus 
längst verklungenen Zeiten die einzigen Zeugen für 
das Alter irgend einer jüdischen Siedlung. Doch der 
Fund in Gabel läßt uns im Stich. Denn die Kernfrage 
kann nicht geklärt werden, woher das Bruchstück 
dieses Grabsteines stammt. Wir sind nur auf die 
mündliche Tradition, die doch nicht immer zuver¬ 
lässig ist, angewiesen. Angeblich soll der Grabstein von 
einem ehemaligen Judenfriedhofe in Gabel herrühren, 
der vor Jahrhunderten an dem Platze lag, wo jetzt 
ein Garten angelegt ist, der sich dem Hause gegenüber 
befindet, an dem der Grabstein angebracht ist. Dieser 
Platz, jetzt Garten, grenzt, bezw. grenzte an die Stadt¬ 
mauer, die aber jetzt nur noch zum Teil vorhanden 
ist. Nebenstehende Skizze veranschaulicht die Lage des 
ehemaligen jüdischen Friedhofes. 
Diese Rekonstruktion beruht jedoch nur auf der 
Annahme, daß dort wirklich einmal ein jüd. Friedhof 
lag. Diese Annahme ist aber unbewiesen. Es ist durch¬ 
aus nicht ausgeschlossen, sondern möglich und sogar 
nicht unwahrscheinlich, daß dort ein solcher Friedhof 
bestand, aber es fehlt der schlüssige Beweis dafür. Daß 
man unlängst an gleicher Stelle bei der Kanalregu¬ 
lierung wieder einen Grabstein mit hebr. Inschrift 
fand, ist auch nicht beweiskräftig. Denn abgesehen 
davon, daß dieser Stein zum Teil schon morsch ge¬ 
worden und die Inschrift verwittert ist, sodaß nur 
noch einzelne Buchstaben entziffert werden können, 
ist es fraglich, ob diese Steine nicht von anders- 
w o hingebracht wurden. Denn bei Bauten bediente 
man sich ihrer sehr gern und die Frachter waren da¬ 
mals an Steinfuhren gewöhnt. Mit Recht bemerkt S. 
H. Lieben30): „Die Verwendung jüd. Grabsteine führt 
allerdings oft zu Grotesken. Man suchte für die heb¬ 
räischen Buchstaben, die wohl zelotischer Eifer nicht 
an christlichen Häusern dulden wollte, die man aber 
aus einem gewissen Aberglauben nicht entfernen 
mochte, gewissermaßen eine religiöse Sühne, indem 
man ihnen ein gut christliches Symbol beigesellte, so 
wenigstens mag der in einem Hause in D.-Gabdl ein¬ 
gemauerte hebr. Grabstein zu seiner Bekrönung durch 
das Kruzifix gekommen sein." Übrigens hängt vor 
ihm auch eine Lampe, als wäre es ein Heiligenbild. 
Volle 200 Jahre hindurch dringt keine Kunde zu 
uns über Juden in D.-Gabel. Ein einziger Name, der 
weiter nichts besagt, taucht auf dem Umwege des 
Reichengberger städt. Wollwageprotokolls auf. Ein 
Halbjahrhundert hindurch, von 1815 bis 1865 wurde 
im dortigen Dekanalamte eine „Judenmatrik" geführt. 
Alles in allem sind während dieses Zeitraumes 14 
Geburtsfälle zur Eintragung gelangt. Als Geschichts¬ 
quelle kommt diese Matrik nicht in Betracht. Um die 
Mitte der 30er Jahre des vorigen Jhts. ließ sich in 
Gabel der erste jüd. Arzt, der dort überhaupt der 
erste Med. Dr. war, da es bis dahin nur zwei Wund¬ 
ärzte gab, nieder. Dr. Wolf gang Hamburger, auch „ob¬ 
rigkeitlicher Arzt", aus Jungbunzlau gebürtig, eine 
vielseitige, kraftvolle Persönlichkeit, verfaßte medi¬ 
zinische, schöngeistige und politische Werke. Aus 
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seiner Feder floß auch das Buch: „Medizin, Topogra¬ 
phie und Geschichte der gräfl. Herrschaft Lämberg 
und der benachbarten Stadt Gabel." Dr. Hamburger, 
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Reichenberg 39
	        
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