Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

nisation unterhält ein eigenes Bethaus, sowie einen 
Schächter. Gegenwärtig übt diese Funktion Naphtali 
Kar t h a g e n e r aus. 
Im J. 1901 wurde eine Ortgruppe des „Hilfsvereins 
für die notleidende jüd. Bevölkerung Gailiziens" ge¬ 
gründet. Dieser Humanitätsverein verfolgte den 
Zweck, unseren Glaubensgenossen im genannten 
Lande durch Schaffung von Kleinindustrie Arbeit und 
Verdienst zukommen zu lassen und die kulturellen 
Verhältnisse zu bessern. Da der Sitz der Zentrale sich 
in Wien befand, wurden nach dem Umsturz alle Orts¬ 
gruppen in der CSR. aufgelöst. Obmann der Orts¬ 
gruppe, die eine der größten im alten Österreich war, 
war von der Gründung bis zur Auflösung Rb. E. H o f- 
m a n n. 
An der Stärkung des Interesses am Judentum haben 
die Logen einen großen Anteil. Sie fördern mensch¬ 
liche und jüdische Ideale. Die älteste Loge in R. ist 
die „Philanthropia\ Diese Zweigloge des Weltbundes 
B'nai B'rith wurde am 12. September 1894 eröffnet. Da 
die Bezeichnung „Loge" im alten Österreich verboten 
war, nannte sich die „Philanthropia" gleich ihren 
Schwesternlogen „Isr. Humanitätsverein". Der erste 
Präsident war kais. Rat Alfred Deutsch, im Ver¬ 
einsjahre 1932 ist es Leo L e w it u s. Ing. Rud. T e 11- 
scher bekleidete die Würde eines Groß-Vizepräsi- 
denten. Diese Loge hat sich auch um die Allgemein¬ 
heit verdient gemacht. Die Gründung einer Mädchen- 
for tbil dungs schule, aus der das spätere Lyzeum und 
dann das Mädchen-Reformrealgymnasium hervorging, 
war den Bemühungen der Philanthropia zu verdan¬ 
ken. Auf ihr Betreiben wurde entsprechend dem An¬ 
trage des Rb. E. Hofmann das jüd. Schwachsinni- 
genheim in Hloubetin bei Prag errichtet. Vor dem 
Kriege veranstaltete die Loge Vorträge, zu denen auch 
die Gemeinde eingeladen wurde. So hielten außer Rb. 
E. Hofmann solche öffentliche Vorträge die Professo¬ 
ren Hermann Cohen, Ludwig Geiger, Moritz L a- 
z a r u s, Franz Oppenheimer, ferner die Schrift¬ 
steller Gustav Karpeles, Adolf K o h u t und Hugo 
Salus. Dadurch boit die „Philanthropia" der breites¬ 
ten Öffentlichkeit Gelegenheit, jüdischen Koryphäen 
zu lauschen. Diese Vorträge haben das geistige Leben 
der Gemeinde befruchtet. 
Im J. 1909 wurde die Reichenberger Loge des Bru 
derbundeis „Hort" gegründet. Ihr erster Obmann war 
Salomon Glückauf. Gegenwärtig steht Ing. Otto 
Ei s ens chimi an ihrer Spitze. Im J. 1920 öffnete 
die Loge „Société66 ihre Pforten. Ihr erster Obmann 
war Dr. Rud. König st e in. Seit 1930 steht Fritz 
L ö w y an ihrer Spitze. Die Zentrale der Logen be¬ 
findet sich in Prag. Sowohl der „Hort" als auch die 
„Société" pflegen intensiv die brüderliche Hilfe. 
An allen 3 Logen bestehen S c h w e s t e r n v e r- 
einigungen, die die Arbeiten der Logenbrüder 
fördern und ergänzen. 
Verhältnismäßig spät trat der „Zionistische Volks- 
verein Theodor Herzl66 auf den Plan. Er wurde erst 
1908 ins Leben gerufen. Sein erster Obmann war Dr. 
Hugo Reichmann. Gegenwärtig steht Ing. Erwin 
Schwarzkopf an seiner Spitze. Als Kommissär 
für den Nationalfond fungiert Willi. Weis is. Mit 
Fug erblickt der Verein in Emil Deutsch seinen 
getreuen Eckhart. Der Volksverein, der viel zur Befe¬ 
stigung des jüd. Bewußtseins beitrug, gewann in R. nur 
schwer an Boden. Wenn es ihm auch nicht beschieden 
war, einen Aufschwung zu nehmen, so muß ihm Ge¬ 
nugtuung gewähren, daß die Idee, in deren Dienste 
er steht, immer siegreicher vordringt. Namentlich 
bricht sich der Gedanke, daß der Aufbau Palästinas 
nicht mehr Parteisache, sondern eine allgemeine jüd. 
Angelegenheit sei, immer mehr Bahn. So konnten die 
verschiedensten Werbeaktionen, die Sammlungen für 
den Keren Hajessod und andere Fonde einen großen 
Erfolg aufweisen, denn diese Werbefeldzüge erfaßten 
auch die meisten Nichtzionisten. 
Eine Ortsgruppe der „Landesorganisation jüd. 
Frauen", „Wizo", wurde im J. 1927 gegründet. Im 
Rahmen des Weltverb andes steckt sie sich das Ziel, 
jüdische kulturelle und isoziale Arbeit zu leisten, den 
Zusammenschluß jüd. Frauen und Mädchen anzustre¬ 
ben und insbesondere durch werktätige Mithilfe die 
Aufbauarbeit in Palästina, die dortigen Säuglingis-Kin- 
der-, namentlich MâdchenÎieime und Erziehungsanstal¬ 
ten usw. zu fördern. Die Ortsgruppe ist in kürzester 
Zeit ein bedeutsamer Faktor des jüd. kulturellen und 
sozialen Lebens geworden. Vorsitzende ist seit der 
Gründung Frau Eugenie Hofmann. 
Die jüd. Renaissancebewegung hat ihr Augenmerk 
auch in R. auf die körperliche Ertüchtigung gerichtet. 
So entstand im J. 1922 der jüd. Turn- u. Sportverein: 
„MakkabiErster Obmann Avar Dr. Franz Kraus. 
Seit 1930 steht Robert Wassermann an seiner 
Spitze. Fast alljährlich tritt der Verein „Makkabi" mit 
wohlgelungenen turnerischen Veranstaltungen vor die 
Öffentlichkeit. Anläßlich der Zehnjahrbestandesfeier, 
die in größerem Rahmen begangen wurde, gab der 
Verein eine gedruckte Festschrift heraus. 
Ungemein erfreulich ist es, daß es in R. gelungen 
ist, auch die jüd. Jugend, die Träger unserer Zukunft, 
zu organisieren. Es bestehen zwei Jugendvereinigun- 
gen. Der bedeutend ältere, der „Jüd. Wanderbund 
Blau-Weiß" (Techeleth Lawan) wurde im J. 1912 ge¬ 
gründet. Er hat verschiedene Phasen durchgemacht. 
Ein Großteil der jüdisch bewußten jüngeren Genera¬ 
tion ist aus seinen Reihen hervorgegangen. Den jungen 
Führern im Bunde steht ein Elternrat zur Seite. 
Der im J. 1931 von Rb. E. Hofmann ins Leben 
gerufene „Bund jüdischer Jugend (Berith Hanoar)" 
hat schon in seinem kurzen Bestände seine Lebens¬ 
fähigkeit bewiesen und nimmt einen verheißungsvol¬ 
len Aufstieg. Die in ihm vereinte männliche und 
weibliche Jugend sucht ihr jüd. Wissen zu vertiefen 
und sich mit allen Arten der jüd. Problematik ver¬ 
traut zu machen. Der erste Obmann war Walter 
Schütz. 
Alle diese Vereinigungen leisten viel zur Weckung 
und Kräftigung des jüd. Interesses. 
Juden in nichtjüdischen Körperschaften. 
Die Gemeindemitglieder gingen auch am öffentli¬ 
chen Leben nicht teilnahmslos vorüber. Es drängte sich 
niemand zu einem Amte oder zu einer Ehrenstelle. 
Wer aber zu solchen berufen ward, setzte freudig seine 
Kraft und sein Können in den Dienst der Allgemein¬ 
heit. Als Vertreter der K. G. gehörte Moritz Rose n- 
bäum dem städt. Ortsschulrate an. Als dieser auf¬ 
gelöst wurde und an seine Stelle im J. 1874 der k. k. 
Bezirksschulrat der Stadt R. trat, stand vermöge ihrer 
Seelenzaihl der K. G. das gesetzl. Recht zu, einen Ver¬ 
treter in diese Körperschaft zu entsenden, der dort 
Sitz und Stimme hatte. Diesem Bezirksschulrate ge¬ 
hörten als Vertreter der isr. Religionsgesellschaft an: 
Willi. Winter ber g bis 1878, Sigari, L i e b i t z k i 
1878 bis 1889, Heinr. Langstein 1889—1900; 
Rabb, Prof. Dr. E. H o f m a n n 1900—1910, Dr. Wilh. 
Schnürmacher 1910—1916, und Dr. Wilhelm 
Fleischer 1916—1920. Seit den siebziger Jahren 
gehörte fast in jeder Wahlperiode ein Jude dem Stadt¬ 
verordnetenkollegium an. Im J. 1919 wurde Guido 
Knina aus der sozialdemokratischen Partei in den 
Stadtrat gewählt und verblieb darin 4 Jahre. Juden 
Reic henberg 36 
564
	        
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