Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Der Wollegroschen. 
Unter den zahlreichen Abgaben, die die Reichen- 
berger Tuchmacher ihrer Grundherrschaft zu leisten 
hatten, wurde keine so bedrückend empfunden, war 
keine so verhaßt, wie jene, die den harmlosen Namen 
,,der Wolle gr o sehen 6 führte. Er steht heute noch in 
üblem Gedenken und hat mehr als andere Ma߬ 
nahmen und Vorkommnisse die Abneigung gegen die 
Juden genährt. Seine Abschaffung wurde durch 
einen Dankgottesdienst gefeiert. Das Gedenkbuch der 
Tuchmacherzunft enthält darüber folgende Notiz: 
„Anno 1777, den 20. May hat ein Ehrsames Hand- 
werck zur Schuldigsten Dankbarkeith wegen erledig¬ 
ten Wollegroschen-Zünsungen, Bey der glorreichen 
Kaisl. Königl. Maj. ums glückliche Regierung, in der 
heil. Kreutz-Kirchen bey dem Altar des heil. Severy, 
ein Solemnes Ambt halten lassen, zu welchem sowohl 
die gantze Meisterschaft, als auch Gesellen und 
Knappen Häuszern ordnungsgemässig ihren Zug bis 
zur Kirche genommen, unter welchem Gottesdienst 
das vorgeschriebene Particul des heil. Severy Jeder, 
männiglich das erste mahl zum Küssen gereicht 
wurde.44 Der heil. Severin ist der Schutzpatron der 
Tuchmachergilde und die hierortige Tuchmacher¬ 
genossenschaft hält auch jetzt noch alljährlich am 
Sonntag vor dem Severintage ihre gemeinsame Tafel 
ab. Was hat es nun für eine Bewandnis mit dieser 
ominösen Abgabe, deren Einführung soviel Staub 
aufgewirbelt und deren Einstellung soviel Jubel aus¬ 
gelöst hat? 
Im J. 1669 ließ Graf Franz v. Gallas als Reichen- 
berger Grundherr auf Anraten seines Wirtschafts¬ 
hauptmannes Flic k den Tuchmachern eröffnen, d!aß 
sie in Hinkunft verpflichtet sein werden, die Wolle 
nur von der zu errichtenden herrschaftlichen Nieder¬ 
lage zu beziehen. Die Meisterschaft willigte ein. Doch 
später stiegen in ihr Bedenken auf und sie berief 
sich auf ihre Privilegien des freien Wolleinkaufs. 
Doch die Bittschrift wurde vom Grafen abgewiesen 
und das Aufbegehren mit strengen Worten verwiesen. 
Anfang des nächsten Jahres haben nun die Ältesten 
im Namen der ganzen Zunft sich kontraktlich ver¬ 
pflichtet, von jedem Stein Wolle 3 Kreuzer, vom 
schweren Zentner 18 Kreuzer in die herrschaftl. 
Renten abzuführen. Ein Jahrzehnt später wurde dafür 
ein jährliches Pauschale von 500 fl. zugunsten der 
Herrschaft festgesetzt, wogegen den Tuchmachern 
schlag wie auch dieses Pauschale wurden nun „Wolle 
die Befugnis eingeräumt wurde, die Wolle von wo 
immer frei zu beziehen. Sowohl der frühere Zu- 
groschen44 genannt. Der Zuschlag war 11, das Pau¬ 
schale 96 Jahre hindurch, also beide zusammen über 
ein Jahrhundert in Geltung. Die Zunft suchte nun 
immer wiedier diese Abgabe auf die Wollelieferanten, 
die doch fast ausnahmslos Juden waren, abzu¬ 
wälzen. Höchstwahrscheinlich Anfang 1752 ging 
eine Bittschrift der Zunft an den Grafen ab. Der 
auch sonst so unterwürfige Ton wird womöglich noch 
gesteigert. Wo es galt, etwas gegen die Juden durch¬ 
zusetzen, konnte dier Grundherr nicht genug um¬ 
schmeichelt werden. 
„Ihro Hoch Reichs Gräff. Excellenz. 
Hoch Gebohrener Reichs Graff. 
Gnädigst Hoch gebittender Graff und Herr Herr. 
Euer Hoch Reichs Gräff. Exzellenz. 
In allertiffest untter Thänigster Submission ge- 
horsambst Subblicando wir uns er Kühnen, diese de¬ 
mütigste Bittschrift zu Dero Füssen zu Legen, ganz 
fussfällig er wehnent, welcher gestalten untter Haubt- 
man Platzes Regierung, Sich dahmaliger Zeit ein 
Portugiesischer Jud in R. ein gefunden und auffge¬ 
worfen, auch Bereitens die Würkliche Ansuchung 
gethann, Wann Ihme alleinig Verstattet würde, Vor 
das Gesambt Handtwerck der Tuchmacher die Wolle 
zu führen, So Wolle er Jährl. 500 ß richtig und 
Bar der Gnädigsten Obrigkeit abführen. 
Nach Vernehmung dessen aber das Handtwerk der 
Tuchmacher Beschlossen, Weillen Solches der Bür¬ 
gerl. Nahrung schädlich zu sein scheiiitt. Bey der 
allergnädigsten Hohen Herrschaft Subblicando Eini 
Zu Kommen, Besagtes Quantum zu erlegen, damit 
niemandt andern als den Tuchmachermeistern die 
Freyheit Zustände, die Wolle einzuführen. Welches 
auch in Hohen Gnaden placidirt worden und seit- 
hero die Erwenten 500 ß so genanndte Wolle Gro¬ 
schen all Jährl. richtig und Bar in Dero Hoch. Gräffl. 
Renthambt abgeführt, auch Künftig un Weigerlich 
\n aller untterthänigst — — Tiefst Gepflanzten 
Schuldigkeit Zu Enrichten, so Willigst als Schuldigst 
verbunden Sein werden. 
Weilen aber der Judenschaft Ihre Handelschaft 
und Einführung der Wolle Keines Wegs Ver weigert 
werden kann, noch mag, So wäre dieses unser gantz 
demühtig gesinnter Vorsatz (Wan Solche von Euer 
Hoch Reichs Gräffl. Exz. Aller gnedigst approbiert 
würde), dass Künftig die Juden von Jedweden Stein, 
oder 20 Pfunden, deren Ein geführten Woll dem 
Handwerck zu Einer Bey hülft, auf die 500 ß Wolle 
Groschen, Vermög Einer von Euer Hoch Reichs 
Gräffl. Exz. aller Gnedigst ausgestalten Taxa Zu er¬ 
legen, Verbunden und Gehalten Sein Sollten. Gleich 
Wir Nur Euer Hoch Reichs Gräffl. Exz. uns Treu ge- 
horsambste Untter Thannen Dero angebohrene Hoch 
Gräffl. Mülden und Gnaden (Vor denen Juden) Jeder 
Zeit genüssend und sattsamb Vermerken Lassen. 
Dannen hero An Euer Hoch Reichs Gräffl. Exz. 
unser alleruntterthänigst demütiges Bitten gerichtet, 
Hochdieselbe geruhen uns Treu Gehorsambste untter- 
thanen mit dero Hohen obrigkeitl. Gnadenstrahlen 
ailermüldest an Zu blicken und (ohne all untter- 
thänigste Vorschrift) unser obstehend ganz demühtig 
gesinntes Vorhaben zu Com probiren und Vermög 
Euer Hoch Reichs. Gräffl. Exz. Hohe macht und 
Gnadenhand in allergnädigster Taxa auf jeden Stein 
Wolle ausz zu setzen, Aller müldest Geruhen, damit 
Künftig, So Wohl Von den Juden als auch andern, 
dem Handt Werck nicht Zu Gethane, so mit Wolle 
Handelschafft haben Treiben, dem Handtwerg Zu 
einigen Beytrag deren 500 ß Wolle Groschen ohne 
alle ausflüchten möchten entrichtet werden. 
Welche Hohe Gnad der Himmel Viellfältig beloh¬ 
nen undt Tauszend Weege Höchst Vergnügt segnen 
wird. Wir aber Zeit unseres Lebens Solche Hohe 
Gnadt Bey Männigl. Rühmen unsz Höchstens ange¬ 
legen sein Lassen u. Maszen Wir in Tröstl. Hoffnung 
und gäntzl. Zu Vorsicht Gewährige Gnade leben und 
in erfüllter Bitt verharrende 
Euer Hoch Reichs. Gräffl. Exz. 
Treu gehorsambste Untterthanen: 
Franz Klinger, 
Joh. Jos. Knobloch. 
Joh. Friedr. Beyer, 
Joh. Jos. Jakob Witz3 
dero Zeit Eltisten in Nahmen des 
gesambten Handwercks. 
Hierauf erging das „gnädige44 Dekret: Nachdem die 
500 ß v. Pacht Zünsz oder so genanndte Wolle¬ 
groschen Von denn Subblikanten durch so Viele Jahr 
in unsere Renthen richtig abgeführt worden, auch 
damit Frembde und Juden nicht Besserer Condition 
551 
Reichenberg 23
	        
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