Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Erben und Jonas A. Porges. Auch unter den Einkäu¬ 
fern für fremde Häuser, welche damals zum Unter¬ 
schied von heute nach R. kamen und nicht wie spä¬ 
ter aufgesucht werden mußten, sind in erster Reihe 
die Prager zu nennen. Sie kauften meist im 
,,Deutschen Hause6' und in den Tuchpressen ein. Der 
Tuchplatz galt bekanntlich als Tuchbörse. Dort hat¬ 
ten meist auch die Wiener, Budapester, Brünner und 
Jägerndorf er Tuchkauf leute ihre eigenen Einkäufer. 
Viele Firmen ließen den Einkauf durch Tuchkauf - 
leute besorgen, die in R. ansässig waren. So ließ bei¬ 
spielsweise die Fa. Latzko & Popper aus Pest durch 
das Haus Irmenbach, die dortige Fa. Barber durch 
Conrath, die Wiener Fa. M. & J. Mandel durch P. 
Schnabel einkaufen. Beträchtliche Posten kauften 
Braun & Herzka aus Pest, die zwei Firmen Sorer aus 
Brünn, Geringer & Quittner aus Wien usw.10). Doch 
die Darstellung des jüd. Tuchhandels am hiesigen 
Platze in den letzten Jahrzehnten würde zu weit füh¬ 
ren, zumal diese Arbeit die Entwicklung bis zum J. 
L860 sich zum Ziele gesteckt hat. Nur so viel sei be¬ 
merkt, daß neben dem Tuchhause Ludwig & Karl 
Kraus, das als eine der größten und führenden Fir¬ 
men in der alten Monarchie galt, eine große Anzahl 
seriöser Tuchhändler zum Aufschwung der hiesigen 
Erzeugung und des hiesigen Handels wesentlich bei¬ 
trugen. 
Die Relchenberger Tuch mâcher zuiift 
und die Juden. 
Die Tuchmacherzunft in R. trat verhältnismäßig 
erst spät auf den Plan, als die Zünfte anderswo 
schon längst ihre Blütezeit hinter sich hatten. Sie 
waren überall der Hort der Lokalinteressen. Der 
Fremde, der sie gefährdet, gilt als Feind. Mit Argus¬ 
augen überwachten die Zünfte ihre Privilegien und 
duldeten nicht die geringsten Übergriffe anderer 
Kreise. Es war der reinste Monopolien-Geist, der das 
Gefühl für Interessengemeinschaft befehdete, ja gar 
nicht aufkommen ließ. Deshalb hätten die Tuch¬ 
macher am liebsten den Rohstoff direkt vom Urpro- 
duzenten bezogen und das Fabrikat direkt an die 
Verbraucher verkauft, sohin jedes Zwischenglied aus¬ 
geschaltet. Für die die Produktion mächtig an¬ 
regende und fördernde Funktion des Handels hatten 
die Zünfte kein Verständnis. Sie betrachteten den 
Handel als unproduktiv und parasitär. Sie übersahen 
eben, daß wer den Produkten der Arbeit Absatz ver¬ 
schafft, ihren Wert erhöht, also auch Werte schafft. 
Dazu kam npch ein psychologisches Moment. Die 
Tuchmacher hatten innere, gleichsam persönliche Be¬ 
ziehungen zur Ware, die sie erzeugten. Es war ein 
ehrsames Handwerk. Diese Leute haben sauer ihr 
Brot verdient, überaus emsig und unverdrossen ge¬ 
arbeitet, ja gerobotet und litten unter der Leibeigen¬ 
schaft, unter der rücksichtslosen Bedrückung der 
Grundherrschaft und insbesondere der oft habgieri¬ 
gen Beamten. Die persönliche Mühe nun, die man an 
das Fabrikat verwandte, vergrößerte ihren Wert in 
den Augen der Erzeuger. 
Die Haltung der Reichenberger Tuchmacherzunft 
den Juden gegenüber war typisch. Sie bekämpfte 
im Juden in erster Reihe den Fremden, dann den 
Zwischenhändler, überhaupt den Kaufmann. Ihr 
Kampf galt vor allem den jüd. Wollhändlern. Ihren 
Bestrebungen, ihn einzudämmen, setzte 1811, als 
schon eine liberalere Gewerbegesetzgebung inaugu¬ 
riert wurde, die Kreishauptmannschaft einen Dämp¬ 
fer auf. Sie lehnte alle reaktionären Vorschläge mit 
der Begündung ab: „Die Juden haben kein ausschlie¬ 
ßendes Befugnis zum Handel mit Wolle, und sonsti¬ 
gen Landesprodukten, es ist vielmehr ganz frei. Die 
Juden vom Produktenhandel auszuschließen, ist so 
wenig zulässig, als es im allgemeinen zweckwidrig 
wäre, durch verminderte Konkurrenz Wohlfeilheit 
herbeizuführen." Eine ständige Klage der Tuch¬ 
macherzunft bildete die Ausfuhr der Wolle seitens 
der jüd. Händler, wodurch angeblich nur mindere 
Qualitäten im Lande blieben. Das Allheilmittel er¬ 
blickte die Zunft im Verbot der Wollausfuhr. Durch¬ 
schnittlich alle fünf Jahre ließ sie ein Majestäts¬ 
gesuch abgehen, die Wollausfuhr zu verbieten. Im 
Widerspruch mit diesem ewigen Lamento steht die 
Antwort der Zunft, die sie auf ein Wollangebot aus 
Wien erteilte. „Die stärkeren Fabrikanten sind mit 
feinerer Wolle, wie sie zu ihrem Gewerbe nötig ha¬ 
ben., jederzeit versehen66 Das Kreisamt war objektiv 
genug, die „übermäßige Verteuerung der Tuche und 
die Beschiverde gegen den Handel der Juden mit 
Wolle, sowie gegen die Wollausfuhr als unberech¬ 
tigt66 zurückzuweisen. Die fremden Tuchhändler er¬ 
regten oft den Zorn der Zunft. Wiederholt richtet sie 
Eingaben an den Magistrat gegen ein Dutzend Aus¬ 
länder, weil sie unappretierte Tuche einkaufen und 
sie auf eigene Kosten färben, drucken und appretie¬ 
ren lassen. Abgesehen davon, daß dem Färberhause 
der Zunft dler Nutzen entzogen wird, wird in die Ge¬ 
rechtsame derselben eingegriffen, ihr guter Ruf ge¬ 
schädigt. Was später als „Manipulation" nicht nur 
erlaubt, sondern auch löblich war, war damals sehr 
verpönt. Man durfte ausschließlich nur Ganzfabri¬ 
kate kaufen. In den umfangreichen Beschwerde¬ 
schriften der Zunft ist nur von Fremden die Rede, 
die Juden werden mit keinem Sterbenswort erwähnt. 
Aber auch sie trifft nachher der Unwille der Zunft, 
weil sie dem Beispiel des Schweizer, Griechen und 
anderer fremder Handelshäuser folgten. Sie ver¬ 
wahrt sich dagegen, daß Juden Nopper und Zustrei- 
cher aufnehmen, außerdem aber die Tuchgattungen 
„bloß aufs Auge des jüd. Handels66 bestellt sind, be¬ 
schwört den Magistrat, durch kraftvolle Mittel ein¬ 
zuschreiten, damit „kein Tuchbereiter und kein Tuch- 
scherer künftighin der Judenschaft dergleichen Tuch 
zuzurichten sich unterfangen dürfe66. 
Mit einem Anfluge leiser Ironie gab der Magistrat 
ihren Ratschlag bekannt: „Da die ganze Zunft, folg¬ 
lich auch alle Meister um Abhilfe bäten, es wäre 
schwer zu glauben, daß es Meister geben würde, die 
ihrer eigenen . Bitte zuwider handeln sollten, Die 
Zunft-Eltisten hätten Namen anzuzeigen, damit man 
gegen die Tuchmacher, als auch Tuchscherer und 
Tuchbereiter, dann aber auch Juden vorgehen 
könne.64 Die Zunft vermochte aber nur einen ein¬ 
zigen Prager Juden zu nennen, der rohe Tuche 
kaufte. Erst 30 Jahre später nannte sie noch 6 Pra¬ 
ger jüd. Firmen. Die Zahl der Angezeigten war ge¬ 
ring genug. Nichtsdestoweniger jammerte die Zunft: 
„Wenn diesem Unfuge nicht gesteuert werde, so 
werden die Juden nach dem ihnen angeborenen 
Hange alle Gerechtsame eines Tuchmachers aus¬ 
üben6' Aus den Anfangsworten einer Petition der 
Zunft an die Stadtbehörde: „Nun erscheinen auch 
die Juden in die Reihe derer " geht deut¬ 
lich hervor, daß die sogenannte Manipulation nicht 
von Juden eingéführt, sondern von ihnen den Frem¬ 
den nachgeahmt wurde. Die Behauptung Siegm, 
Mayers 20) : „Die beiden Zweige (nämlich Manipulation 
und Konfektion) sind durchaus Produkte jüd. Han¬ 
delsgeistes,44 trifft für das erstere nicht zu. Die Ju¬ 
den waren in dieser Beziehung bloß gelehrige Schü¬ 
ler. Auch gefühlsmäßig rückte die Zunft von denen 
ab, die kein Ganzfabrikat kauften. „Sonst ging der 
Tucheinkaufende zum Tuchmacher selbst, besah die 
Reichenberg 18 
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