Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

„Wenn fremde und selbst Schweizer Handelsleute 
sich mit Einkehrhäusern begnügen, werden sie wohl 
auch für die Rekurrenten angemessen sein. Es sind 
in R. 27 Fremdenzimmer. Sie reichen aus, wenn nur 
Juden nicht wie bisher sich ununterbrochen das ganze 
Jahr in R. aufhalten wollen.44 Diese Argumente mach¬ 
ten auf die Rekurrenten keinen Eindruck und sie 
legten gegen das Kreisamt Beschwerde ein. Bald dar¬ 
auf belehrt das Landespräsidium die Kreishaupt¬ 
mannschaft: „Nur im Geiste der bestehenden libe¬ 
ralen Handlungsgrundsätze muß sich überhaupt ge¬ 
gen die fremden Warenabnehmer benommen wer¬ 
den.44 Also „oben4' wehte jetzt ein anderer Wind. Die 
Untersuchungsakten wurden nun der Hofstelle in 
Wien vorgelegt. Von ihr kam am 21. Feber 1811 ein 
Erlaß, der im Wesentlichen lautete: „Die Hofkam- 
rner hat mit Befremden das Benehmen der Reichen- 
berger Obrigkeit ersehen, welche sich ange¬ 
maßt hat, aus eigener Macht den nach R. zum 
Wareneinkauf kommenden Fremden und Ausländern 
in der Regel keinen längeren Aufenthalt als 14 Tage 
zu gestatten, ihnen sogar die Unterkunft in Privat¬ 
häusern zu untersagen. Solche Maßregeln, die in die 
höheren Kommerzialrücksichten eingreifen, mit den 
Vorschriften der milden österr. Regierung unverein¬ 
bar sind und für den Staat von den schädlichsten 
Folgen sein können, seien auf keinen Fall 
zu rechtfertigen, besonders da sie ohne vor¬ 
herige Anfrage bei der Landesstelle getroffen wur¬ 
den. Es sei daher die ganze Verordnung der Rei- 
chenberger Obrigkeit als nichterlassen anzu¬ 
sehen und derselben ihre Eigenmäch¬ 
tigkeit zu verweise n.44 
Im Sinne dieses Hofdiekretes erging im Juli 1811 
ein Erlaß des Guberniums: „Der fixe und beständige 
Aufenthalt in R. ist mit Rücksicht auf das Patent 
vom J. 1797 zwar keinem Juden gestattet, dagegen 
darf bei dem zeitweiligen Aufenthalt keine Aus¬ 
nahme zugunsten einzelner, im Vorhinein bezeich¬ 
neter jüd. Handelsleute stattfinden, sondern jedem 
fremden Handelsmann ohne Unterschied der Reli¬ 
gion muß nicht nur erlaubt sein, nach R. zu kom¬ 
men, und daselbst seine Geschäfte ungehindert zu 
besorgen, sondern es muß ihm dabei alltunlicher 
Vorschub geleistet werden. Die von der R.-er Obrig¬ 
keit zugefügte Begünstigung der eigens bezeichneten 
jüd. Handelsleute wird daher als unzulässig 
aufgehoben. 2. Kann den jüd. Fabrikanten und 
Handelsleuten, oder ihren Bestellten, die nach R. 
kommen, der Aufenthalt auf 3 Tage und überhaupt 
auf Tage und Wochen nicht beschränkt werden.44 
Dies bedeutete einen mächtigen Schritt nach vor¬ 
wärts. Ein gewisser Widerspruch ist zwar vorhanden. 
Der beständige Aufenthalt ist nicht gestattet, aber 
ebensowenig ist es erlaubt, die Aufenthaltszeit zu be¬ 
schränken. Statt die gesetzliche Aufhebung des Ver¬ 
botes der Ansässigkeit anzustreben, begnügte man 
sich mit solchen Kompromissen. Die Hofkammer be¬ 
reitete der Grundherrschaft, insbesondere Markow- 
sky, eine Niederlage. — In seiner Eingabe an die 
Landesstelle merkt man ihm seine Verlegenheit an. 
Nun mußte sich die Grundherrschaft vom gewohnten 
Angriff auf die Verteidigung zurückziehen. Sie wand 
sich zwischen Beteuerungen und Voraussagungen. 
„Daß die Grundobrigkeit durch ihre Judenverord¬ 
nung sich das Mißfallen der Staatsverwaltung zuge¬ 
zogen hat, bedauern wir sehr. Die Sache ist aus 
einem anderen Gesichtspunkte genommen worden, 
als es die väterliche und wohlgemeinte Absicht der 
Grundobrigkeit war. Sie wollte nur den Anmaßun¬ 
gen der Fremden steuern.'4 Süß-sauer erklärt sie 
dann: „Es sei dem Oberamte die einzige Bemerkung 
erlaubt: daß durch diese Bewilligung, wenn man 
nun bald eine halbe Judenstadt in R. entstehen se¬ 
hen wird, wenigstens die Grundobrigkeit der ihr 
aufliegenden Verantwortlichkeit enthoben ist.44 Jahr¬ 
zehnte hindurch zieht sich der Refrain hin: „R. 
könnte eine Judenstadt werden.44 Wie unbegründet 
diese Befürchtung war, zeigt die spätere Entwicklung. 
Auch die freiheitliche Zeit vermochte nicht, einen 
Beweis für die Berechtigung dieser Annahme zu er¬ 
bringen. 
Nach verlorener Hauptschlacht versuchte der Han¬ 
delsvorsteher Römheld noch ein Nachhutgefecht. Er 
soll eine Revision des „Prozesses wider die fremden 
Juden44 bewirkt haben. Eindringlich bittet er den 
Grafen, beim Oberstburggrafen zu intervenieren, da¬ 
mit Hofrat von Prinna sein ausgearbeitetes Referat 
erstatten könne. Dieser gab die Versicherung, daß 
die Sache zugunsten des hiesigen Handelsstandes ent¬ 
schieden wird, wenn sie auch erst in Prag anders ge¬ 
wendet würde. Nach dem bisherigen Verlaufe des 
„Prozesses wider die fremden Juden4' für ihn eine 
günstige Wendung gerade seitens der Oberbehörden 
zu erwarten, war sicherlich eine trügerische Hoff¬ 
nung. Über das weitere Schicksal dieser Aktion ist 
nichts bekannt. Sie dürfte im Sande verlaufen sein. 
Das Verbot der Ansässigkeit blieb im Prinzip auf¬ 
recht, wurde aber praktisch durch die Tatsache, daß 
der zeitliche Aufenthalt nicht begrenzt werden 
durfte, eigentlich aufgehoben. So erwieß sich auch 
das zweite Judenverbot als ein Schlag ins Wasser. 
Seither hat die Herrschaft die Judenfrage betreffend 
vornehme Zurückhaltung beobachtet. Gleich danach, 
1811, befanden sich in Reichenberg etwa 57 Per¬ 
sonen jüd. Glaubens. 
Bis zur Verfassungsära. 
In den Akten ist keine Spur davon, daß das gräfl. 
Schloß sich seit der von der Hofstelle geholten Ab¬ 
fuhr die untergeordneten Ämter angewiesen hätte, 
sich um die Aufenthaltsfrage der Juden in R. zu 
kümmern. Vielmehr ist es seitdem ganz still gewor¬ 
den im Oberamte. Der Graf wird die Autorität der 
Hofkammer für Auslegung der Gesetze anerkannt 
und sich bei ihrem Bescheide beruhigt haben. Es 
war dies eine folgerichtige Haltung, die aus seinem 
Bekenntnis zur Legalität floß. Es war lediglich das 
Kreisamt, das sich von nun an für die Judenfrage 
interessierte und den Magistrat drängte, gar oft und 
zuerst in regelmäßigen Zwischenzeiten einen Bericht 
zu erstatten. „Der Magistrat scheint diesmal beharr¬ 
licher als nach dem J. 1799 das gräfl. Verbot befolgt 
zu haben, denn als im J. 1824 der jüd. städt. Weg¬ 
mautpächter Adam Haan darum bittlich wurde, seine 
Familie von Münchengrätz dauernd hierher kommen 
zu lassen, verweigerte der Magistrat hierzu seine 
Einwilligung mit dem Hinweise auf die grundherrli¬ 
chen Judenverbote. Zu dieser Beharrlichkeit dürfte 
wesentlich der Umstand beigetragen haben, daß Graf 
Christian Christof Clam-Gallas oft im Reichenberger 
Schlosse wohnte und der Oberhauptmann Ludwig, dem 
Gebote seines Herrn nachkommend, es nicht unter¬ 
ließ, die strenge Durchführung der gräfl. Anordnung 
dem Magistrate ab und zu in Erinnerung zu bringen/* 
Nach dem oben Gesagten entsprechen diese Ausfüh¬ 
rungen von Hübner nicht den Tatsachen. Wohl wurde 
Haan verweigert, seine Familie nach R. zu bringen, 
aber die Ablehnung war mit anderen Argumenten 
begründet; die gräfl. Verbote wurden mit keiner 
Silbe erwähnt. Die Antworten auf die Anfragen des 
Kreisamtes sind stereotyp. „In der Stadt R. befindet 
Reichenberg 10 
538
	        
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