Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

„Als zur Aufnahme der Fremden berechtigte Gast¬ 
häuser werden nachstehend bekannt gemacht: Leo¬ 
pold Holzel, Cajetan Spitzka, das Gemeindehaus, 
Franz Hofmann, Tobias Gintzel, Ignatz Knirsch, der 
Neustädter Gasthof, Franz Hauser, Anton Schöpfer, 
Ignatz Swoboda, Josef Pohl, Franz Salomon, Josef 
Hof mann, Wenzel Ginzel, Carl Ginzel. Sollte die 
Zukunft eine Vermehrung derselben erheischen, so 
wird auch hierauf vorzüglicher Bedacht genom¬ 
men werden.44 „Wer in einem Schankhause, welches 
zur Beherbergung nicht berechtigt ist, Jemanden 
über Nacht aufnimmt, wird das 1. mal mit 5 FL, 
das 2. mal nebst der Geld- mit Arreststrafe von 
einer Woche und das 3. mal mit Abschaffung vom 
Schankhause bestraft.44 Bemerkenswert ist, daß auf 
diesem „Publicandum44, das übrigens ein Kultur¬ 
dokument darstellt, das erst 120 Jahre alt ist, den 
geduldeten 14 jüd. Firmen ein dauernder, während 
im gräfl. Dekret bloß ein Aufenthalt von „Zeit zu 
Zeit44 gestattet ist. 
Der Oberamtmann mochte wohl merken, daß die 
Stadtbehörde innerlich zögert, weiter mitzutun, denn 
er pocht auf ihre frühere Zusage. „Das Oberamt 
glaubt der Erinnerung überhoben zu sein, daß der 
Magistrat das, was einverständlich beschlossen wurde, 
pünktlichst vollziehen werde, um durch gemeinschaft¬ 
liches Einwirken das gemeinschaftliche Ziel zu er¬ 
reichen und um die hierauf beruhenden Amtshand¬ 
lungen keinem öffentlichen Spott auszu¬ 
setzen.44 In seiner Replik läßt der Magistrat deutlich 
durchblicken, daß dieses Judenverbot aus höherem 
Rücksichten nicht erwünscht sei. „Unter den Sensa¬ 
tionen, welche die hohe grundobrigkeitliche Verord¬ 
nung vom 1. Mai d. J. mit Reichenberger Einwoh¬ 
nern verursachte, entging es dem Magistrat nicht, 
daß ein großer Teil der hierortigen Tuchfabrikanten 
durch die Bestimmung der jüd. Wollhändler auf 
14 Mangel und Verteuerung dieses Materials, wenig¬ 
stens erschwerten Einkauf befürchtete.44 (Städt. Sess. 
Prot.) Doch alle Erwägungen beeinflußten nicht den 
Gang der Dinge. Der größte Teil der vom Ausweis¬ 
befehle Betroffenen, es waren deren mindestens 50, 
wurde bittlich. Es hagelte Petitionen. Aber der 
Magistrat gab mit Hinweis auf die gräfliche Ent¬ 
schließung abschlägigen Bescheid. So mancher wies 
auf seine Dienste und Verdienste um die ärmere 
Klasse der Tuchmacher hin. Sie fanden kein Gehör. 
Rührend ist die Bitte eines Verbannten: „Seit 70 Jah¬ 
ren haben meine Voreltern nach R. Handel getrie¬ 
ben und Gewölbe gemietet. Ich kenne seit meiner 
Kindheit diesen Platz. Ich bitte, auf mich Rücksicht 
zu nehmen, dessen Voreltern in R. grau geworden 
sind.44 Es war vergebens. 
Die Juden hatten keinen solchen Fürsprecher, wie 
die Schweizer. Denn die helvetische Regierung nahm 
sich naturgemäß der bedrängten Schweizer Handels¬ 
häuser an. Aber sie griffen zur Selbsthilfe. Während 
die Petitionen der in R. wohnenden Kaufleute auf 
den grünen Tisch des Rathauses gelegt wurden, er¬ 
hoben 17 Prager jüd. Grossisten gegen die gräfl. Ver¬ 
ordnung eine Beschwerde. Diese Eingabe führt eine 
selbstbewußte, mannhafte Sprache. Sie enthält per¬ 
sönliche und sachliche Angaben. Die Beschwerde¬ 
führer weisen vor allem auf den Mißbrauch hin, der 
von gewisser Seite mit der Herzensgüte des Grafen 
getrieben wird. Dann berufen sie sich auf ihre Steuer¬ 
kraft. Sie zahlen jährlich mehr an Erwerbsteuer, als R. 
und seine Umgebung, ja als die ganze Herrschaft. Mit 
Stolz pochen sie auf ihre Verdienste um R. „Nur 
unserem rastlosen Zutun und stets regen Handlungs¬ 
geist verdanken die Bürger dieser Stadt ihren Wohl¬ 
stand. Früher mußten Tuchmacher nach Prag per¬ 
sönlich Fußreisen machen, um ihre wenigen Tücher 
an uns und unsere Vorfahren abzusetzen. Jetzt reisen 
wir zu ihnen und ihren Söhnen und dermalen setzen 
sie mehr als einen Dritteil der auf 50.000 Stück be¬ 
rechneten Produktion ab. Wir verwandeln ihre höl¬ 
zernen Hütten in ansehnliche Häuser.4' In ihrem ge¬ 
kränkten Recht ließen sich die Prager Grossisten zu 
der Übertreibung hinreissen, daß die R.-er Industrie 
ihr Aufblühen b 1 o ß ihrer unermüdlichen Betrieb¬ 
samkeit verdankt. Vielmehr hätten sie nur sagen 
dürfen, daß auch sie zum Aufschwung dieser Stadt 
beigetragen haben. Was die sachlichen Einwendungen 
anlangt, so parieren sie geschickt der juristischen 
Beweisführung des gräfl. Amtes. „Wenn die Obrig¬ 
keit zur Duldung der Juden gar nicht berechtigt ist, 
so ist es unerklärlich, wie sie 14 Handlungshäusern 
diese zusichern konnte.44 Da die Waren nicht fertig zur 
Verfügung der Einkäufer stehen, ist die Beschrän¬ 
kung ihres Aufenthaltes widersinnig. „Nein,44 — so 
erklären sie. — „Nur vollkommene Unkenntnis des 
Geschäftes kann die Behauptung rechtfertigen, daß 
eine bestimmte Zeit genüge, um unsere nötigen Ein¬ 
käufe zu besorgen.44 Ohne Anspruch einer Ansiedlung 
oder einer Ansässigkeit verlangen die Beschwerde¬ 
führer, daß auch ferner die mietweise Bewohnung 
der Reichenberger Privathäuser, so wie dies seit 
beinahe undenklichen Zeiten der Fall 
war, unbenommen bleibe.44 Schließlich baten sie, das 
Vorgebrachte durch eine Lokalkommission unter¬ 
suchen zu lassen. Siehe da, das Unerwartete wird Er¬ 
eignis. Die Landesstelle ordnet wirklich die Einsetzung 
einer Untersuchungskommission ein. Sie tagte in R. 
am 22. September. Sie setzte sich zusammen aus dem 
Jungbunzlauer Kreishauptmann Merkl, dem gräfl. 
Oberamtmann Markowsky, aus dem Bürgermeister 
Trenkler und 3 Stadträten, dem Handlungsvorstande 
Römheld nebst vier Kaufleuten und Fabrikanten, den 
4 Altesten der Tuchmacherzunft, vier Vorstehern der 
Weberei und drei der jüd. Rekurrenten. Die ansehn¬ 
liche Untersuchungskommission stellte zuförderst den 
Grundsatz auf, die Wirtschaft müsse der Politik unter¬ 
geordnet werden. Dann stellt sie fest: Juden seien 
bloß eine geduldete Nation. Sie zollt jüd'. Handels¬ 
leuten, unter denen und ihren Vorfahren es solide 
Männer gegeben habe und noch gibt, Anerkennung 
und ihnen verdankt manche Familie R.-s ihr besseres 
Auskommen. Dann aber werden die Rekurrenten we¬ 
gen ihrer Anzüglichkeiten und Prahlereien verwiesen. 
Der jüdi. Wollhändler soll nach Ablauf des bestimmten 
Aufenthaltstermines den ihm etwa verbleibenden Vor¬ 
rat an einen bekannten Handelsherrn oder Tuch¬ 
macher zum weiteren Verschleiße übergeben, aber 
beileibe nicht eine ordentliche Niederlage errichten, 
um unter diesem Vorwande sich einen ununterbro¬ 
chenen Aufenthalt in R. erschleichen oder erzwingen 
zu wollen. Sonst würde die betriebsame Stadt R. 
zu einer vollkommenen J u d e n s t a Id t. 
Die Rekurrenten verzichteten auf das Wort, bezogen 
sich bloß auf ihre vorgebrachte Beschwerde, womit 
sie bekundeten, daß sie sich nicht widerlegt fühlen. 
In diesem Sinne unterschrieben auch sie das Proto¬ 
koll. 
Dieses wurde zur Entscheidung dem Kreisamte zu¬ 
gewiesen. Es weist nun den Rekurs sowohl wegen des 
beschränkten Aufenthaltes, wie auch wegen Miete von 
Privatwohnungen ab. Den Juden müssen Absteige¬ 
quartiere in privaten Christenhäusern untersagt wer¬ 
den, „weil sie bei einer lokalen Volksmenge von mehr 
als 8000 Seelen in öffentlichen Gasthäusern leichter 
unter Polizeiaufsicht gehalten werden können44. 
lieichenberg 9
	        
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