Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

gung war der tüchtige und mannhafte Syndikus 
Leopold Richter, dessen Amtsenthebung die Grund¬ 
herrschaft vergebens anstrebte. Der Gegensatz zwi¬ 
schen den beiden Behörden kam auch in einer jüdi¬ 
schen Angelegenheit zutage. Im J. 1785 reichte der 
Gylowayer Jude Marcus Löbl beim grafi. Wirtschafts¬ 
amte ein Gesuch ein, alle Wochen einige Tage in R. 
für die Juden kochen zu dürfen. Inspektor Paul er¬ 
suchte den Stadtrat um ein Gutachten und gab gleich¬ 
zeitig zu verstehen, das Gesuch werde vom gräfl. 
Amte nicht bewilligt werden. Der Stadtrat erwiderte 
nun, er habe nichts dagegen, wenn der Jude vom Ober¬ 
amte abgewiesen wird, jedoch „behalte sich der 
Stadt-Rath feyerlichst bevor, weil derselbe die per¬ 
sonal Instanz dieser Stadt und Frembden (solange 
sie hier sind) ausmacht, diesen und! anderen Juden 
in diesen und andern Fällen, wo sie beim Stadt-Rath 
bittlich einschreiten, den Behörigen Bescheid nach 
Erkenntnis selbst erteilen zu können". Um das Auf¬ 
begehren zu mildern, fügt der Magistrat noch hinzu: 
„Von der Annahme oder Nichtannahme eines Juden 
in die Ansässigkeit kann ohnedies keine Rede sein.66 
Die Duldsamkeit des Magistrates war der Grundherr¬ 
schaft schon längst ein Dorn im Auge und sie drang 
nun auf die Ausweisung der Juden aus R. Auf 
Grund von Vermutungen wurde zwischen ihnen und 
gewissen Vorkommnissen ein Zusammenhang auf 
künstliche Weise geschaffen. Da der Wille, die Juden 
nicht zu dulden, vorhanden war, suchte man nur nach 
einem Anlaß. 
Das erste griimlherrschaftliche Judenverbot 
im Jahre 1Î99. 
Am 6. September ds. Jahres erließ Christian Phi¬ 
lipp Graf Clam-Gallas von Tschernhausen aus den 
strengen Befehl, daß in seiner „untertänigen6 Stadt 
und Herrschaft R. keine Juden mehr geduldet wer¬ 
den dürfen. Die markantesten Stellen seines Erlasses 
lauten: „Schon seit geraumer Zeit häufet sich die 
Anzahl der Juden in R. dergestalt, dass ich auf die 
Vermutung komme, der Magistrat setze hier alle 
schuldige Aufmerksamkeit beiseite, wolle die hier- 
wegen bestehenden Gesetze nicht kennen und da mir 
die Oberaufsicht in die Publika, Politika und Öcono- 
mika obliegt, mich selbsten compromittiren. Noch 
mehr staune ich, wie der Magistrat nur zulassen 
könne, dass sich in der Stadt ganze jüd. Familien 
wohnhaft machen, Weibspersonen von dieser Nation 
in Aufenthalt nehmen, eine öffentliche jüd. Garküche 
und mit dieser einen Schächter und Koscherer da 
dulden können, ohne die Gefahr einzusehen, der er 
sich und besonders der erste Stadtvorsteher, bei 
welchem und gerade der Pfarrkirche gegenüber diese 
öffentliche Küche und der Tabernakel deren Juden 
aufgeschlagen ist, so offenbahr aussetze, da ihm doch 
nicht unbekannt sein kann, dass auf meiner Herr¬ 
schaft R. in Anno Decretorio kein Jude existiert 
und tausend Dukaten Strafe auf jene gesetzt sei, 
welche dergleichen wohnhaft aufnehmen. 
Kein Gesetz hat jenes von 1725 geändert, vielmehr 
ist dieses durch ein Landesherrn-Patent vom 14. No¬ 
vember 1771 und Verordnung in Böhmen vom 
14. Nov. 1771 mit dem Beisatz erneuert worden, dass 
jener, welcher die ausgemessene Strafe von tausend 
Dukaten zu erlegen ausserstande, mit einer körper¬ 
lichen Züchtigung ohnnachsichtlich bestrafet werden 
soll. Nur ist denen Juden nach der in Böhmen kund¬ 
gemachten Verordnung vom Jänner 1782 im Markt¬ 
zeiten gestattet, daselbst bei Tag und Nacht zu 
wohnen. Ich befehle daher dem Magistrat, bei Erhalt 
dieser meiner Verordnung die Stadt von denen da¬ 
selbst wohnenden jüd. Familien, Weibs- und Manns- 
persohnen binnen 48 Stunden zu entledi¬ 
gen und dies unter persöhnlicher Haft und Verant¬ 
wortung desselben, indem ich weder mich noch die 
Stadtgemeinde der Strafe des Gesetzes aussetzen 
kann. Zu dem Ende hat derselbe mir die Verzeich¬ 
nisse deren von der Stadt abgeschafften jüd. Per- 
sonen binnen 3 Tagen einzusenden und besonders 
aufzuführen, welche von jenen jüd. Handelsleuten, 
die ihren ordentlichen Gros- und legitimierte Hand¬ 
lung treiben und von bewehrten Betragen sind, so¬ 
fort nur einzeln oder mittels eines einzigen ordent¬ 
lichen Bevollmächtigten daselbst zur Betreibung 
ihrer Geschäfte mit Ausschliessung aller Weibsperso¬ 
nen und deren Aufenthalt von Dauer wohnen zu 
können, ohne jedoch eine Familie zu bestimmen, zum 
besten des Commercy von nöthen seien, einzusenden. 
Ich zweifle keinen Augenblick, dass der Magistrat diese 
meine Anordnung pünktlichst in Vollzug setzen, sich 
selbst aus einer Gefahr, der an sich durch so lange 
Connivenz biosgestellt, reissen und mich von weitern 
Maßregeln und höherer Einschreitung entledigen 
werde, wie ich zu meiner eigenen Sicherheit und 
pünktlichster Befolgung landesherrlicher Gesetze 
ohne weiteres anhand nehmen müsste." Also eine 
Judenvertreibung en miniature. 
Der Magistrat lud nun die Juden aufs Rathaus vor 
und machte ihnen den gräfl. Erlaß mundgerecht. Er 
verhängte die Ausweisung binnen 48 Stunden. Hievon 
wurden insbesondere Isaak Hermann und dessen 
Schwiegersohn Salomon Reissner, ferner Beer Klein, 
Adam Hlawatsch samt seinem Weibe und die Vero¬ 
nika Kanarki betroffen. Dem Elias Löwenthal wurde 
zur Abwicklung seiner Geschäfte eine Frist von drei 
Monaten bewilligt. Vierzehn Personen, zumeist Gro߬ 
händler, wurde der weitere Aufenthalt in Aussicht 
gestellt, falls sie sich die Legitimationen verschaffen 
werden, „ohne jedoch eine Familie zu bestimmen und 
ohne die geringste jüd. Weibsperson 
(sie!) bei sich zu haben". Das Protokoll übersandte 
der Magistrat dem Grundherrn am 10. Oktober mit 
einem ausführlichen Berichte. Er spricht ihm den 
Dank aus für die im Dekrete bekundeten wohlmei¬ 
nenden väterlichen Gesinnungen des Grafen aus und 
hofft, daß „seine Gnaden in dero diesfälligen Ent¬ 
schlüsse unerschütterlich und beharrlich bleiben 
werden". Dann läßt sich der Magistrat darüber 
aus, daß er schon öfters, letzthin im April An¬ 
lauf genommen hat, den „allhier so sehr überhand 
nehmenden Juden Schranken zu setzen", aber wie er 
treuherzig bemerkt, „dass wie es gemeiniglich bei 
Odiosis geschieht, dass man es gerne dabei so lange 
bewenden lässt, so lange es nur halbwegs geht". Der 
Mag. verweist darauf, wie bedenklich die sofortige 
Abschaffung der jüd. Wollhändler auf dem hiesigen 
Platze wäre. Da sie meist auf Borg verkaufen, wür¬ 
den eine große Anzahl bürgerlicher Familien und 
Fabrikanten zugrunde gehen. Deshalb bitte der Mag., 
der Graf wolle jene jüd. Woll- und Leinwandhänd- 
ler, die teils mit der Großhandelslizenz versehen sind, 
teils aber für die kleinen Tuchmacher die Wolle be¬ 
sorgen, für ihre Person von der Ausweisung aus¬ 
nehmen. Der Graf reagiert auf diese Vorlagen in 
einem von Prag aus den 25. Nov. 1799 erflossenen 
Dekret. Es ist sehr geharnischt. Vor allem werden 
dem Bürgermeister Trenkler, der trotz des ersten 
Dekrets seinem jüd. Mieter nicht gekündigt habe, die 
Leviten gelesen. 
„Kein Vorsteher", — so poltert der Grundherr — 
„kann und darf öffentlich den höchsten Gesetzen 
zuwiderlaufende Tatsache außer seiner Notiz lassen. 
Reichènberg 6 
534
	        
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