Geschichte der Juden in ¡\eustadtl am Klinger.
Bearbeitet von
Oberlehrer W. Klimsa, Neustadt!, und Jaroslav Polák-Rokycana, Prag.
JLJas Städtchen Neustadtl b. Tachan, (c. Stráz) ist
eine sehr alte Niederlassung. Es liegt malerisch in
einem herrlichen Wiesentale, das sich vom Westen
nach Osten hinzieht, von dem Mühlbache durch¬
flössen wird und von einem Kranze bewaldeter Berge
und Hügel umgeben ist. Der Ort hieß ursprünglich
Stráz (Wache) und wird urkundlich i. J. 1331
zum ersten Male genannt, obwohl der Ort schon
mehrere Jhte. vorher bestand. Im J. 1331 wurde
nämlich der Ort Stráz vom König Johann v. Luxem¬
burg zur Stadt erhoben und den allzeit getreuen
Bürgern dieses Ortes alle Abgaben, mit Ausnahme der
Berna (Landessteuer), auch jene, welche die Juden
bisher leisteten, geschenkt. Demnach waren unter
der Regierung Johann v. Luxemburg, also vor
600 Jahren, bereits Juden in Stráz ansässig, wovon
nicht nur glaubwürdige Urkunden, sondern auch
Grabsteine am hiesigen jüd. Friedhofe Zeugnis ge¬
ben1). Es ist keine Überhebung, wenn man behaup¬
tet, daß die hiesige Judengemeinde älter ist als die
in Tachau, ja daß sie die älteste Judengemeinde
im politischen Bezirke Tachau ist. Kaiser Karl IV.
bestätigte 1356 diese Gerechtsame u. König Wenzel IV.
trug seinen Beamten auf, den Juden bei Eintreibung
der Schulden behilflich zu sein, blieb aber in seinem
Erlasse von 1389 doch bei der Ansicht, daß das Pri¬
vateigentum der Juden dem Landesherrn gehört.
Wladislav II. gab 1494 eine neue Judenordnung her¬
aus, in welcher er — statt wie landesüblich 10%,
ihnen 20 % bei Darlehen zu nehmen erlaubte.
Die erste Ansiedlung jüdischer Familien dürfte
nach einer Judenverfolgung in Deutschland geschehen
sein, da die Liturgie in N. bis zum J„ 1876 nach
deutscher Observanz „Monhag aschkenas44 geübt
wurde. Ein schwarzer „Schabbos44 als Sabbat vor
Schwnoth, der Sage nach als Gedächtnistag der Drang¬
sale, welche die Glaubensbrüder in Deutschland er¬
litten, war den älteren Mitgliedern der K. G. durch
mündliche Überlieferung noch in Angedenken. Sämt¬
liche Tempelbesucher erschienen an diesem schwar¬
zen Schabbos ohne Festkleider, das Gesicht nicht
rasiert und es wurden eigene Gebete eingeschaltet.
Als am 20. Mai 1876 der Tempel, das jüdische Ge¬
meindehaus und sämtliche Judenhäuser eingeäschert
wurden, verbrannten auch die Festgebetbücher. Da
diese Gebetbücher nach der bisherigen Liturgie nicht
mehr beschafft werden konnten, so wurde die in
Böhmen geltende Liturgie eingeführt, was unter Zu¬
stimmung sämtlicher Mitglieder und vom Rb. Isaak
Schidloff in Tachau gut geheißen wurde (Jahr¬
buch 1893, Prag). Durch die verheerenden Brände
in der husitischen Zeit, die unsere Gemeinde heim¬
suchten, gingen wertvolle Urkunden zu Grunde. Unser
Stadtarchiv beginnt erst mit dem J. 1580. Um diese
Zeit beginnt hier das deutsche Wesen sich zu ver¬
tiefen. Das 1. Stadtbuch, das der Stadtschreiber Eisen¬
hut im J. 1580 begonnen hatte, enthält ein Zins¬
register, in dein unter den Zinszahlern 15 Juden
als Familienväter und unter diesen 10 als Realitäten¬
oder Hausbesitzer angegeben sind. Die vorkommen¬
den Namen von Juden waren: Lazarus, Jakob, Isaak,
Simon Jakob, Salomon, Moyses, Veitl, Hirsch, Moyses
Abraham, Mojses Isaak, Moyses Neumann, Schlam
Isaak, Ploch Abraham, Ploch Isaak.
Die volle Zahl der damals hier lebenden Juden
kann nicht bestimmt angegeben werden. Einige der¬
selben waren Fleischer und mögen dieses Gewerbe
vorteilhafter betrieben haben als die christl. Flei¬
scher, weil letztere schon im J. 1618 mit einem Ver¬
trage die Zahl der jährlich zu schlachtenden Stücke
bestimmt hatten. In diesem Vertrage vom 15. Okto¬
ber 1618 wurde den Juden erlaubt, daß jeder jüd.
Fleischer im Jahre nur 2 große Rinder und 5 kleine
Stücke, d. i. Kälber, Schöpse, Böcke, oder statt eines
großen Stückes 3 kleine, bei Strafe, schlachten dürfe.
Mit diesem Vertrage scheinen die Juden nicht be¬
friedigt gewesen zu sein, weil durch die Vermittlung
des obrigkeitlichen Amtshauptmannes Hans Lembler
am 22. Juli 1620 ein zweiter Vergleich mit den
christl. Fleischern abgeschlossen wurde. Dieser Ver¬
trag lautet, wie folgt: Vertrag zwischen Bürgermeister
und der Judenschaft von Neustadtl am 22. Juli 1620
durch Vermittlung des ehrenfesten Hansen Lembler,
unseres gnädigsten gebietenden Herrn Hauptmannes,
ist der Vergleich abgeschlossen worden. Indem die
Juden aus freiem und guten Willen zu unser und ge¬
meiner Notdurft und Freiheit 60 Schock Meißnisch
kontribuiert und gesteuert, daß sie dagegen nach Ver¬
mögen von Uns billigen Schutz genommen und nach¬
folgender Handel ihnen gestattet und zugelassen wer¬
den, erstlich sollen sie ihren jüdischen Handel und
Wandel mit dem Judenbesuch, wie sie denselben von
altersher zu üben befugt gewesen und anhero ge¬
braucht unveränderlich treiben und dabei erhalten
werden; jeder auch jährlich zu seiner häuslichen Not¬
durft 5 Rinder, 7 Kälber, Schöpsen, Böcke, sie seien
just koscher oder nicht, zu schächen, befugt sein.
Wer es überschreitet, soll wegen eines Rindes
2 Schock, und wegen eines Kalbes, Schöpsen 1 Schock
halb der Obrigkeit und halb uns zur Strafe verfallen
sein, es wäre denn, daß solches zu ihrer Beschneidung
oder ihres Kindes Ausheiratung geschehn«, soll 1 Rind
oder 1 Paar Kälber ihnen umgerechnet zugelassen
werden. Würden sie aber mit dieser Bewilligung nicht
auskommen, sollen ihnen die hiesigen Fleischer in
den Fleischbänken zu schächen und die Gebühr ge¬
statten und gegen Bezahlung Fleisch zukommen las¬
sen. Ferner jeder Jud, der auf den allhiesigen Märk¬
ten seinen Kram anschlägt und feil hält, soll schuldig
sein 3 meiß. Groschen Standgeld zu geben. So auch
diese und andere Juden in künftig mehr Häuser all-
hier haben und bewohnen wollen, soll dieses allweg
mit unserer Einwilligung geschehen, sonsten soll es
keine Macht haben oder ihnen zugelassen werden.
Stráz 1
45?
Neustadtl 1