die sich einem bestimmten Gewerbe oder der Land¬
wirtschaft zuwandten.
In Böhmen wurde die Anzahl der sogenannten
„berechtigten F amilienstellen" auf 8600 festgesetzt.
Judenfamilien sollten sich nur da aufhalten dürfen,
wo schon im J. 1725 Juden geduldet worden waren.
Die Herrschaft Bistritz zählte 96 solcher berechtigter
Familien; von diesen gab es in N. 23, in Deschenitz
9 Stellen3'). In jeder Familie durfte nur der erst¬
geborene Sohn heiraten, niemals der zweitgeborene
Sohn oder ein Enkel, wenn ein solcher nicht in eine
freigewordene Familiennummer einrücken konnte,
denn die Stellenzahl sollte immer gleich bleiben und
nie erhöht werden. Um jede Heirats- oder „Ehehim-
melaufStellungsbewilligung" mußte bei der Landes¬
stelle in Prag angesucht werden und es waren sehr
strenge Strafen für solche obrigkeitliche Ämter und
solche Rabbiner festgesetzt, die zur Umgehung dieser
Bestimmungen beitragen würden.
Seiner Familienstelle könne ein Jude verlustig
gehen wenn er seine Steuern nicht bezahlte, wie dies
1805 dem Eliazim Löwit auf Stelle Nr. 19 in N. ge¬
schah. Im J. 1819 wurde diese Aberkennung mittels
Gubernialdekret widerrufen mit dem Bedeuten, daß
sich Eliazim nach Bezahlung des rückständigen
Steuerrestes wieder um eine erledigte Familienstelle
melden dürfe38).
Im J. 1820 fanden die „Neuerer zum Wolle- und Fe¬
derhandel berechtigten Israeliten als herrschaftliche
Schutz- und Familienjuden 6 Anlaß zu einer Beschwer¬
de gegen den Neuerner „Stadtrichter'\ weil sie dieser
zwingen wollte, alle ihre Waren auf der städtischen
Waage abwiegen zu lassen. Der Schwager des Stadtrich-<
ters hatte nämlich das Waag-Gefäll von der Gemeinde
gepachtet und der Richter hatte in seinem Eifer einige
Federnkäufer „auf der Straße angepackt" und sie
zur nochmaligen Abwägung der schon übernommenen
Federn auf dem Rathause gezwungen. — Das „Direk-
torial-Amt Bistritz bestrafte den Richter, ,,mit dem ein¬
greifendsten Verweise" und wies ihn an, daß er „viel¬
lieber" auf die in Neuern besonders unter ihm her¬
abgesunkene PolizeyOrdnung und öffentliche Ruhe¬
störung zu sehen bemühet seyn solle". 39).
An der Neuerner Judenschaft können wir im engen
Kreise und im Kleinen das beobachten, was vom gan¬
zen jüdischen Volke gilt: Wie keine Bedrückungen,
keine rechtlichen Einschränkungen einem Volke scha¬
den können, das sich nicht selbst aufgibt und sich
nicht ohne weiteres unterkriegen läßt, das aus jeder
Not eine Tugend macht und in seiner beharrlichen
Ausdauer nicht nur jede Gefahr und Bedrängnis sieg¬
reich überwindet, sondern diese sogar in ihr Gegen¬
teil zu verkehren versteht. So führte auch die Juden
in N. das alte Verbot der Ausübung von Gewerben:
zum ausschließlichen Handel; die Einengung ihrer
Vermehrung: zur Auswanderung und dadurch zur
Ausbreitung der geschäftlichen Beziehungen; der un¬
mäßige Steuerdruck: zu erhöhter Betriebsamkeit, zu
Geschäftseifer und Sparsinn; das Verbot des Haus¬
und Grunderwerbes: zur Ausbildung der Geldwirt¬
schaft, zum Geldgeschäft und zur beherrschenden
Stellung vor allem im Handel mit Landesprodukten;
die Einengung der Freizügigkeit: zur Verwendung der
christlichen Hausierer und in weiterer Folge zur weit¬
reichenden Organisation des Federngeschäftes über
ganz Mitteleuropa.
*
*) Sedlácek, Hrady, zámky a tvrze král. ceského, IX., Prag
1893, S. 129. 2) Archiv des Minist, d. Innern, Prag, Grenzver-
handlungen. 3) Urkundenbuch des Klosters Goldenkron, heraus¬
gegeben v. Dr. Mathias Pangerl, Wien, S. 85. 4) J. Vancura,
Dëjiny nëkd. král. mesta Klatov, I., 1927, S. 103. 5) Archiv cesky,
VII., S. 667, abgedr. bei Bondy-Dworsky, Zur Geschichte der
Juden in Böhmen, Mähren und Schlesien 906—1620. Prag 1906,
II. Bd., S. 151. 6) J. Schön, Die Geschichte der Juden in Tachau.
Jüd. Buch- und Kunstverlag, Brünn-Prag 1927, S. 15. 7) J.
Vancura, I., S. 1346. 8) Hruska, Kniha pametni král. krajského
mesta Plznë, 1883, S. 397. 9) Vergi, hiezu den Erlaß des Prager
Erzbischofs von 1689, in dem nach dem Brande dieses Jahres
den Prager Juden das Zusammenwohnen mit Christen unter
einem Dache wegen Gefährdung der christlichen Sitten unter¬
sagt worden war; ferner das Gutachten der böhm. Statthalter
vom 5. Oktober 1719 (Samuel Steinherz, Jahrbuch der Gesell¬
schaft für Geschichte der Juden in der Cechoslovakischen Re¬
publik, I., 1929, S. 127 u. 227). 10) Die Judenfassionen vom
Jahre 1724 erliegen im Archiv des Ministeriums des Innern in
Prag. 1X) Ebenda, n. man. J. 7—99. l2) Ebenda, n. man.
J., S. 7—99. 13) Leitmeritzer Kreisamtsschreiben vom 10. Oktober
1798. i4) Archiv der Stadt Neuern (1861). 15) Nach den alten
Grundbüchern und dem Neuerner Gemeindearchiv. 16) Archiv
Bistritz, 1737. 17) Ebenda, Amtsmanual. 18) Brief aus Budapest
vom 18. Juli 1928. 19) Neuerner Stadtbuch von 1674. 20) Archiv
Bistritz, Eisensteiner Verhörsprotokolle. 21) Ebenda, Schriften
aus 1770. 22) Bachmann, Geschichte Böhmens, 2. Band, S. 74.
23) Archiv Bistritz, Amtsmanual. 24) Blau Josef, Der Neuerner
Federnhandel. (In den Mitteilungen des Vereines für Geschichte
der Deutschen in Böhmen, 46. Jahrg., 1908, S. 67—83). 25) Köferl
Josef, Der politische Bezirk Tachau, Tachau 1890, S. 341.
26) Mehr darüber in dem Aufsatze von Josef Blau: „Die west¬
böhmischen Federnhändler und ihre Geheimsprache." (Sudeten¬
deutsche Zeitschrift für Volkskunde, Prag 1928.) 27) Bistritzer
Archiv, Amtsmanual. 28) Ebenda, Amtsmanual. 29) Casopis pro agr.
dëjiny II., S. 165. 30) Bistritzer Archiv, Amtsmanual. 31) Ebenda.
3a) Mitteilungen des Vè^r. f. Gesch.\d. Deutschen in Böhmen, XIV.,
S. 125—149: Dr. F. Mayer, Die volkswirtschaftlichen Zustände
Böhmens um das Jahr 1770. 33) Steinherz, Jahrbuch der Gesell¬
schaft für Geschichte der Juden (usw.), I., S. 263. 34) Kopetz,
Versuch einer systematischen Darstellung (usw.) 35) Bistritzer
Archiv, Amtsmanual. 36) Ebenda. 37) Familiantenbuch der Herr¬
schaft Bistritz (Klattauer Kreis), Archiv des Ministeriums des
Innern, Prag. 38) Amtsmanual im Bistritzer Archiv. 39) Urschrift
im Archiv der Neuerner isr. Kultusgemeinde.
*
Hier sei schließlich noch auf einige Schriften des Verfas¬
sers dieses Kapitels hingewiesen, die ebenfalls hierher teilweise
Bezug haben:
Die Neuerner Häuser und ihre Geschichte. Ferner: Aus
Neuems Vergangenheit. (Beide in der Festschrift zur Eröffnung
des neuen Rathauses in Neuern, 1907. Verl. d. Stadtgem. Neuern.)
Landes- und Volkskunde der Tschechoslowakischen Republik.
2. Aufl., 400 S. m. Abb. u. Karten. Verlag P. Sollors Nachf.,
Reichenberg.
Aus dem Neumarker Landestore. Die Volkskunde eines Auf¬
klärers. Schriften zur Volkskunde des mittleren Böhmerwaldes
und des Prager Ghettos von Georg Leop. Weisel (1804—
1873), gesammelt und eingeleitet von Josef Blau. Verl. Franz
Kraus, Reichenberg.
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