Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

befindliche Judenschaft, wie die Namen haben mögen, 
ohne Unterschied innerhalb drei Monat von da abge- 
schaffet und zu ewigen Zeiten wider der Stadt Willen 
nicht mehr eingeführt werden sollen66 Diese kaisl. 
Entschließung wurde am 30. Mai 1650 von den beiden 
Saazer Kreishauptleuten Christoph Jaroslaw Krakow- 
sky von Kolowrat und Maximilian Wladislaw Elbögner 
vom untern Schönfeld auf dem Rathause vor der ver¬ 
sammelten Gemeinde „jung und alt9 Weib- und Manns¬ 
personen66 und der gesamten Judenschaft mit dem 
Beisatze kundgemacht, daß nach Ablauf der mit drei 
Monaten festgesetzten Frist, „so den herannahenden 
6. Juli ihre Endschaft erreicht, die Juden sich von K. 
mit ihrer Habschaft ohne Ausnahme hinwegmachen 
und ihren Aufenthalt in zulässigen Orten anderwärts 
suchen, auch zu ewiger Zeit so wenig öffentlich als 
heimlich sich wieder allher versetzen sollen64. Zu die¬ 
ser Kundmachung wurde auch „die liebe Jugend mit 
sonderni Fleiß aus den Schulen hinzugeführt66 und es 
ist sowohl bei dieser wie insbesonders bei den Hand¬ 
werksleuten, „denen die Juden mit ihrem angebore¬ 
nen betrüglichen Unter schleif hochschädlich gewesen, 
überaus große Frohlockung und Freude entstanden 6. 
Kaiser Leopold bestätigte diese Verfügung seines Vor¬ 
gängers, als er unterm 19. Juli 1661 der Stadt K. ihre 
Freiheiten konfirmierte, mit den Worten: „Und nach¬ 
dem von weiland unserm hochgeehrten Herrn Vater 
Ferdinando tertio, röm. Kaiser glorwiirdigster Ge¬ 
dächtnis, den 12. Aprilis anno 1650 gnädigst resolviert 
worden, daß die Judenschaft wegen einer von dem 
Juden Noë geschehenen vorsätzlichen Ermordung 
eines Christenkinds aus der Stadt K. geschaffet und 
zu ewigen Zeiten wider der Stadt Willen nicht mehr 
eingeführt werden sollen, als wollen wir solches hie- 
mit in Kraft dieses Briefs auch gnädigst konfirmieren 
und bestätigt haben." Ein Gleiches taten aus gleichem 
Anlasse mit demselben Wortlaute Kaiser Karl VI. 
unterm 13. September 1723 und Kaiser Joseph II. 
unterm 17. Feber 1783. 
Von besonderer Härte war für die Juden die Be¬ 
stimmung, daß sie innerhalb dreier Monate die Stadt 
verlassen sollten, und deshalb richteten sie unterm 
21. Juni ein ,.alleruntertänigstes Memorial und um 
Gottes Willen flehentliches Bitten6 an den Kaiser, 
worin sie zunächst ihre Unschuld an der von einem 
„aus der Tartarei gewesten Juden begangenen Übeltat'6 
beteuern und feststellen, daß ihnen die kaisl. Resolu¬ 
tion erst am 31. (!) Mai bekannt gegeben, dessen un¬ 
geachtet aber die Frist zum Verlassen der »Stadt vom 
Datum des kaisl. Befehls und nicht erst vom Tage der 
Zustellung berechnet worden sei. Weil sie aber bei 
der Stadt und Bürgerschaft Schulden einzufordern 
und auch selbst an diese Schulden zu bezahlen haben, 
was in so kurzer Zeit durchzuführen nicht tunlich sei, 
so gelange ihr „um Gottes Barmherzigkeit willen 
alleruntertänigstes, fußfallendes Anrufen9 Seufzen und 
Bitten66 an den Kaiser, daß er aus angeborener Milde 
dem Kaadner Rate befehle, daß ihnen zum Verkaufe 
ihrer Habe, Eintreibung ihrer Forderungen und Be¬ 
zahlung der eigenen Schulden wie auch, damit sie sich 
um Gelegenheiten zu ihrer anderweitigen Unterkunft 
kümmern könnten, der gesetzte Termin noch auf ein 
Jahr verlängert werde, damit sie nicht gänzlich an den 
Bettelstab gebracht würden. Schon eine Woche später 
erfolgte die kaisl. Antwort auf dieses Bittgesuch, wo¬ 
rin er den Prager Statthaltern auftrug, eifrig darob 
zu sein, daß ,,die Juden über die aus Gnade ihnen ver¬ 
willigten drei Monate länger nicht zu Caadan geduldet, 
sondern alsbald fortgeschafft und ihnen weiter nicht 
der geringste Unterschleif ver stattet werde66. Nur das 
eine hatten sie erreicht, daß ihnen billigerweise die 
Frist zum Abzüge vom Tage der „Intimation66 an ge¬ 
rechnet werden sollte. 
Durch ungefähr zehn Jahre wurde nun von den 
Juden die Stadt gemieden, dann aber lebte der Ver¬ 
kehr mit ihr allmählich wieder auf, sie trieben tags¬ 
über hier ihre Handels- und Geldgeschäfte, ja, sie 
suchten und fanden, wenn es durch die Umstände 
nötig wurde, auch Nachtherberge bei den christl. Be¬ 
wohnern, nur von Grund- und Hausbesitz und dauern¬ 
dem Aufenthalte blieben sie ausgeschlossen. Aber nach 
etwa 60 Jahren dieser verhältnismäßigen Duldung 
änderte der Rat sein Verhalten und verwehrte in 
strengster Auslegung des kaisl. Reskripts den Juden 
jede fernere Nachtherberge innerhalb der Stadt, wies 
ihnen aber für diesen Zweck ein jenseits der Eger- 
brücke beim städtischen Ziegelhofe gelegenes Haus an, 
dessen Eigentümer, ein Lohrotgerber, ihnen gegen ein 
Entgelt Unterkunft zu gewähren bereit war. Was den 
Rat zu diesem strengeren Verfahren veranlaßt haben 
mag, läßt sich nicht mehr feststellen, kurz, im J. 1720 
überreichte der jüdische Deputierte des Saazer Kreises 
Hersehe1! Calmus beim Saazer Kreisamt eine Be¬ 
schwerde, daß von den Kaadnern der Judenschaft im 
allgemeinen und insbesonders dem jüdischen Steuer¬ 
einnehmer Lazar Isak aus Flöhau (Bez. Podersam), 
der die Kontributionsgelder bei der in K. errichteten 
Filial-Steuerkasse abzuführen hatte, das Nachtquartier 
nicht gestattet werde, wenn er vor seiner Abfertigung 
von der einbrechenden Nacht überrascht werde. Dar¬ 
aufhin hielt das Saazer Kreisamt dem Kaadner Rate 
vor, daß das Judenprivilegium kein Jota von der Ver¬ 
weigerung der Nachtherberge enthalte, sondern nur 
bestimme, daß die Juden in K. niemals mehr das do- 
micilium figere und sich posseissioniert machen sollen, 
und ermahnt ihn, die Juden nicht über die Bestim¬ 
mungen des Privilegs hinaus zu kränken. In ihrer 
Antwort verteidigten die Kaadner ihr vermeintliches 
Recht, den Juden auch die Nachtherberge zu versagen, 
und beriefen sich vor allem auf den Wortlaut in der 
Kundmachung der Saazer Kreishauptleute vom 30. Mai 
1650. In einer längeren, sehr scharfsinnigen Erwide¬ 
rung, mit dem Praesentatum des Landesguberniums 
vom 23. Juli 1720 versehen, weisen die Deputierten 
und Beisitzer der Landes judenschaft nach, daß laut 
des Privilegs die Juden nur keine Einwohner der Stadt 
K. mehr sein dürfen, weil das Wort „eingeführet66 
bloß das domicilium figere bedeute, was die Stadt selbst 
durch ihre Observanz bestätige, indem sie die Juden 
in die Stadt einlasse, was sie nicht dürfte, wenn die 
Judenschaft durch das Privileg simpliciter exkludiert 
wäre; daß auch der Ausdruck der kreis ämtlichen 
Kundmachung „sich wieder versetzen ' nur das domi¬ 
cilium figere meine und unmöglich auf die Pernok- 
tierung bezogen werden könne. Es sei also pure Not¬ 
zucht, den inländischen, meistenteils in der Stadt 
wohlbekannten, ehrlichen Juden die Nachtherberge zu 
verweigern und sie zu zwingen, etwa an Jahrmarkt¬ 
tagen, zumal zur Winterszeit, wo ihnen die Nacht 
augenblicklich auf den Hals komme, sich mit ihren 
Waren und gelöstem Gelde über das Wasser in ein 
einschichtiges, den Dieben leicht zugängliches Gerber- 
häusl zu begeben und sich mitsamt dem Hauswirt der 
Gefahr einer Beraubung auszusetzen. Auch in Pilsen 
und etlichen anderen Städten werden die Juden zwar 
nicht eingelassen, aber zu Jahrmarktzeiten können sie 
ungehindert bis zu ihrer Abreise in der Stadt nächti¬ 
gen, wie es das ius nundinarum ihnen gewährleistet. 
Wenn der Filialsteuereinnehmer mit Arbeit überhäuft 
ist und den jüdischen Kontributions-Einnehmer nicht 
bald abfertigen kann, weil er die Christen, die Geld 
abführen, nicht stehen lassen und den Juden eher vor- 
Kadan 10 
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Kaaden 10
	        
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