Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Geschichte der Juden in Gablonz. 
Bearbeitet von 
Siegmund Urabin, Gablonz. 
Die Ansiedlung von Juden in Gablonz (c. Jablonec 
n./N.) geschieht erst ziemlich spät. Denn G. war jahr¬ 
hundertelang ein armseliges Dorf, das den handeltrei¬ 
benden Juden wenig Gelegenheit bot, hier Geschäfte 
zu machen. In späteren Jht. duldete die Gutsherr¬ 
schaft Kleinskai, zu der G. gehörte, keine Juden auf 
ihrem Gebiete. 
Zwei Umstände waren es, die G. groß machten: 
Erstens die Erfindung des Glasdruckverfahrens, die 
es ermöglichte, kleine Glasgegenstände rasch in 
großen Mengen herzustellen und eine beispiellose 
Vielseitigkeit der Glaskleinindustrie ermöglichte; 
zweitens die Ansiedlung von Juden in G., die die Mög¬ 
lichkeiten entdeckten, die in der Gablonzer Industrie 
schlummerten. 
Wie der Chronist Benda (1877) und Lilie (1894) 
berichten, war der erste Jude, der sich ständig in der 
hiesigen Gegend aufhielt, Salomon A 1 t s c h u 1, der 
sich im J. 1770 in Kleinskai als Pächter der dor¬ 
tigen Branntweinbrennerei niederließ. Wie Benda 
mitteilt, wurde am 3. Feber 1773 mit dem erwähnten 
Salomon Altschul in Kleinskal ein Protokoll aufge¬ 
nommen. Er wurde nämlich beschuldigt, fremde Juden 
veranlaßt zu haben, in das Gebiet der Gutsherrschaft 
einzudringen und den Glashandel an sich zu ziehen. 
Die grundherrliche Gerichtsverwaltung drohte mit 
schweren Strafen, wenn dieser Unfug nicht abge¬ 
stellt werden sollte1). 
Auch in Grünwald bei G., das nicht zur Herr¬ 
schaft Kleinskal gehörte, sollen sich gegen 1770 Ju¬ 
den aufgehalten haben. Wie jedoch Lilie berichtet, 
trug nach Ankauf von Grünwald durch die Herrschaft 
Kleinskal der Inspektor Johann Ferdinand Fischer 
am 18. Okober 1776 dem Ortsrichter Josef Kittel von 
Daniel Mendel 
Dr. Hermann Adler 
Amts wegen die Vertreibung des Israeliten Bernhard 
Israel auf 2). 
Obwohl sich schon i. J. 1847 der erste Jude dau¬ 
ernd in G. niedergelassen hatte, kamen Juden in 
größerer Anzahl erst gegen 1860 nach G. Wenn die 
Juden etwas in die hiesige Gegend zog, so war es die 
Erkenntnis, daß aus der Glasindustrie der hiesigen 
Gegend ein schwunghafter Handel erblühen könne. 
In dieser Hinsicht aber zog das benachbarte Morchen- 
stern die Juden mehr an wie G., denn dort war das 
eigentliche Herz der Glasindustrie. Aber die Bürger 
von M. setzten sich den Bestrebungen der Juden ent¬ 
gegen, indem sie beschlossen, diesen weder Wohnun¬ 
gen zu vermieten noch Grundstücke zu verkaufen3). 
So wandten sich die Juden notgedrungen nach G. Hier 
erschlossen sie der Industrie neue Absatzgebiete. Sie 
waren es, die G. in der Welt bekannt machten und der 
Industrie so ausreichende Beschäftigung boten, daß G. 
zusehends emporwuchs, mit einer Schnelligkeit, wie 
sie hierzulande wohl einzigartig geblieben ist, während 
Morchenstern weit zurückblieb. 
Die alte Generation, die mit ansah, wie die Juden 
nach G. kamen und was sie für G. gemacht hatten, 
würdigte das Verdienst dieser Juden. Juden standen 
damals im öffentlichen Leben der Stadt an hervor¬ 
ragender Stelle, wie Daniel Mendel, der die Würde 
eines Stadtverordneten eines Stadtrates bekleidete, 
¡langjähriges Mitglied der Finanzsektion war, wie 
JUDr. Hermann Adler, der Gründer des Verfas¬ 
sungsvereins, langjähriger Obmann des Deutschen 
Schul Vereins. Als im J. 1894 nach jahrelanger Vor¬ 
bereitung der G.-Tannwalder Lehrerverein eine Ge¬ 
schichte des politischen Bezirkes G. unter der 
Schlußredaktion von Adolf Lilie herausgab, da 
konnte man nicht umhin die Verdienste der Juden¬ 
schaft ausdrücklich anzuerkennen. In diesem Werke, 
das nicht nur von 13 Lehrern, Oberlehrern und 
Schuldirektoren der hiesigen Umgegend gezeichnet 
ist, sondern an dem die gesamte Bevölkerung mitge¬ 
arbeitet hatte, in diesem Werke, das also nicht die 
Ansicht eines Einzelnen darstellt, sondern ein Doku¬ 
ment der Überzeugung der ganzen hiesigen Bevölke¬ 
rung jener Zeit ist, in diesem Werke heißt es 
wörtlich: 
„Man kann ihnen (den Juden) das Zeugnis nicht 
versagen, daß sie durch ihre geschäftliche Umsicht 
und Rührigkeit der Gablonzer Industrie neue Ab¬ 
satzgebiete in den fernsten Weltteilen erschlossen, 
überhaupt zu deren Förderung viel beigetragen 
haben. Im allgemeinen muß der Opfersinn, mit 
welchem die Israeliten gemeinnützige und nationale 
Zwecke jederzeit in rühmenswerter Weise unter¬ 
stützen und fördern (Dr. Adler war lange Jahre hin¬ 
durch Obmann der hiesigen Männerortsgruppe des 
deutschen Schulvereins, Koppelmann Lederer grün¬ 
dete den Fischereiverein), sowie ihre große Schul¬ 
freundlichkeit besonders hervorgehoben werden." 
Vor dem J. 1847 kamen aus den vorbesprochenen 
Gründen Juden höchstens vorübergehend nach G., 
meist durchziehende Hausierer. Erst im J. 
1847 läßt sich als erster Jude Salamon Lustig 
aus Neubidschow hier nieder. 
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145 
Gablonz 1
	        
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