Volltext: Die Juden und Judengemeinden Böhmens in Vergangenheit und Gegenwart I. (1 (1934) ;)

Später vertrieb man die Juden, zerstörte die Synagoge 
und verwüstete den Friedhof. Die auf den Gräbern 
vorgefundenen Grabsteine verwendete man zu aller¬ 
hand Bauherstellungen, so u. a. auch am seinerzeiti¬ 
gen Obertor (bei der heutigen Finanzdirektion) zur 
Überdeckung des Kanales. Die vorgefundenen Steine 
sind alle aus Granit und, wie schon erwähnt, fast alle 
gut erhalten. Eine Gedenktafel, aus Kalkstein verfer¬ 
tigt, ist fast ganz verwittert. Herr Oberbaurat Pascher 
verständigte die K. G. von dem Funde mit dem Be¬ 
merken, man möchte nachsehen, ob die Steine histo¬ 
rischen Wert haben. Wenn dies zutrifft, würden sie 
im Museum untergebracht werden, andernfalls kämen 
sie auf den jüdischen Friedhof oder zum Tempel. 
Herr Dr. Prossnitz mußte krankheitshalber im Som¬ 
mer 1909 sein Amt aufgeben und im Herbste dieses 
Jahres trat Herr Dr. Friedrich Weihs die Stelle des 
Seelsorgers in E. an. Er verblieb in diesem Amte bis 
zu seiner erfolgten Berufung zum Rb. nach Iglau im 
J. 1913. Im Sommer desselben Jahres trat dessen 
Rb. Dr. Arnold Griinjeld Rb. Dr. Israel Schapira 
Stelle Herr Dr. Arnold G r ü n f e 1 d an. Geb. am 
11. März 1887 in Kremsier (Mähren), absolvierte er 
seine Studien am Breslauer Seminar und wirkte in E. 
vom 1. September 1913 bis Ende des Jahres 1927. 
Während des Krieges war er in der Flüchtlingsfür¬ 
sorge und später als Feldrabbiner an der russischen 
und italienischen Front tätig. Seit 1. Jänner 1928 ist 
er Rb. in Iglau (Mähren). 
Im J. 1910 fiel die Wahl des K. V. auf Herrn 
Eduard L ö w y, der viele Jahre als Obmann der Ch. 
K. segensreich wirkte und dessen Stellvertreter, Herr 
Wilhelm Herrmann, rückte als Obmann des genannten 
Vereines vor. — Zu jener Zeit amtierte als Präsiden¬ 
tin des F. Y. die vornehme Frau Charlotte Kohn und 
dem Verein ,,Ahawath Zion4' präsidierte Herr Sigm. 
Pergamenter. 
Der Krieg hatte unserer K. G. fast unerträgliche 
Lasten aufgebürdet. Nach und nach waren die schaf¬ 
fensfreudigen, aber auch die steuerpflichtigen und 
fähigen Männer zu den Fahnen einberufen worden. 
In den J. 1917—18 standen sogar auch Rb. und OKt. 
an der Front und der alte und gebrechliche Kustos 
der Gemeinde, Herr Adolf L e d e r e r, der indessen 
das Zeitliche segnete, versah zur Not den Dienst in 
der Synagoge. 
Die Vertretung der K. G. mit ihrem Vorsteher, 
Herrn Eduard L ö w y an der Spitze, stand inmitten 
der pulsierenden Kriegshilfsaktionen. Nirgends fehl¬ 
ten die Namen der Juden bei den Wohltätigkeitsaktio¬ 
nen, mochten sie wie immer heißen! Überall erschien 
die Repräsentanz der K. G. und beteiligte sich nach 
Kräften. Die Eisenbahnen brachten bereits im Spät¬ 
herbste 1914 Transport um Transport unglücklicher 
Geschöpfe, denen der von den Kosaken eingejagte 
Eduard Löwy Wilhelm Herrmann 
Schreck in den Gliedern noch stak! Dutzende solcher 
Verängstigter hatten bereits in den verpesteten Vieh¬ 
wagen auf wochenlanger Reise ihre Seelen ausge¬ 
haucht! Die Ankunft dieser Armen bot ein Bild grä߬ 
lichen Elends! Christ und Jud weinte beim Anblick 
dieses personifizierten Jammers! . . . 
Nun gab es übermenschliche Arbeit, wie wenn die 
Seeleute die Ströme eines leckgewordenen Schiffes 
auf hohem Meere mit flachen Händen abwehren und 
beseitigen sollen! — Wer die Evakuierten in der 
Vigognespinnerei bei der ersten Rast sah und Ver¬ 
ständnis für soziales Menschenelend in der Brust 
trägt, dem wird das häßliche Bild nicht bald aus dem 
Gedächtnis schwinden. 
Da setzte der Juden mildtätiger Sinn in vollen Ak¬ 
korden ein. Man Öffnete angelweit die Speise-, die 
Kleider- und Wäscheschränke, man öffnete die Hände 
und die Herzen! Es sei hier der großzügigen Hilfe der 
Egerer Kohlengroßhandlung Schlesinger & Co., dessen 
Chef Herr Korn. Rat Leop. Schlesinger ist, 
kurz gedacht. Genannter wies alljährlich einige Wag¬ 
gons Kohle unentgeltlich der Flüchtlingsfürsorge zu. 
Derselbe war mehrere Wahlperioden V. Stv. und hatte 
während dieser Zeit unsägliche Opfer zur Erhaltung 
und Entfaltung der Institutionen der Gemeinde bei¬ 
getragen. Ferner sei hervorgehoben, daß Komm. R. 
Schlesinger eine nahmhafte Stiftung zwecks Gewäh¬ 
rung von Ferienstipendien für jüdische, katholische 
und protestantische Mittelschüler widmete, wofür ihm 
alljährlich unzählige erholungsbedürftige Schüler ihr 
weiteres Fortkommen in ihren Studien danken. 
Auch Nichtjuden gaben und halfen damals den 
heimatlosen Flüchtlingen. 
Kom. Rat Leopold Schlesinger 
Jakob Zuckermann 
12? 
Eger 7
	        
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