Volltext: Steins Geschichte des Weltkriegs

von meinem Großvater auf dem Totenbette überkommene Freundschaft für Dich und 
Dein Reich ist mir immer heilig gewesen, und ich habe treu zu Rußland gestanden, 
wenn es in schwerer Bedrängnis war, besonders in seinem letzten Kriege. Der Friede 
Europas kann von Dir noch jetzt erhalten werden, wenn Rußland sich entschließt, die 
militärischen Maßnahmen einzustellen, die Deutschland und Österreich-Ungarn be¬ 
drohen." 
Als inzwischen in Berlin unzweideutig bekannt wurde, daß die Mobilisierung 
der gesamten russischen Streitkräfte am 31. Juli in vollstem Gange war, übrigens noch 
ehe das kaiserliche Telegramm seine Bestimmung erreicht hatte, daß also alle Friedens¬ 
bemühungen des Kaisers nur von Rußland ausgenutzt worden waren, auch die letzten 
Kriegsvorbereitungen zu treffen zum heimtückischen Überfall auf Deutschland und die 
Donaumonarchie — da erhielt der deutsche Botschafter in Petersburg Graf Pourtalös 
am 31. Juli den Befehl, der russischen Regierung zu erklären: „Die Kaiserliche Re¬ 
gierung ist seit Beginn der Krise bemüht gewesen, sie einer friedlichen Lösung zuzuführen. 
Entsprechend einem ausdrücklichen Wunsche Sr. Majestät des Kaisers von Rußland 
hat Se. Majestät der Deutsche Kaiser es sich im Verein mit Großbritannien angelegen 
sein lassen, die Vermittlerrolle zwischen den Kabinetten von Wien und St. Petersburg 
zu übernehmen, als Rußland, ohne das Resultat abzuwarten, zur Mobilisation seiner 
gesamten Macht zu Lande und zu Master schritt. Infolge dieser durch keinerlei mili¬ 
tärische Vorkehrungen Deutschlands begründeten bedrohlichen Maßnahmen befand sich 
das Deutsche Reich gegenüber einer schweren und unmittelbaren Gefahr. Falls die 
.Kaiserliche Regierung es Unterlasten hätte, zu dieser gefährlichen Lage Stellung zu 
nehmen, so hätte sie die Sicherheit und die Existenz Deutschlands aufs Spiel gesetzt. 
Deshalb sah sich die deutsche Regierung gezwungen, bei der Regierung Sr. Majestät 
des Kaisers aller Reußen auf Einstellung der genannten militärischen Maßnahmen zu 
bestehen. Indem Rußland sich geweigert hat, diesem Ansuchen nachzukommen, und 
indem es dadurch dargetan hat, daß es seine Aktion gegen Deutschland gerichtet hatte, 
habe ich die Ehre, im Aufträge meiner Regierung von Nachstehendem Kenntnis zu 
geben: Se. Majestät, mein erhabener Souverän, nimmt im Namen des Reiches die 
Herausforderung an und betrachtet sich als mit Rußland im Kriegszustand befindlich." 
Mit großer Spannung richtete sich die Aufmerksamkeit des deutschen Volkes 
nach Frankreich. Wer, wie der Verfasser, verschiedentlich Gelegenheit gehabt hat, auf 
französischem Boden zu weilen und sich in den Bürgerkreisen des Landes, bei Kauf¬ 
leuten, Lehrern, Bauern, Weinbergbesitzern und Arbeitern nach politischen Gesinnungen 
umzusehen, der wußte, daß auch hier der Revanchegedanke noch nicht verlöscht war. 
Zwar muß sich, wer einst in Frankreich Gastfreundschaft genoß und mit Franzosen aller 
Stände frohe Stunden verbracht hat, über das Ausmaß des Hasses und den Mangel 
wahrer, echter Zivilisaton wundern, die über Nacht mit erschreckender Deutlichkeit in 
die Erscheinung getreten sind. Wie Schuppen fällt es uns von den Augen, da sich nun
	        
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