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Hinter ihren Obrigkeiten blieb die durch Humanität und
wohlthätigen Sinn seit jeher ausgezeichnete Bürgerschaft der
Reichsstadt nicht zurück. Bereits im Jahre 1482 hatte sie ein
Gesetz beschlossen, welches jedem das Heimatsrecht verlieh, der
darum ansuchte und den Eid auf die Verfassung zu schwören
bereit war. Grofse und vortrefflich geleitete Wohlthätigkeits-
anstalten sorgten in schwerer Zeit für die Bedürfnisse der Armen,
mochten sie Einheimische oder Fremde, Rechtgläubige oder
Ketzer sein.
So haben die öffentlichen Armenkassen Strafsburgs während
der furchtbaren Hungersnot des Jahres 1529 mehr als 3000 Per
sonen verpflegt. Es war deshalb wohl kein Wunder, dafs die
iberale Reichsstadt ungeschwächte Anziehungskraft auf alle Hilfs
bedürftigen und Verfolgten übte.
Sie ist in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts auch
der Zufluchtsort der gehetzten Wiedertäufer Deutschlands und
Österreichs geworden. Bis zu Beginn des Jahres 1527 waren es
nur vereinzelte Vertreter dieser oder verwandter religiöser Rich
tungen gewesen, welche ab und zu in Strafsburg auftauchten.
Nikolaus Storch, einer der Zwickauer Propheten, der sein Licht
auch in Wittenberg leuchten lassen wollte und über Andrängen
Luthers von dort vertrieben worden war, und Andreas Karlstadt,
den bekanntlich das gleiche Schicksal getroffen hatte, haben im
Jahre 1524 die Reichsstadt besucht. Sie versuchten auch dort für
ihre excentrisch-mystische Richtung Anhänger zu gewinnen.
Trotzdem sich jedoch in Strafsburg wie in Steyr und an
anderen Orten damals noch Reste jener Brüdergemeinden be
fanden, welche sich in der Schweiz bereits um diese Zeit als
Täuferkirchen zu konstituieren begannen, vermochte keiner von
beiden Boden zu gewinnen und mufste, von dem Rate als Ruhe
störer erkannt und verbannt, nach kurzem Aufenthalt, während
dessen es die Prediger an wirkungslosen Bekehrungsversuchen
nicht hatten fehlen lassen, die Stadt verlassen.
Nicht besser erging es Dr. Balthasar Hubmayr, der anfangs
des Jahres 1524 nach seiner ersten Flucht aus Waldshut nach
Strafsburg gekommen war und dort mehrere seiner Schriften zum
Druck befördert hatte.
Das Wachsen der Täuferbewegung seit dem Jahre 1525 in
allen deutschen Landen hat auch auf Strafsburg weitgehenden
Einflufs geübt. Täuferische Ansichten gewannen Terrain in der