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I. Österreich-Ungarn
so stärker tritt die Unnatürlichkeit der Grenze im Osten zutage, wo
Galizien, der Rand der russischen Ebene, wie ein Bündel auf dem
Rücken der Monarchie liegt jenseits der natürlichen Grenze der Rar-
paten. Lin empfindlicher Punkt ist ferner die Tiroler Grenze nach
Italien zu, welche die alte Völkerstraße des Ltschtales schneidet. Auch
die Kdriagrenze gegen Italien findet keine Stütze in der Natur, und
direkt im Süden strebt das Gebiet der Morawa (Serbien) natürlich
zur Donau und zieht die Blicke der Monarchie über die politische
Grenze hinaus.
Mir konstatieren hier stark künstliche Züge in der Gestaltung des
Reiches. Zu der geringen Ausdehnung der Seegrenze kommt noch als
weitere bedenkliche Schwäche das teilweise Fehlen natürlicher Gren¬
zen hinzu. Dieser Umstand bildet ein wesentliches Minus in der geo¬
graphischen Individualität der Donaumonarchie in bezug auf Lage
und Raum. Lr läßt Gsterreich-Ungarn als Großmacht mit der schwäch¬
sten Peripherie erscheinen.
S. Volk. Die praktische Wirkung der schlechten Grenzen der Mon-
archie ist eine unmittelbare und augenscheinliche. So wie das Terri¬
torium in seinem äußeren Rahmen von abgetrennten Ouellgebie-
ten von Flüssen anderer Länder gebildet wird, so besteht die Bevölke¬
rung an der Peripherie aus Bruchstücken anderer Völker, wir sehen
sie den ganzen Rand entlang: in Galizien-Bukowina fünf Milli,
onenpolen und vier Millionen Ruthenen (Kleinruffen), in Bus o»
wina-Siebenbürgen 31/* Millionen Rumänen, an der Südgrenze
nach der Balkanhalbinsel 5Vs Millionen serbischen Stammes, im
Rüstenland und in Tirol 0,8 Millionen Italiener, und außer
diesen schließlich an der ganzen Westfront (und außerdem in einer
Menge über das ganze Reich zerstreuten Sprachinseln) 12 Millionen
Deutsche. In ihrer Übergangslage zwischen den ausgeprägten
Rassen, der germanischen, der romanischen und der slawischen, hat die
Monarchie also größeren oder kleineren Anteil an ihnen allen.
wo ist denn aber das eigene Volk der Großmacht? wir finden
nun innerhalb der Grenzen, ohne Annexe oder Hauptstämme außer¬