Volltext: Indien im Weltkriege [63]

vorzuheben, daß der Europäer ungefährdet das ganze Land durch¬ 
wandern könne, sogar bei Nacht. Ja, der Europäer! Aber der 
Indier geht heute, wie zu der Väter Zeiten, nur dann in der 
Nachtzeit über Land, wenn in der Frühe der Morgenstern leuchtet, 
und die Reisfrachtkarren, die wegen der Langsamkeit der Ochsen 
die Nacht zu Lilfe nehmen, schließen sich aus Furcht vor Räubern 
zu großen Karawanen zusammen. Auf diesem Gebiete läßt die 
britische Herrschaft nahezu alles zu wünschen übrig. Ist der — 
übrigens sehr gut besoldete — englische Richter unbestechlich, so 
nimmt doch noch mancher einheimische Richter nach alter Gewohn¬ 
heit Geschenke an, aber wohlgemerkt: von beiden Parteien! 
Zinsen von 12% sind gesetzlich erlaubt; es werden aber bei der 
starken Verschuldung des Volkes meist viel höhere, bis zu 100 %, 
verlangt und gezahlt. Daß die Feldkuli vielfach rechtlos sind, 
daß Kleinbauern und Kleinpächter oft von den Reichen unter 
Beihilfe von Beamten vergewaltigt werden, kann nicht wunder¬ 
nehmen, wenn der nächste englische Beamte vielleicht 50 oder 
100 1cm entfernt wohnt. And es geht durchaus nicht an, hier, 
wie überhaupt an den Mängeln in der Verwaltung und Rechts¬ 
pflege, die Schuld den einheimischen Instanzen zuzuschieben. Denn 
es ist zum Teil eine Folge der mangelhaften Kenntnis der Per¬ 
sonen und Verhältnisse, daß vielfach zwar begabte, aber ungeeig¬ 
nete einheimische Kräfte in einflußreiche Stellen berufen werden. 
Die Verantwortung trifft jedenfalls die Negierung, die es unter¬ 
nimmt, ein Riesenreich wie Indien durch weniger als 10000 bri¬ 
tische Beamte verwalten zu wollen. And bei aller Ehrenhaftig¬ 
keit und Gewissenhaftigkeit der britischen Beamten hat doch ihr 
Regiment etwas Anpersönliches; es kommt an die Volksseele nicht 
heran, und der gemeine Mann, der doch gerade im Orient nicht 
auf die Gesetze pocht, sondern an Personen zu appellieren gewohnt 
ist, gewinnt zur englischen Herrschaft kein unbedingtes Vertrauen. 
Hungersnöte, Landplagen, Verarmung 
And die Nöte, unter denen der gemeine Mann in Indien 
seufzt, sind zahlreich und schwer. Klima und eine Jahrtausende 
alte Erziehung haben den Indier gelehrt, Geduld und Selbst¬ 
beherrschung als die höchste Tugend zu üben. Diese uns unbe¬ 
greifliche Geduld und Selbstbeherrschung, mit ihren Licht- und 
von Staden, Indien im Weltkriege 3 33
	        
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