Volltext: Nach hundert Jahren

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allen Jahrhunderten haben sich die Deutschen stets durch den Krieg im eigenen 
Lager selber zur Ohnmacht verurteilt, aber immer haben sie ein Stück Welt 
erobert, wenn sie einig waren. Schon bei Ausbruch der Feindseligkeiten ließen 
die deutschen Fürsten in Berlin erklären, daß sie gemäß der bestehenden Ver¬ 
träge ihre sämtlichen Streitkräfte dem Oberbefehl des Königs von Preußen 
unterstellen. Die Parlamente folgten. Rund ein und eine halbe Million 
deutscher Krieger sind in diesem gewaltigen Ringen unter den Waffen gestanden. 
Das deutsche Volk hatte in jenen geschichtlich großen Tagen das Glück 
gehabt, daß es die Männer geboren sah, die es brauchte. Was Bismarck als 
Staats mann geleistet, das vollbrachte mit gleichem Genie M o l t k e (siehe 
Bild) als Kriegs mann. Die in der Weltgeschichte noch nie verzeichneten 
militärischen Erfolge, die das deutsche Heer 1870—1871 errungen hat, sie 
sind sein Werk. Sein klarer, besonnener und doch feuriger Geist war es, der 
umsichtig und einheitlich ein und eine halbe Million deutscher Krieger zu 
einer langen Reihe von Siegen und kaum erhoffter Ehren führte. Er war die 
Seele des berühmt gewordenen preußischen Generalstabs und ganz Europa 
war erfüllt von Bewunderung der strategischen Leistungen des großen Generals. 
Den Verlauf des Krieges können wir leider hier nicht näher schildern; 
nur ein paar Hauptmomente wollen wir herausheben. — Am 4. August meldete 
der Telegraph die erste Siegesbotschaft, welche lautete: Glänzender aber blutiger 
Sieg bei der Erstürmung von Weissenbürg. Zwei Tage später würde von 
den Siegen bei Wörth und S p i ch e r n berichtet. Es war der am 6. August, 
freilich mit ungeheuren Opfern, erkämpfte Doppelsieg von großer und 
weittragender Bedeutung. Er erfüllte das deutsche Volk mit freudiger Sieges¬ 
zuversicht, Oesterreich gab seine Absicht, in den Kampf zu Gunsten Frankreichs 
einzugreifen, auf; in Frankreich aber rief die Kunde von den unerwarteten Nieder¬ 
lagen große Bestürzung hervor. Das Ministerium nahm seine Entlassung und 
Napoleon legte am 12. August den Oberbefehl über die Rheinarmee nieder. 
Am 15., August erfolgte der Einzug in Nancy, am gleichen Tage die Ein¬ 
schließung der Festung Straßburg; der 18. August brachte die furchtbare Schlacht 
von Gravelotte, und auf deutscher Seite den mit 20.000 Mann Verlust 
erkauften Sieg und in der Folge die Einschließung des französischen Heeres bei 
Metz. Der größte Tag war der 1. September. Am Abend der blutigen 
Schlacht bei Sedan waren 85.000 Mann des französischen Heeres umzingelt 
und mußten die Waffen strecken. Der Kaiser der Franzosen, Napoleon III., ward 
Gefangener. Drei Tage später war in Paris Revolution, Napoleon abgesetzt und 
die Republik erklärt. 
Am 30. September kapitulierte die Festung Straßburg; am 27. Oktober 
die Festung Metz. 174.000 Franzosen, darunter 6000 Offiziere, mußten sich hier 
ergeben. Um Mitte September begann bereits die Umschließung der französischen 
Hauptstadt, in welcher 400.000 Mann französischer Truppen eingeschlossen waren. 
Am 18. Jänner erfolgte im Spiegelsaale des Versailler Prunkschlosses 
der französischen Kaiser und Könige die Gründung des Deutschen 
Reiches. Am 1. Februar mußten östlich von Belfort 80.000 Mann des 
französischen Heeres vor den deutschen Verfolgern auf schweizerisches Gebiet 
übertreten. Am 28. Jänner erfolgte die Uebergabe der vom bitteren Hunger 
heimgesuchten Hauptstadt. Am 1. März feierten die deutschen Truppen 
ihren feierlichen Einzug in Paris. Am 10. Mai wurden in Frankfurt a. M 
die Friedensakte unterzeichnet, deren Hauptinhalt lautete: Deutsch-Lothringen 
einschließlich Metz und Diedenhofen und ganz Elsaß mit Ausnahme von Belfort 
werden an das Deutsche Reich abgetreten. Frankreich zahlt in drei Jahren 
5000 Millionen Franks Kriegskostenentschädigung.
	        
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